Das Mädchen und die zwölf Monate

Land: Mazedonien
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein Mädchen, dessen Mutter war gestorben. Der Vater heiratete eine Frau, die ebenfalls eine Tochter hatte. Diese liebte sie mehr als das andere Mädchen. Als auch noch der Vater starb, begann sie mit dem Mädchen zu schimpfen und es zu schlagen.
Aber das Mädchen war viel schöner als ihre eigene Tochter. Das ärgerte sie so sehr, dass sie das Mädchen loswerden wollte. Einmal befahl sie mitten in der Nacht: «Geh zum Brunnen und hole Wasser!»
Das Mädchen machte sich mit den Krügen auf den Weg. Lange lief es durch die dunkle Nacht, bis es endlich zum Brunnen vor dem Dorf kam. Dort sassen elf Männer unter einem Baum. Es waren grosse und kleine, junge und alte. Das waren die elf Monate. Der Kleinste war Setschko, der Februar. Neben ihm stand Grossmutter März.
Das Mädchen grüsste freundlich.
«Was machst du hier mitten in der Nacht?», fragte Grossmutter März.
«Die Stiefmutter schickt mich um Wasser zu holen», antwortete das Mädchen.
«Du armes Kind», sagte Grossmutter März, «das ist nicht recht. Aber sag mir, welcher Monat ist dir der liebste?»
«Ich finde alle Monate gleich gut und schön», antwortete das Mädchen.
Grossmutter März lächelte und sagte: «Das sind gute Worte, und jedes ist Gold wert.»
Das Mädchen füllte seine Krüge, verabschiedete sich von den zwölf Monaten, ging nach Hause und klopfte an die Tür.
Die Stiefmutter öffnete und ärgerte sich, dass das Mädchen gesund zurückgekehrt war und begann zu schimpfen: «Wo warst du so lange?» und sie wollte das Mädchen schlagen.
Das Mädchen antwortete: «Ich war am Brunnen und sah dort die zwölf Monaten», und dabei fiel ihm bei jedem Wort ein Goldtaler aus dem Mund.
Nun wollte die böse Frau alles wissen. Sofort weckte sie ihre Tochter und befahl ihr ebenfalls zum Brunnen zu gehen.
Verschlafen ging die junge Frau den langen Weg zum Brunnen. Es sah die elf Männer und die alte Frau, aber sie erkannte sie nicht. Grossmutter März fragte: «Sag mir, welcher Monat gefällt dir am besten?»
«Ach», seufzte sie, «mir gefällt keiner der Monate. Sie machen, was sie wollen. Koloscheg, der Januar und Setschko, der Februar sind die schlimmsten. Am schlimmsten ist Grossmutter März. Mal schickt sie warmes, dann kaltes Wetter und hat tausend Launen.»
«Das sind böse Worte, giftig wie Schlangen», sprach Grossmutter März.
Die junge Frau nahm die Krüge und ging nach Hause.
Dort wartete ihre Mutter und fragte: «Hast du die zwölf Monate getroffen?»
Aber kaum öffnete ihre Tochter den Mund, um zu antworten, fielen giftige Schlangen heraus.
Da jagte man die beiden aus dem Dorf hinaus.
Das freundliche Mädchen aber verteilte das Gold unter den Armen und die zwölf Monate sorgten für sie - ein Leben lang.

Fassung Djamila Jaenike, nach: Wolfgang Eschker, Mazedonische Volksmärchen, Köln 1972 ©Mutabor Märchenstiftung

The girl and the twelve months

Once upon a time there was a girl whose mother had died. Her father married a woman who also had a daughter. She loved her daughter more than the other girl. When the father also died, she began to scold and beat the girl.
But the girl was much more beautiful than her own daughter. This annoyed her so much that she wanted to get rid of the girl. Once, in the middle of the night, she ordered: “Go to the well and get some water!”
The girl set off with the jugs. She walked for a long time through the dark night until she finally came to the well outside the village. There were eleven men sitting under a tree. They were tall and short, young and old. These were the eleven months. The smallest was Sechko, February. Grandmother March stood next to him.
The girl greeted him kindly.
“What are you doing here in the middle of the night?” asked Grandmother March.
“The stepmother sent me to fetch water,” replied the girl.
“You poor child,” said Grandmother March, ”that's not right. But tell me, which month is your favorite?”
“I think all months are equally good and beautiful,” the girl replied.
Grandmother March smiled and said, “Those are good words, and each one is worth its weight in gold.”
The girl filled her jugs, said goodbye to the twelve months, went home and knocked on the door.
The stepmother opened the door and was annoyed that the girl had returned safe and sound and began to scold her: “Where have you been for so long?” and she wanted to hit the girl.
The girl replied, “I was at the well and saw the twelve months,” and a gold coin fell out of her mouth with every word.
Now the wicked woman wanted to know everything. She immediately woke her daughter and ordered her to go to the well too.
Sleepily, the young woman walked the long way to the well. She saw the eleven men and the old woman, but did not recognize them. Grandmother March asked: “Tell me, which month do you like best?”
“Oh,” she sighed, ”I don't like any of the months. They do what they want. Kolosheg, January, and Sechko, February, are the worst. Grandmother March is the worst. Sometimes she sends warm, then cold weather and has a thousand moods.”
“Those are bad words, poisonous like snakes,” said Grandmother March.
The young woman took the jugs and went home.
Her mother was waiting there and asked: “Have you met the twelve months?”
But as soon as her daughter opened her mouth to answer, poisonous snakes fell out.
The two were chased out of the village. But the kind girl distributed the gold among the poor and the twelve months took care of them - for life.

Fassung Djamila Jaenike, nach: Wolfgang Eschker, Mazedonische Volksmärchen, Köln 1972, englische Fassung L.  Jaenike  ©Mutabor Märchenstiftung

Nord-Mazedonien ist ein Binnenstaat auf der Balkanhalbinsel in Südosteuropa. 1991 rief die jugoslawische Teilrepublik ihre Unabhängigkeit aus, es folgten bürgerkriegsähnliche Zustände sowie wirtschaftliche und soziale Probleme mit grossen Auswanderungswellen. Die politische Krise zwischen 2015 und 2017 führte zur zeitweisen Evakuierung von Teilen des Landes. Bis heute verlassen jährlich 10% der Bevölkerung das Land aufgrund von Korruption und Perspektivlosigkeit.

 

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