Der TaI-Geist von Schanvigg

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Sobald die Feierabendglocke ertönt und die Herden des stillen Alpentales von der Weide heimgekehrt sind, beginnt der Talgeist seine Wanderung. -

Aus dem Scalära-Tobel, dem Aufenthalte so manchen Geistes, tritt er hervor, steigt über den Hochwang, und kommt durch die »Heuberge« nach Maladers herab, geht dann eilends nach Cavraisen und Castiel. Dort erst fängt er recht an, zu spucken und die Leute in den Häusern zu erschrecken. Bis hieher hat er Menschengestalt beibehalten, als riesiger Mann in schwarzem Frack und Dreispitz, und nun verwandelt er sich in einen langhaarigen Pudel, der nur ein Auge hat, und zwar ein grosses, feuriges, viereckiges in der Mitte des Kopfes. Als »Pudel« läuft er weiters, nach St. Peter, wo er sein Hauptgeschäft abzumachen hat. Dort steigt er hinauf in's alte Rathaus, nimmt alle Schriften und Briefe, Vollmachten und Protokolle aus Kisten und Schränken heraus. Mit mächtiger Tatze wirft er die Urkunden durcheinander, wie wenn er ein wichtiges Dokument suchte und heult dabei, als stünde er auf glühender Pflugsschaar; Funken sprühen aus seinem Auge, sein Pelz leuchtet in seltsamem Feuerglanze. Endlich legt er, wehmüthig singend, die Schriften alle wieder an Ort und Stelle und macht sich traurig davon. - Nun steigt er hinunter nach Molinis, hat aber schon wieder seine Gestalt verändert, indem er dort als feuriger Mann erscheint; mit jedem Tritte speit er Feuerflammen. So eilt er zum Entsetzen der Dorfbewohner mitten durch's Dorf, über die Plessur, steigt nach Tschiertschen hinauf, geht dann nach Praden, und endlich Cur zu, um von dort aus wieder in's Scalära- Tobel zurück zu kehren.

Diese Reise macht er monatlich einmal, aber an unbestimmten Abenden und Nächten. - Über seine Streiche weiss man in Schanvigg Vieles zu erzählen. Oft soll er sogar ein lustiger Geselle sein, der die grösste Freude daran hat, die Sterblichen zu plagen; meistens aber ist er böse gesinnt, sonderlich in der Gestalt des Pudels. Es sagte ein junger Bursche öfters: »Wenn ich nur den »Tal-Bülli« (diesen wandernden Geist) einmal zu sehen bekäme.«

Eines Abends spät sollte ihm dazu Gelegenheit werden. Er ging nämlich von Molinis nach St. Peter »z\\\'hengert«. Beim »Gügel«, oberhalb Molinis, kam plötzlich der feurige Mann auf ihn zu und stellte sich gerade vor den erschrockenen Helden hin. Feuerflammen entströmten dem Ungeheuer, Blitze schossen aus dessen Augen. - Bis gegen Morgen blieben diese Beiden einander unbeweglich gegenüber, - der Moliniser konnte nicht und der Geist wollte nicht weichen. - Doch endlich ertönte die Morgenglocke, und der Geist verschwand lachend: »Häsch' jetz a mol de Tal-Brülli gsäha!«

Dieser Talwaldbrülli war bei Lebzeiten Landammann gewesen, der Ur­kunden gefälscht und sonstige Betruge verübt hatte. In St. Peter besonders hat er mächtig zu tun, sucht aber immer doch vergebens ein wichtiges Dokument, untersucht viele Marchen in den Gütern von Maladers, Cavraisen, Castiel, Molinis, Tschiertschen und Praden. - Er soll sonst ein gebürtiger adelicher Curer, A.S., gewesen sein, der in Vorder-Schanvigg sesshaft, dort Landammann geworden. Immer wieder muss er in die Stätte der Curer-Geister, in das Scalära- Tobel, zurückkehren.

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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