Die Pest-Leutchen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Zur Zeit der Pest in Bünden schlichen zwei alte kleine gespenstige Wesen, ein Männlein und ein Weibchen durch den Felsenbach (Clus) hinein in's Prätigau. Das Männlein trug eine Schaufel, das Weiblein einen Besen. Wie sie so in's Tal hineinschauten, sagte das Männlein: »ich gehe hinauf in die Berge, und schaufle herab, Du fegst im Tale.« -

In Pradisla kehrten sie im Wirtshause ein, um zu übernachten. Es war dies ein sonderbares Päärchen; Er trug in der einen Hand einen gewaltigen Bergstock, auf der Achsel ruhte die Schaufel. Das Weibchen trug einen Besen; unter ihrer zerknitterten Flor-Kappe hervor liessen die tiefgefurchte Stirne, und schneeweisse Locken sich sehen. Sie baten den Wirth um Imbiss und bescheidenes Lager. Am Morgen nahm der Wirth den »guten Alten« nichts ab, sondern be­trachtete es als Christenpflicht, dem Alter Wohltat zu erweisen. Wie aber das seltsame Paar vor seinem Weggehen für den folgenden Mittag ein Fest-Essen für mindestens dreissig Personen bestellte, kam das Erstaunen ihn an.

Die beiden Alten gingen ihren Weg, das Männlein nach Valseina hinauf, das Weiblein nach der »Schlossbruck« (Felsenbach, Clus), kam aber balde wieder mit ihrem Besen zurück. Ohne zu säumen, schlachtete der Wirt ein fettes Kalb; und nun ging es an ein Sieden und Braten, dass es eine Art hatte. Schlag zwölfe kam auch das Männchen mit der Schaufel herangehumpelt und meinte, heute habe er schon tüchtig geschafft.

Der Wirt schien das Männlein zu fragen, wann denn die Gäste kämen, indem er über deren Ausbleiben ganz verwundert war. - Das Männlein aber gab, eigentümlich lächelnd, Weisung zum Auftragen. Das wunderliche Päärchen setzte sich hin, und verschlang mit unnatür­lichem Heisshunger ein Gericht nach dem andern, bis das ganze Gastmahl aufgezehrt war. - Dabei schienen die zwei unheimlichen Gäste immer blasser und abgezehrter zu werden. Den Wirt und seine Frau überlief es eiskalt. Das konnte unmöglich mit rechten Dingen zugehen.

Nach der Mahlzeit fragte das Männlein (mit einem Seitenblicke auf das Weiblein) den Wirt nach der Schuldigkeit. Der aber erkannte nun, dass er es hier nicht mit Menschen, sondern mit Geistern zu tun habe, und schlug jede Bezahlung ab. »Wir werden Deine Freigebigkeit lohnen,« sagten die Alten. Der Alte fügte hinzu: »Ich schufla aba, du fägst zärnma.« - Damit ver­schwand das unheimliche Paar. -

Kaum aber waren sie fort, kam Kunde in's Haus, wie in Valseina die Pest ausgebrochen, und schon Viele daran gestorben seien. - Balde daraus kam von Seewis herab gleicher Hiobsbericht. Und es vergingen nicht zwei Tage, so wütete die Pest im Prätigaue, zu Berg und TaI. Überall klopfte der Würgengel an; wenige Häuser blieben verschont; ganze Familien, ja ganze Dörfer starben aus. - Statt des frohen, regen Lebens herrschte allerorts Todesstille, überall war Trauer. -

Einzig der Wirt in Pradisla und all' die Seinen blieben von der Pest verschont. Und jetzt wusste Derselbe, wen er vor einigen Tagen beherbergt hatte, es waren die Pest-Leutchen gewesen.

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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