Der beschworene Lehrer an der Reppisch

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es hat an der Reppisch, einem Grenzflüsschen des Aargauer- und Zürcherlandes, einst ein Lehrer gelebt, dessen Wohnort und Namen deswegen hier ungenannt bleiben soll, weil es über ihn und über sein jetziges Schicksal erst in jüngerer Zeit noch zu gerichtlichen Verhandlungen gekommen ist. Man sagt ihm nach, er habe als Vormund einer Witwe beträchtliche Summen sich zugeeignet und dieselben bei den Abrechnungen wieder abgeschworen, bei seinem Tode aber es den Söhnen noch anbefohlen, das unrecht Erworbene wieder heimzuzahlen.

Die Söhne waren alle bis auf einen bereit, des Vaters letzten Willen zu vollziehen; dieser eine aber wusste es ihnen begreiflich zu machen, dass es vernünftiger sei, den ganzen Handel und damit auch das Andenken an den Vater für allemal ruhen zu lassen. So geschah’s, und bald gedachte niemand mehr weiter des Verstorbenen.

Längere Zeit nachher jätete eine fremde Dienstmagd auf einem in der Nähe jener Familie gelegenen Gute und erblickte hier, während sie sich einmal zum Ausruhen vom Felde aufrichtete, den verstorbenen Lehrer vor sich stehen. Sie sprang bis zum Tode erschrocken ins Haus hinein und erzählte es ihrer Herrschaft. Hier wurde sie tüchtig ausgelacht. Allein statt dadurch sich beruhigen zu lassen, machte sich das Dienstmädchen mit ihrem Erlebnis noch an andere Leute, die leichtgläubiger waren, und so kam's endlich auch der Familie jenes Lehrers zu Ohren. Hier besann man sich nicht lange und forderte die unbehutsame Erzählerin vor Gericht. Da musste sie natürlicherweise den verlangten Beweis schuldig bleiben und wurde in eine für ihre Verhältnisse sehr hohe Geldbusse verurteilt. Sie bezahlte, blieb aber auch nachher halsstarrig auf ihrer Behauptung und versicherte ihrer eignen Herrschaft, dieselbe Gestalt, welche sie genau und zutreffend beschreiben konnte, noch immer zu sehen und sie jedem, wer nur wolle, am hellen Tage um jenen Garten zeigen zu wollen.

Diejenigen Leute, welche sich wie zur Probe darauf einliessen, haben freilich gar nichts erblickt; man erklärte sich’s aber damit, dass sie eben keine Sonntagskinder seien und also dieselbe Seherkraft des Dienstmädchens nicht besassen. So dauerte dies bis zum nächsten Winter.

Da ging ein Drescher morgens um vier Uhr den Weg hinunter, um sich auf den Taglohn zu machen, und bemerkte an der aus dem Gerichtshandel schon bekannt gewordenen Stelle einen Mann, der in Mantel und Hut ruhig dastand. Der Drescher meinte schon einen halb erfrorenen Menschen vor sich zu haben, anders war ihm dieses unbewegliche Stillstehen in solcher Winterkälte und Einsamkeit unerklärlich; er näherte sich ihm und schaute ihm unter den Hut hinauf ins Gesicht, und mit Entsetzen erkannte er nun jenen verrufenen Lehrer. Er rannte, um sich zu retten, ans nächste Haus und sank da in der Stube ohnmächtig zusammen. Als er wieder zu sich gekommen war, erzählte er den Grund seines Schreckens. Hier drangen nun die Leute in ihn, sein Begegnis doch alsbald den Söhnen des Verstorbenen mitzuteilen; denn diese hätten vor Gericht die Erklärung abgegeben, dass sie die Begebenheit wohl eher glauben würden, wenn einmal ein Mannsbild persönlich dafür einstände, dass sie aber der armen Dienstmagd dann jedenfalls die Geldsumme zurückerstatten wollten, in welche sie ihretwegen verfällt worden war.

Der Drescher folgte diesem Rat und ging nun zu den Söhnen. Allein anstatt dem Mädchen das Geld zurück zu erstatten, liessen diese alsbald zwei Kapuziner kommen und den Geist in eine Dachrafe des Hauses bannen; seitdem ist von niemand dort weiter etwas gesehen worden.

Quelle: E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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