Wessen Haus ist besser?

Land: Russland
Region: Sibirien,Tschuktschen
Kategorie: Fabel/Tiermärchen

 

Einmal als der Winter sich ankündigte und die Tiere eine Höhle für den Winterschlaf suchten, lief das Ziesel zum Bach, um Wasser zu trinken. Am andern Ufer, ihm gegenüber, stand der braune Bär und trank auch.
«Guten Tag, Bär», sagte das Ziesel. «Wie geht es dir?»
«Guten Tag, Ziesel», antwortete der Bär. «Mir geht es nicht schlecht, aber auch nicht gut.»
«Warum denn das?»
«Meine Höhle ist zu eng. Zum Schlafen ist sie warm, aber wenn ich mich umdrehe, scheure ich mir an den Wänden die Seiten auf.»
«Ich habe andere Sorgen», sagte das Ziesel. «Meine Höhle war sehr gut, aber jetzt hat es stark geregnet, der Regen hat Erde weggespült, und nun ist mir meine Wohnung zu gross.»
«Ach, deine Sorgen möchte ich haben!», sagte der Bär. «Wenn meine Höhle geräumiger wäre, würde ich mich nur freuen.»
«So lass uns tauschen!», sagte das Ziesel. «Ich gebe dir meine grosse Höhle, und du gibst mir deine enge.»
«Einverstanden!», sagte der Bär erfreut. «Wo wohnst du denn?»
«Auf dem Hügel dort», antwortete das Ziesel und zeigte auf ein Erdhäufchen an seinem Ufer. «Und wo wohnst du?»
«Auch auf einem Hügel», sagte der Bär und zeigte auf einen hohen Berg an seinem Ufer. Der Bär kam durch den Bach gewatet, und das Ziesel hüpfte von Stein zu Stein ans andere Ufer. In verschiedener Richtung gingen sie auseinander, ein jeder zu seiner neuen Behausung. 
Das Ziesel gelangte zur Bärenhöhle. Drinnen schaute es sich um.Es lief von einem Ende zum anderen, hob den Kopf und blickte nach oben. Dann hockte es sich auf die Hinterpfoten und sagte weinend: «Was mache ich nur in dieser riesigen Höhle? Wenn der Fuchs kommt, frisst er mich, wenn der Rabe hereinfliegt, pickt er mich weg! Hier ist kein Versteck und kein Schutz vor Wind und Schnee.»
Lange sass das Ziesel und weinte, da hörte es auf einmal tappende Schritte. Der Bär war zurückgekommen.
Rasch wischte sich das Ziesel die Tränen weg und sagte: «Warum bist du gekommen?»
«Ja, weisst du», antwortete der Bär, «ich kann mich nicht in deine kleine Höhle hineinzwängen. Ich habe es probiert, die Tatzen voran, den Schwanz voran, die Seite voran – es ist unmöglich!»
«Man muss mit der Nase voran hineinkriechen», sagte das Ziesel.
«Das habe ich versucht, aber es ging nicht.»
«Nun, das kann doch gar nicht sein!», rief das Ziesel gekränkt. «Ich passe doch ganz in die Höhle hinein, und da bleibt noch viel Platz. Lass mich deine Nase messen.»
Das Ziesel legte sich dem Bären auf die Nase. Dann sagte es: «Du meine Güte, ich bin ja ganz klein! Das habe ich früher nie bemerkt.»
Der Bär sagte: «Du meine Güte, ich bin ja ganz gross! Das habe ich früher nie bemerkt. Was machen wir jetzt?»
«Lass uns zurücktausehen», schlug das Ziesel vor.
«Einverstanden!», sagte der Bär erfreut.
Er blieb in seiner Höhle auf dem Berg, das Ziesel aber lief zurück zu seiner kleinen Höhle unter dem Erdhäufchen. Beide bezogen zufrieden ihr Winterquartier und beklagten sich nie wieder über ihr Haus.

Märchen der Tschuktschen, aus: Wintermärchen aus aller Welt, Mutabor Verlag

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

 
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