Wo das Ruederthal an den Kanton Luzern stösst, liegt die äusserste Gemeinde des Thales, Schildwald. Das weiter unten noch rauhe Bergland wird hier offener und sonniger, und statt der Buchen und Tannen zeigen sich wieder Fruchtbäume; um so befremdlicher fällt einem hier ein Kirschbaum ins Auge, der vor dem Dorfe mit wunderlich in einander verschränktem Astwerke am Wege steht. Es hat mit ihm folgende Bewandtniss.
Drei geizige Brüder aus dem Schildwalde hatten ihr väterliches Erbe zu theilen und waren mit Allem fertig geworden bis auf diesen Baum, der auf keines Gute stand und nun dem Aeltesten in ganz unbillig hohem Ansatz zugeschlagen werden sollte. Er stritt sich lange mit ihnen, da sie ihm aber den Baum nicht um ein Mässiges gönnten, der bei seiner entfernten Lage von den Gutsäckern doch keinen gedenkbaren Nutzen abwarf, so blieb ihre gegenseitige Bosheit zuletzt dabei, den untheilbaren Baum für Jeden unbrauchbar zu machen. Sie gruben ihn nun aus und setzten ihn verkehrt in den Boden. Nun steckte der unschuldige Baum mit der Krone im Boden und starrte mit der Wurzel in die Luft. Aber auch in dieser unnatürlichen Lage blieb er ein besseres Geschöpf als diese drei Geizhälse; er fieng dennoch an wieder zu grünen und trägt einige Kirschen, die man jedoch nicht pflückt.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 83
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchen.ch.