Der letzte Ritter auf Solavers

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Rätigau steht eine Felsenwand,

Ergraut in Gewittern und Stürmen;

Da schaut' eine Feste einst trotzig durch's Land

Mit Mauern bewehret und Türmen;

Die Scheiben erglitzerten feurig in's Tal,

Beschienen vom scheidenden Sonnenstrahl,

Vom Wartturm wehte die Fahne;

Und hinter den Fenstern sass blass wie der Tod

Der Graf und starrte in's Abendrot,

Als ob er was Böses schon ahne.

 

Es stieg an dem nächtlichen Himmel empor

Der Mond mit seinem Geleite,

Die Mitternacht nahte; da tönt es an's Ohr

Des Grafen wie Sturmesgeläute;

Er schaute hinaus in die mondhelle Nacht,

Da waren schon flackernde Feuer entfacht

Ringsum auf den felsigen Höhen,

Und unten im weiten geebneten Plan,

Da schaarte das Volk sich Mann für Mann:

Sie wollten den Grafen bestehen.

 

»Wohllastete eisern und schwer meine Hand

Auf ihnen, sie sollten sie fühlen!

Jetzt haben die Bauern sich endlich ermannt,

An mir ihr Mütchen zu kühlen;

Sie wollen zerbrechen mein drückendes Joch,

Doch hab ich mein schneidiges Schlachtschwert noch,

Die Schaaren noch meiner Getreuen;

Und eh\' sie besiegen der Knappen Tross,

Und ehe sie brechen mein gräfliches Schloss,

Da soll es noch Manchen gereuen!« -

 

So drohte er zornig und fasste sein Schwert,

Und eilte zum blut'gen Gefechte;

Im Hofe da wieherte mutig sein Pferd,

Da standen gewappnet die Knechte

Und jauchzten entgegen dem kommenden Herrn;

Sie fochten zur Seite dem Tapfern gern,

Er führte zum Siege sie immer;

Jetzt sprengte er ordnend die Reihen hinan

Und feuerte kräftig zum Kampfe sie an,

Bei des Mondes stillem Geflimmer.

 

Doch eh\' man zum Kampfe geordnet war

Und kaum noch verhallet die Worte,

Da stürmet heran der Bauern Schaar

Und sprengte die eichene Pforte;

Und warf auf den Feind sich in tosender Wut,

Und schwenkte die Waffen voll Kampfesmut

Zu starken tödlichen Streichen.

Lang standen die Knappen entgegen dem Drang,

Sie standen mit Ehren im blutigen Gang, -

Der Übermacht mussten sie weichen.

 

Der Ritter kämpfte dort hoch zu Pferd,

Umgeben von seinen Getreuen;

Er schwang in der Rechten sein schneidiges Schwert,

Es sollte noch Manchen gereuen:

Denn wo das blitzte, da brachte es Tod,

Es ward seine Rüstung vom Blute rot,

Es türmten sich Leichen auf Leichen.

Doch als seine Klinge klirrend zersprang,

Der zischende Laut zum Herzen ihm drang,

Da sah man den Grafen erbleichen.

 

Sein staatliches Schloss stand hell schon im Brand,

Die Knappen waren gefallen;

Und wenn auch zum Siege die Hoffnung entschwand,

So wollt\' er mit Ehren doch fallen!

Schnell drückte dem Pferde die Sporen er ein,

Und flammend und glühend in feurigem Schein

Blitzt plötzlich er über die Mauer,

Und klirrte fluchend in's felsige Grab. –

Es schaute staunend die Menge hinab

Ergriffen von eisigem Schauer.

 

Im Rätigau steht eine Felsenwand,

Ergraut in Gewittern und Stürmen;

Einer Feste Ruinen schau'n trotzig durch's Land,

Es nistet die Eu!\' in den Türmen.

Doch oft noch sieht man in finsterer Nacht

Von Blitzen umzingelt, vom Donner umkracht,

Hoch oben stehen den Grafen;

Er schwingt in der Rechten sein schneidiges Schwert,

Er spornt die Felsen herunter sein Pferd;

Dann legt er sich wiederum schlafen.

 

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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