Der Affe und das Kamel

Land: Tibet
Kategorie: Fabel/Tiermärchen

An einem sonnigen Tag sass ein Affe oben in der Krone eines Baumes und schaute neugierig ins Land. Da sah er auf der anderen Seite des Flusses einen Garten mit Pfirsichbäumen. Die Pfirsiche leuchteten rot und gelb in der Sonne. Der Affe bekam furchtbare Lust auf Pfirsiche! Das Wasser lief ihm schon im Mund zusammen. Aber ach! Wie sollte er über den Fluss kommen? Neben dem Pfirsichgarten aber lag ein Feld mit Zuckerrohr. Der Affe wusste genau, dass sein Freund, das Kamel, sehr gerne Zuckerrohr ass. Schnell kletterte er vom Baum herunter und sprang zum Kamel. «Kamel, hör mal!», rief er schon von Weitem. «Ich habe ein herrliches Zuckerrohrfeld entdeckt, das wäre doch etwas für dich.»
«Wo ist es?», fragte das Kamel gierig.
«Du musst über den Fluss, dann nach rechts, ein Stück geradeaus, nach links und dann wieder nach rechts, und dann siehst du das Feld.»
«Das kann ich mir nie merken», jammerte das Kamel. «Könntest du mich nicht hinführen, du bist doch mein Freund?»
«Natürlich, gerne», antwortete der Affe. «Aber wie soll ich über den Fluss kommen, ich kann ja nicht schwimmen.»
«Ich kann schwimmen», meinte das Kamel. «Ich nehme dich einfach auf meinen Rücken und trage dich hinüber.» So kletterte der Affe auf den Rücken des Kamels, machte es sich zwischen den beiden Höckern bequem und liess sich von dem Kamel über den Fluss tragen. Als sie zu dem Zuckerrohrfeld kamen, sagte der Affe: «Du bleibst hier, und ich gehe in den Pfirsichgarten dort und passe auf, dass der Wächter dich nicht erwischt. Man hat dort einen guten Blick nach allen Seiten.»
«Das ist sehr lieb von dir», sagte das Kamel und machte sich auf zum Zuckerrohr. Der Affe aber lief in den Pfirsichgarten, kletterte auf den ersten besten Baum und pflückte einen Pfirsich nach dem anderen. Ach, wie süss die Früchte waren! Ach, wie süss sie dufteten! Der köstliche Saft floss über sein Kinn. Als der Affe sich satt gegessen hatte, kehrte er auf das Zuckerrohrfeld zurück. Das Kamel stand dort, frass, kaute langsam und liess sich Zeit. Dem Affen wurde langweilig. «Wir sollten jetzt gehen», meinte er.
«Ach, warte noch ein Weilchen, ich bin noch nicht fertig», bat das Kamel.
«Ich möchte aber nicht warten», sagte der Affe und hüpfte von einem Bein auf das andere.
«Ich komme ja schon, nur noch dies Rohr», bat das Kamel. Der Affe aber mochte nicht warten und so rief er: «Wenn du nicht gleich kommst, rufe ich den Wächter.»
«Tu das nicht», bat das Kamel. «Er würde mich mit dem Stock schlagen.» Der Affe aber hatte genug vom Warten und schrie laut: «Wächter komm herbei! Ein Kamel ist im Feld. Es frisst dein Zuckerrohr!»
«Bitte nicht!», rief das Kamel. Der Affe aber lief zum Fluss und schrie die ganze Zeit weiter. Der Wächter hörte das Geschrei, sprang auf, rannte zum Kamel schlug es mit seinem Stock, um es zu vertreiben. Das Kamel lief jammernd aus dem Feld zum Fluss, wo der Affe stand. «Warum bist du nicht gleich gekommen?», sagte der Affe. «Dann hätte der Wächter dich nicht geschlagen.»
«Du bist schuld!», jammerte das Kamel. «Du hast ja den Wächter gerufen.»
«Ich?», fragte der Affe.
«Wer den sonst?», schimpfte das Kamel. Der Affe kratzte sich ein Weilchen hinter dem Ohr und sagte dann: «Weisst du, Kamel, ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich den Wächter gerufen habe. Aber manchmal überkommt es mich einfach und ich tue Dinge, die ich sonst nie tun würde. Wie eine Art Krankheit.»
«Nun gut», meinte das Kamel. «Komm jetzt auf meinen Rücken. Wir wollen nach Hause.» Der Affe sprang auf den Rücken des Kamels und machte es sich zwischen den Höckern bequem. Als sie mitten im Fluss waren, rief das Kamel plötzlich: «Ich werde jetzt kurz untertauchen.»
«Aber nein!», rief der Affe erschrocken. «Auf keinen Fall! Da werde ich nass und ich kann nicht schwimmen!»
«Weisst du, Affe, manchmal überkommt es mich einfach und ich tue Dinge, die ich sonst nie tun würde. Wie eine Art Krankheit.» Und mit diesen Worten tauchte es unter.
«Hilfe!», schrie der Affe als er ins Wasser plumpste.Der Fluss war nicht tief und der Affe paddelte schon bald nass ans Ufer. Aber von dem Tag an spielte er seinem Freund, dem Kamel, keinen bösen Streich mehr.

Märchen aus Tibet, ©Fassung Djamila Jaenike, nach: D. und M. Stovickova, Tibetische Märchen, Prag, 1974

སྤྲེའུ་དང་རྔ་མངོ ་ག་ིསྒྲུང་གཏམ།
Ins Tibetische übersetzt von Menlo

The monkey and the camel

One sunny day, a monkey was sitting up in the crown of a tree, looking curiously at the land. Then he saw a garden with peach trees on the other side of the river. The peaches were glowing red and yellow in the sun. The monkey had a terrible craving for peaches! His mouth was already watering. But oh, how was he going to get across the river? But next to the peach orchard was a field of sugar cane. The monkey knew very well that his friend, the camel, loved eating sugar cane. He quickly climbed down from the tree and jumped to the camel. "Camel, listen!" he called from afar. "I've discovered a wonderful sugar cane field, that would be something for you."

"Where is it?" the camel asked greedily.

"You have to cross the river, then turn right, go straight on for a bit, turn left and then right again, and then you'll see the field."

"I can never remember that," whined the camel. "Couldn't you lead me there, you're my friend?"

"Of course, I'd love to," replied the monkey. "But how am I supposed to get across the river, I can't swim."

"I can swim," said the camel. "I'll just take you on my back and carry you across." So the monkey climbed onto the camel's back, made himself comfortable between the two humps and let the camel carry him across the river. When they came to the sugar cane field, the monkey said: "You stay here and I'll go to the peach orchard there and make sure the guard doesn't catch you. You have a good view on all sides there."

"That's very kind of you," said the camel and set off for the sugar cane. But the monkey ran into the peach orchard, climbed the first best tree and picked one peach after another. Oh, how sweet the fruit was! Oh, how sweet they smelled! The delicious juice flowed down his chin. When the monkey had eaten his fill, he returned to the sugar cane field. The camel stood there, eating, chewing slowly and taking his time. The monkey was getting bored. "We should go now," he said.

"Oh, wait a little longer, I'm not finished yet," the camel begged.

"But I don't want to wait," said the monkey, hopping from one leg to the other.

"I'm already coming, just this pipe," asked the camel. But the monkey didn't want to wait, so he called out: "If you don't come straight away, I'll call the guard."

"Don't do that," begged the camel. "He would hit me with the stick." But the monkey had had enough of waiting and shouted loudly: "Watchman, come here! There's a camel in the field. It's eating your sugar cane!"

"Please don't!" cried the camel. But the monkey ran to the river and kept on shouting the whole time. The guard heard the screaming, jumped up, ran to the camel and hit it with his stick to drive it away. The camel ran whining out of the field to the river where the monkey was standing. "Why didn't you come straight away?" said the monkey. "Then the guard wouldn't have beaten you."

"It's your fault!" whined the camel. "You called the guard."

"Me?" asked the monkey.

"Who else?" grumbled the camel. The monkey scratched behind his ear for a while and then said: "You know, camel, I don't remember calling the guard. But sometimes it just comes over me and I do things I would never do otherwise. Like some kind of illness."

"Very well," said the camel. "Come on my back now. We want to go home." The monkey jumped onto the camel's back and made himself comfortable between the humps. When they were in the middle of the river, the camel suddenly called out: "I'm going to go under for a moment."

"But no!" cried the monkey, startled. "No way! I'll get wet and I can't swim!"

"You know, monkey, sometimes it just gets the better of me and I do things I would never do otherwise. Like some kind of illness." And with those words, it dived under.

"Help!" screamed the monkey as he plopped into the water. The river was not deep and the monkey soon paddled wet to the shore. But from that day on, he never played a nasty trick on his friend the camel again.

Märchen aus Tibet, ©Fassung Djamila Jaenike, nach: D. und M. Stovickova, Tibetische Märchen, Prag, 1974, englische Fassung L. Jaenike © Mutabor Märchenstiftung

Seit mehr als siebzig Jahren sind Menschen in Tibet auf der Flucht vor der Repression. Viele wagen den gefährlichen Weg über den Himalaya nach Nordindien, wo ihr Oberhaupt der Dalai Lama lebt. Mittlerweile leben die Tibeter in der ganzen Welt verstreut, manche bereits in der zweiten Generation, doch die Lage in ihrer Heimat macht keine Hoffnung auf Rückkehr.

 

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