Die Geschichte vom Ritter Molina

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Am 11. Januar 1828 ist zu Mayenfeld der alte Moser begraben worden, der »Eichhölzler«, wie man ihn gewöhnlich nannte. Dieser Eichhölzler war ein Vagabund von Profession; seinen Namen hatte er vom Eichholze,einem, zwischen Mayenfeld und Jenins liegenden Gute. Des Eichhölzlers Urgrossvater hatte nun dem Ritter Molina einen schul­digen Kapitalzins in das Herrschaftshaus Salenegg in Mayenfeld gebracht, war zufälligerweise Zeuge vorn unerwarteten Hinschiede des Ritters, und erzählt die darauf folgenden Begebenheiten, die er erlebt haben will.

Mein »Hinter-Ehni«, der Johannes Maser, gewöhnlich aber der »Geiger­Hans« genannt (es spielte nämlich Keiner, von Ilanz bis Davos, die Geige so schön wie er), wanderte also Salenegg zu, um dem gestrengen Herrn Ritter das Geld zu bringen. Der alte Caleb, des Ritters Kellermeister, führte ihn in seines Herrn Wohnstube. Dort sass der Ritter in seiner gewohnten Einsamkeit, seitdem er am Podagra litt und nicht mehr den Degen schwingen konnte, wie vordem. Neben ihm sass ein grosser, hässlicher Affe; das war der »Tristram«, eine böse Bestie, die alle Leute plagte. Mein Hinter-Ehni legte den Geldbeutel auf den Tisch, mit den Worten: »Ihr werdet Alles in Ordnung finden, Herr Ritter.« »Caleb, nimm den Geigerhans mit hinab, und gib ihm ein Glas Wein, dieweil ich das Geld zähle, und die Quittung schreibe.«

Kaum aber hatte der Ehni und der Caleb das Zimmer verlassen, vernah­men sie einen gellenden Schrei, der die Mauern des Hauses erzittern machte. Das war des Ritters Stimme. Caleb lief zurück, der Ehni folgte ihm, und die Bedienten stürzten herbei, währenddes der Ritter ein Mal über's And're schrie: »Hölle, Hölle, Hölle und ihre Flammen!«, und es entstand ein schreckliches Durcheinander. Meinem Ehni schwindelte der Kopf; er vergass Geld und Quittung, und flüchtete die Treppe hinab und fort. Wie er so fort rannte, verstummte auch der Lärm allmälig, und bald hiess es, der Ritter Molina sei tot.

Der arme Caleb, der seine Kammer neben dem Saale hatte, wo des Ritters Leiche lag, ging den alten Marugg an, dass er mit ihm die letzte Nacht bei dem Herrn wache, denn seitdem der tot liege, ertöne jede Nacht das sil­berne Pfeifchen, das Zeichen, dass er im Bette umgewendet sein wolle, wegen dem Podagra. Er fürchte sich allein zum toten Herrn zu gehen, und ihn umzukehren, wie wohl er »gut tot« sei. - So setzten sich die Zwei in Ca­leb's Kammer, und tranken Wein, und wachten, nach Sitte und Gebrauch. Um Mitternacht ertönte richtig das silberne Pfeifchen, so scharf und so schneidig, dass es ihnen durch Mark und Bein ging. Die beiden alten Diener, der Caleb und der Marugg, machten sich auf, und nahten sich, zitternd, dem Saale. Marugg sah auf den ersten Blick schon genug: Kerzen brannten im Saale, der tote Herr sass aufrecht im Sarge, der Affe hockte neben dem Sarge.

Marugg fiel ohnmächtig um, und war keiner Bewegung und keines Lautes mehr mächtig. Es war ihm, als höre er draussen vor dem Hause eine Kutsche heranrollen, das Haustor sich öffnen, und schwere, langsame Tritte die Treppe heraufkommen, näher und immer näher, den Gang her, bis an die Saaltüre, an welcher er ein Pochen vernahm. Dann sah er, wie der Ritter aus dem Sarge sich erhob, und einen tiefen, grauenhaften Seufzer ausstossend, nach der Türe schritt, neben ihm weg, und - verschwand. Erst als am Morgen das trübe Zwielicht durch die Bogenfenster blickte, vermochte Marugg aufzustehen, und - wahrhaftig - der Sarg war - leer. Dafür aber lag, zwei Schritte vom Sarge entfernt, die Leiche des armen Caleb. Man suchte nun zwar, so gut es ging, die böse Sache zu »vertuschen«, aber was geschah?

Als der Leichenzug eben zum Schlosstore heraustrat, öffnete sich oben plötzlich ein Fenster, und heraus beugte sich das gespenstige Totengesicht des Ritters, der mit heiserer Stimme die Träger fragte, ob sie schwer hät­ten? - Nun war es freilich zu Ende mit dem »Vertuschen«, denn über hundert Leute hatten den Spuck gesehen; und diese Geschichte machte grossen Rumor im Lande herum. Nach diesem merkwürdigen Ereignisse mit dem Ritter Molina, betrat Hector, dessen Sohn, die Erbschaft, und beschied, rückständige Zinsen einziehend, auch meinen Ehni. Es half aber nichts, dass Derselbe beteuerte, das, Geld abgegeben zu haben, der Caleb habe es ja noch gesehen, - und Quittung zu fertigen, daran hätte der Tod den Ritter verhindert.

Der Junker Hector und der Ehni kamen bald in Streit miteinander. »Wo glaubt Ihr denn, Geigerhans! dass das Geld sei!?« »In der Hölle, bei Eurem Vater und seinem silbernen Pfeifchen,« wütete der Ehni, und - zur Türe hinaus, und fort, indess der Junker nach Ammann und Weibel schrie. Der Ehni kehrte im Zorn im Wirtshäuslein der Stini Fausch in der Clus ein, liess sich ein Glas Brantwein kommen, trank Denselben in zwei Zügen, und brachte dabei den Wunsch und Trinkspruch: »dass der Molina im Grabe keine Ruhe finden solle, bis der Geigerhans sein Recht habe, und - auf die Gesundheit des bösen Geistes, wenn Selbiger ihm zum Gelde oder zur Quittung verhelfe,« und ritt fort, heimwärts auf das Zinsgut, das er von Molina hatte.

Bald gesellte sich ein fremd aussehender Mann zu Pferde zu ihm, mit dem er sich ins Gespräche einliess, und dem er den ganzen Handel mit dem Ritter und dem Junker erzählte. Währendem der Ehni meinte, es gehe bald aufwärts, Seewis zu, hatte er es im eifrigen Gespräche und betäubt von Branntwein, nicht bemerkt, dass sie bei der »dunklen Buche« Kehrt gemacht hatten, den gleichen Weg wieder zurückkamen, und längst schon Malans und Jenins hinter sich hatten. »Den Molina kenne ich ganz gut!« lachte der Fremde hellauf, »der ist jetzt mein Diener und ich sein Herr; kommt mit, er soll Euch die Quittung geben.« »Ich habe Mut, wegen der Quittung bis an die Pforten der Hölle und noch einen Schritt darüber - zu gehen,« rief der Ehni. Wiederum lachte der Fremde, fort gings durch die finstere Nacht, bis die Pferde am Tore eines grossen Hauses stehen blieben.

Hätte mein Ehni nicht gewusst, dass es nicht sein konnte, so würde er sicher geglaubt haben, das sei Salenegg. - Sie ritten in den Hof. Die Vorder­seite des Hauses war hell erleuchtet, - da ertönten Trompeten und Geigen, da wurde getanzt und jubiliert, wie dann und wann zu des Ritters Lebzeiten es geschehen war. Sie stiegen ab, und mein Ehni band, wie es ihm schien, sein Ross an denselben Ring, an den er es schon mehr angebunden hatte, wenn er mit dem Zinse nach Salenegg kam. »Gott«, dachte der Ehni, »wenn der Tod des Ritters nur ein Traum wäre.« Er sah sich nach dem Fremden um, der und dessen Ross waren aber spurlos verschwunden. Der Ehni klopfte an das Haustor, und siehe da - wie gewöhnlich, öff­nete sein alter Bekannter, der Caleb, ihm, und redete ihn an: »Seid Ihr auch da, Geigerhans? Der Herr hat soeben nach Euch gefragt«. Der Ehni glaubte, zu träumen, ermannte sich aber, und fragte: »He, Caleb, lebet Ihr denn auch noch, ich dachte, Ihr wäret gestorben«, »Küm­mert Euch nicht um mich«, erwiderte Caleb, »sondern habet für Euch Sorge, nehmet von Niemanden Etwas an, weder Essen, noch Trinken, noch Geld, einzig Eure Quittung, die dürfet ihr nehmen.«

Mit diesen Worten führte Caleb den Ehni über Treppen und Gang in das, ihm wohlbekannte, mit Eichenholz getäfelte Wohnzimmer. Dort ging es toll her, wie es bei des Ritters Lebzeiten oft der Brauch gewesen, und von den, um den Tisch herumsitzenden Gestalten erkannte der Ehni manchen alten Bekannten. Dort sassen der alte Schauensteiner, der sparsame Brügger, auch Baldiron, genannt der »neue Holofernes«, mit seinem langen Barte, der wilde Robustelli, mit blutbefleckten Händen, Hans Peter Guler, der Georg Jenatsch in seinem roten Rocke und Spitzenkragen, und noch andere mehr. - Auch von Denen, die nicht am Tische sassen, sondern standen, kannte der Ehni welche, so den berüchtigten Bosca, den Übeltäter, und den Gerichtswelbal von Tusis, den man den »Teufelsranzen« nannte; sogar unter den Dienern sah er wohlbekannte Gestalten, die kamen und gingen, und verrichteten ihre Geschäfte, als lebten sie noch. Mitten im furchtbaren Tumulte gebot plötzlich der alte Molina mit Donnerstimme dem Geigerhans, zu ihm zu kommen. Da sass der Ritten also, die Füsse ausgestreckt, mit Flanelle umbunden, die Halfter-Pistole neben ihm, das grosse Schlachtschwert am Stuhle angelehnt, - just Alles wie ehedem. - Aber der Tristram war nicht da, nur das leere Kissen, auf dem er sonst gehockt; wahrscheinlich war seine Zeit noch nicht gekommen, denn als der Ehni dem Ritter sich näherte, hörte er Einen fragen: »ist der Tristram noch nicht da?« Ein Anderer antwortete: »Der Affe wird kommen, wenn der Tag anbricht.«

»Nun«, sprach der Ritter zum Ehni, »hast Du mit meinem Sohne wegen dem Pachtzinse abgerechnet?« Mit grosser Mühe brachte der Ehni die Worte hervor, »der Junker wolle ohne die Quittung sich nicht zufrieden geben.« »Nun, spiele uns auf: >zwischen Cur und Mayenfeld<, aber schön! dann sollst Du die Quittung haben«, erwiderte der Ritter, »und Du Caleb, Du Teufelsblut, bringe dem Hans die Geige, die ich für ihn aufbewahrt habe.« Caleb brachte eine Geige, aber der Ehni bemerkte gleich, dass der Hals derselben von Stahl und glühend war. Er nahm die Geige nicht, und gab zur Ausrede, er sei zu sehr erschrocken. »Nun so müsset Ihr doch essen und trinken wie wir, denn es ist nicht immer gut, nüchtern zu sein.« »Er sei nicht gekommen, um zu essen und zu trinken, noch um aufzu­spielen, sondern um die Quittung zu haben, und die solle er ihm jetzt geben,« forderte der Ehni. Der Ritter fletschte die Zähne, und schrie: »Da ist Deine Quittung, Du erbärmlicher Wicht, und das Geld liegt im >Katzenwinkel<.« Der Ehni bedankte sich beim Ritter, und wünschte, in Gottes Namen, seiner Seele Ruhe und Frieden; und kaum hatte er das Wort »Gottes« aus­gesprochen, ward es plötzlich ganz finster, und er fiel mit einem heftigen Schlage zu Boden, dass er Atem und Bewusstsein verlor.

Wie er aber nach einiger Zeit wieder zu sich kam, schaute er um sich; da lag er auf dem Friedhofe von Mayenfeld, neben ihm stand das Grabmal des Ritters Molina, und ruhig weidete sein Pferd neben den beiden Kühen des Pfarrers. Der Ehni hätte Alles für einen Traum gehalten, aber er hielt die Quittung in der Hand, schön geschrieben und vom Ritter selber unter, zeichnet. Innerlich von heftiger Unruhe bewegt, verliess der Ehni den schaurigen Ort, schritt im Morgennebel Salenegg zu, und ging zum Junker. »Nun, rief Dieser ihm entgegen, bringt Ihr mir den Zins, Geigerhans?« »Das nicht, aber Eures Vaters Quittung darüber; seid so gut, und sehet nach, ob sie richtig ist.« »Was? meines Vaters Quittung, Elender, Du wirst nicht deswegen in der Hölle gewesen sein?« fragte erstaunt der Junker. »Mach's kurz, oder ich klage Dich beim Gerichte an!« Doch fasste sich der Junker bald, und nun erzählte der Ehni die ganze Geschichte, Wort für Wort. Am Ende sagte dann der Junker ganz ruhig: »Höret, Hans, ist Eure Geschichte wahr, so wird auch das Geld sich finden im >Katzenwinkel<, aber wo ist denn Der? Findet sich das Geld, dann wohl und gut, sonst aber geht's Euch böse, weil die Geschichte viele adelige Fa­milien im Lande betrifft, und dann über Euern schlechten Spass übel geur­teilt werden dürfte.« Der Ehni sagte, wir wollen den alten Marugg fragen, er kennt jeden alten Winkel im Schlosse, sicherlich auch den »Katzenwinkel«. Man fragte nun den alten Marugg darum, und der sagte, dass man von jeher den obersten Teil des Turmgebäudes den »Katzenwinkel« genannt habe; schon längst sei der Platz ganz unbrauchbar, nur eine Leiter führe vom Turrn-Estriche hinauf. »Da will ich den Augenblick hin,« rief der Junker, ergriff - wozu das?, weiss der Himmel - eine von den Pistolen seines Vaters, und eilte nach dem Turme. - Obgleich die Leiter schlecht war, und einige Sprossen fehlten, stieg der Junker hinauf, und betrat den finstern Verschlag. Da fuhr Etwas wütend auf ihn zu, und stürzte ihn fast rücklings hinab. - Die Pi­stole ging los, und Marugg und mein Ehni, die unten standen, und die Leiter hielten, damit der Bunker nicht falle, vernahmen ein gellendes Ge­schrei. Eine Minute darauf warf der Junker ihnen den Körper des Tristram herab, und rief, auch das Geld habe sich gefunden. Der Junker brachte den inhaltsschweren Geldbeutel herab. Es war also der Affe gewesen, der das Geld »verrobet« hatte; nun war seine Zeit da, nun durfte er zu seinem Herrn, und an dessen Seite den alten Platz auf seinem Kissen wieder einnehmen.

Der Junker führte den Ehni ins Wohnzimmer, und redete ihm zu, und versprach ihm, weil seine Unschuld nun bewiesen sei, ein gütiger Herr gegen ihn sein zu wollen, trug die Quittung ins Zinsbuch ein, und erliess dem Ehni sogar einen Teil vom jährlichen Zinse. Auch gab er dem Ehni eine neue Quittung, indes er die, welche der alte Ritter ausgestellt hatte, mit der Zustimmung des Ehni in's Feuer warf. Diese Quittung verbrannte nicht, sondern flog weg, durch den Schornstein hinauf, Funken sprühend und zischend, wie eine losgelassene Rakete. Von der Zeit an nahm der Ehni ein ganzes Jahr lang keine Geige mehr in die Hand. und schütte auch nicht mehr so eine Halbe nach der Andern durch die Gurgel, denn er musste immer an den Ritter Molina denken.

Nachschrift. Erscheint nun in dieser Sage der Ritter Anton Molina in keinem günstigen Lichte, wird er anderseits in einer Biografie bündnerischer Helden und hervorragender Männer des 17ten Jahrh. als ein edler Mann und Vaterlandsfreund geschildert, der eben eher für des Vaterlands Sache gekämpft, und ihm treue Dienste erwiesen hat. - Schlimmstenfalls war er weder besser noch schlechter, als die damaligen Staatsmänner es gewesen; doch waren ihrer Wenige, die den echten, rechtschaffenen Ritter-Adel besassen. -

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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