Die "gstellten" Ziegen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Als der vor vielen Jahren verstorbene Mühli-Leart (Mühle-Leonhard) noch jung war und nach Knabenart im Hause herumschnüffelte, fand er auf der "Oberdiele" in einem alten Troge ein von Würmern durchlöchertes Buch. Da waren sonderbare Zeichen und Wörter drin. Diese erschienen ihm so lustig. Im Lesen war er zwar kein Meister; doch mit Geduld überwindet man Speck und Sauerkraut. Gar nicht lange hatte er daran herumbuchstabiert, so wurde er in seinem Vergnügen gestört. "Oh Jesis, oh Jesis Gott!" hörte er seine Mutter jammern, "d'r ganz Geissfasel ist gstellt; er floht ob üsaram Huis, in da Mühlihöpp, cha weder fürschi nu Hinnerschi, un üseri zwoa Geiss sin o dabei. Wer stegget echt du drhinner; weli Häx oder wela Häxameister het üs alla das atoa? Ma chunnt gär nit druis!"

In den "Mühlihöpp" standen wirklich sämtliche Ziegen des Dorfes dem Wege entlang ganz unbeweglich, von einer Menge weinender Frauen und fluchender Männer umgeben.

Der Mühli-Leart dachte gleich, er könnte das Unheil angerichtet haben. Zitternd vor Furcht gestand er seine Schuld.

Jetzt wusste man wenigstens, wie Abhilfe zu schaffen sei. Jene Worte, welche der junge Mühli-Leart gelesen, mussten wieder "hinderschi" gelesen werden. Das aber konnte nur einer im ganzen Dorfe. Es war Simon Tischhauser, welcher in Frankreich dem Bäckerberufe obgelegen hatte, und der daher kurzweg Simmabegg genannt wurde, Dieser war aber gerade abwesend. Wenn der Zauber nicht vor Sonnenuntergang gehoben werden konnte, waren die Ziegen unrettbar verloren. Nach manchen bangen Stunden wurde Simmabegg glücklicherweise gefunden, und bald war den Ziegen wieder Leben und Beweglichkeit gegeben.

Der Mühli-Leart hat für sein Leben lang die Kunst im Lesen nicht mehr versucht, und Simmabegg fand bei den Geihbauern wenig Dankbarkeit; denn lange Zeit bewohnte er in grösster Armut eine Höhle beim Glatthaldensteinbruche und starb hochbetagt im Armenhause.
Heinrich Hilty.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 144, S. 68f

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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