Der wunderbare Birnbaum

Land: Tibet
Kategorie: Schwank

Ein Bauer fuhr einmal mit seinem Wagen voller goldgelber und süsser Birnen auf den Markt. «Herrliche Birnen zu verkaufen, kommt Leute und kauft!», rief er immer wieder. Das hörte auch einer der Mönche, vom nahen Kloster. Er kam näher und bat: «Sehr gerne hätte ich eine einzige Birne.» Der Bauer schaute den Mönch an und schüttelte den Kopf. Natürlich hatten Mönche kein Geld, also konnten sie sich keine Birnen kaufen, aber er wollte hier das grosse Geschäft machen und keine seiner Früchte verschenken. Der Mönch schaute ihn traurig an und sagte: «Du hast so viele Birnen auf deinem Wagen und kannst doch sicher eine einzige entbehren», dabei hielt er bittend seine Hand hin. Der Bauer schaute den zerlumpten Mönch an, wurde wütend und schrie: «Verschwinde, du Hungerleider!».
«Wieso wirst du so zornig, es geht doch nur um eine Birne?», fragte der Mönch. Da begann der Bauer vor Wut zu schreien und zu fluchen. Das störte nun die anderen Händler, die in Ruhe ihre Ware verkaufen wollten. «Gib ihm doch eine Birne und dann gebt Ruhe!», sagten sie. Doch der Bauer wollte keine einzige hergeben. Endlich kam ein Kaufmann aus seinem Laden, gab dem Bauern eine Münze und drückte dem Mönch eine Birne in die Hand. «So, und jetzt ist Ruhe!»
«Ich danke dir!», sagte der Mönch. «Ich besitze nichts und kenne keinen Geiz. Deshalb lade ich euch jetzt alle ein mit mir Birnen zu essen.»
Mittlerweile hatten sich viele Menschen um den Mönch versammelt und einer rief lachend: «Wie willst du mit uns teilen, du hast doch nur eine einzige?»
«Wartet, gleich werden wir mehr haben, ich muss nur erst den Birnbaum pflanzen.» Er begann die Birne zu essen. Schmatzend schleckte er den süssen Saft auf und ass, bis er nur noch die Kerne in der Hand hielt. «Jetzt brauche ich eine Hacke und Wasser.» Sofort eilte jemand, um das gewünschte zu holen und vor den Augen der Zuschauer, hackte der Mönch ein Loch in den Boden, legte den Birnenkern hinein und goss ihn mit Wasser an. Erstaunt sahen die Leute, dass schon bald darauf ein Keimling aus dem Boden wuchs. Er wuchs und wuchs und wurde vor ihren Augen zu einem Baum mit Stamm, Ästen und Blättern. Kurz darauf begann er zu blühen und schon bald hingen dicke Birnen daran, saftig gelb und reif. Der Mönch kletterte auf den Baum, nahm eine Birne nach der anderen und verschenkte sie an die Umstehenden. Nicht lange, da waren alle Birnen aufgegessen. Der Mönch nahm die Axt, fällte den Baum, nahm den Stamm auf die Schulter und wanderte unter Winken davon.
Während dieser ganzen Zeit hatte der Bauer dem Mönch mit offenem Mund zugeschaut. Nun, als dieser fort war, sah er sich um und traute seinen Augen nicht: Die Birnen waren fort und die Achse seines Wagens ebenfalls. «Ein Dieb, ein Dieb¨», rief der Bauer und rannte dem Mönch hinterher, doch der war schon längst verschwunden. Nur die Wagenachse lag vor dem Stadttor. Als der Bauer zu seinem Wagen zurückkehrte lachten die Leute. «Das hast du nun von deinem Geiz!», sprachen sie und der Bauer senkte beschämt seinen Kopf. Die Geschichte vom wunderbaren Birnbaum erzählten sich die Leute noch lange mit Genuss und ihr, ihr kennt sie jetzt auch.

Märchen aus Tibet, aus: D. Jaenike, Baummärchen aus aller Welt, © Mutabor Verlag

The wonderful pear tree

A farmer once drove to the market with his cart full of golden yellow and sweet pears. "Wonderful pears for sale, people, come and buy!" he kept shouting. One of the monks from the nearby monastery heard this too. He came closer and asked: "I would love a single pear." The farmer looked at the monk and shook his head. Of course, monks had no money, so they couldn't buy pears, but he wanted to do the big business here and not give any of his fruit away. The monk looked at him sadly and said, "You have so many pears on your cart and surely you can spare just one," holding out his hand pleadingly. The farmer looked at the ragged monk, became angry and shouted: "Get lost, you hungry wretch!".

"Why are you getting so angry, it's only about a pear?" asked the monk. The farmer began to shout and curse in anger. This disturbed the other traders, who wanted to sell their goods in peace. "Why don't you give him a pear and then shut up!" they said. But the farmer wouldn't give up a single one. Finally, a merchant came out of his store, gave the farmer a coin and pressed a pear into the monk's hand. "There, now it's quiet!"

"Thank you," said the monk. "I have nothing and know no greed. So now I invite you all to eat pears with me."

In the meantime, many people had gathered around the monk and one of them shouted with a laugh: "How are you going to share with us, you only have one?"

"Wait, we'll have more in a moment, I just have to plant the pear tree first." He began to eat the pear. Smacking his lips, he lapped up the sweet juice and ate until he only had the seeds left in his hand. "Now I need a hoe and water." Someone immediately rushed to fetch the required items and, in front of the onlookers, the monk chopped a hole in the ground, placed the pear seed in it and poured water over it. The people were amazed to see that a seedling soon sprouted from the ground. It grew and grew and became a tree with a trunk, branches and leaves before their eyes. Shortly afterwards, it began to blossom and soon thick pears were hanging from it, juicy yellow and ripe. The monk climbed the tree, took one pear at a time and gave them away to the bystanders. Before long, all the pears had been eaten. The monk took the axe, chopped down the tree, took the trunk on his shoulder and walked away, waving his hand.

All this time, the farmer had been watching the monk with his mouth open. Now that he had gone, he looked around and could not believe his eyes: the pears were gone and so was the axle of his cart. "A thief, a thief!" shouted the farmer and ran after the monk, but he had long since disappeared. Only the wagon axle was left outside the city gate. When the farmer returned to his cart, the people laughed. "That's what you get for being so stingy!" they said and the farmer bowed his head in shame. People enjoyed telling each other the story of the wonderful pear tree for a long time and now you know it too.

Märchen aus Tibet, aus: D. Jaenike, Baummärchen aus aller Welt, Mutabor Verlag,  englische Fassung L. Jaenike © Mutabor Märchenstiftung

Seit mehr als siebzig Jahren sind Menschen in Tibet auf der Flucht vor der Repression. Viele wagen den gefährlichen Weg über den Himalaya nach Nordindien, wo ihr Oberhaupt der Dalai Lama lebt. Mittlerweile leben die Tibeter in der ganzen Welt verstreut, manche bereits in der zweiten Generation, doch die Lage in ihrer Heimat macht keine Hoffnung auf Rückkehr.

 

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