Ein altes Schloss, bis auf seine vier Grundmauern zusammengebrochen, liegt im Aargauer Dorfe Gauenstein am Rand der vorbeiströmenden Aare. Hier wohnte in ältester Zeit die freie Königin des Landes. Der Bruder und sein hochmüthiges Gesinde hassten sie; sie merkte einen Anschlag gegen ihr Leben und flüchtete sich noch Nachts aus dem Schlosse an den Strom herab. Allein der Ferge * und sein Schiff war nirgend zu finden. Verfolgt und gedrängt wollte sie lieber freiwillig den Tod nehmen, als dem bösen Bruder in die Hände fallen; sie lief stromauf den gefährlichen Bergpfad zum Nachbarschlosse Biberstein und stürzte, noch ehe sie es erreichte, von den steilen Klippen in den reissenden Strom. Doch dieser verschlang die Königin nicht, sondern gewährte ihr einen sichern Weg, und so gieng sie jene Nacht mitten in der Aare fort bis in die Pfalz von Basel. Noch sieht der Fromme in stillen Nächten die Fussstapfen der Königin auf den Wellen der Aare in mildem Glanze strahlen.
*Ferge - Fährmann, Schiffer (gemäss Duden)
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 1
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchen.ch.