Der verhängnisvolle Traum

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Dem Niggi Eggel in Weingarten träumte drei Nächte nacheinander, auf der Rhonebrücke bei Sitten werde er sein Glück finden. Der Niggi lachte über den Traum und erzählte ihn seiner Frau. Diese aber sagte, es sei doch sonderbar, dass er grad dreimal nacheinander dasselbe geträumt habe, das müsse schon seine Bedeutung haben und sie rate ihm, dem Traume nachzuforschen und eine Wallfahrt zum St. Peterskirchlein zu unternehmen, unterwegs werde er über die Rhonebrücke kommen und dann sehen, ob sie recht habe oder nicht.

Der Mann hatte schon lange im Sinne gehabt, eine Wallfahrt auszuführen, und so machte er sich ohne langes Besinnen auf die Reise. Vor dem Städtchen Sitten kam er ganz richtig über die Rhonebrücke, aber so sehr er auch die Augen aufsperrte, so bemerkte er doch nichts Besonderes an dem Rhoneübergang. Auf dem Rückweg besah er sich wiederum die Brücke und diesmal etwas genauer. Aber er fand wiederum nichts Apartes, es war eine Brücke aus Balken und Laden gezimmert, wie man sie im Wallis überall findet, sogar über tiefen Schluchten, wo es schauerlich hinabzusehen ist. «Träume sind halt doch nur Träume», sagte er. Da kam ein Mann von der andern Seite, der ihn fragte, ob er etwas verloren habe auf der Brücke. Niggi lachte und sagte nein, aber es habe ihm etwas ganz Dummes von dieser Brücke geträumt, nämlich, er werde hier sein Glück finden. Der andere lachte auch und sagte, er solle sich um einen solchen Traum nur nicht kümmern, ihm hätte auch geträumt, in einem alten Häuschen in Weingarten, im Keller neben dem Stutt (Stütze) liege ein Schatz begraben. Nun wisse er nicht einmal, wo dieses Weingarten liege, geschweige denn das Häuschen, und des­halb lasse er sich eines solchen Traumes wegen keine grauen Haare wachsen.

Der Niggi Eggel steckte den Zeigefinger in den Mund und sagte nichts darauf; er machte ein nachdenkliches Gesicht und schritt fürbass. Er beeilte sich, nach Hause zu kommen, denn es schwebte ihm vor, der Mann auf der Rhonebrücke könnte von seinem Häus­chen geträumt haben, und in seinem Keller möchte der Schatzliegen. Zu Hause angekommen, eilte er mit einem Pickel und einer Schaufel in den Keller, bevor er nur der Frau guten Abend gewünscht hatte, und als er das Werkzeug mit allen Kräften in den Boden schlug, prallte es an einem harten Gegenstande ab. Er schaufelte die Erde weg, und nun kam eine Steinplatte zum Vorschein und darunter ein irdener Topf voll der schönsten Goldstücke. Er nahm das Gold hin­auf in die Stube, zählte es und versteckte es hinter dem Bette. Kei­nem Menschen sagte er etwas von dem herrlichen Schatze. Auf der Rhonebrücke bei Sitten hatte er wirklich sein Glück gefunden.

Nun riss er sein altes baufälliges Häuschen nieder und richtete ein anderes an dessen Stelle auf, das er einen Stock höher baute, mit ausladendem Dache, damit es vor Sonnenbrand, Sturm und Regen geschützt sei. Bald aber fingen die Leute an zu munkeln und zu raten, wo der arme Niggi das Geld dazu hergenommen habe, und es hiess, das könne er nur gestohlen oder vom Teufel erhalten haben. Und eines Tages wurde er vor Gericht geladen.

Die Richter erbten damals einen Teil vom Vermögen der zum Tode Verurteilten, und so lag es in ihrem Interesse, gegen den Niggi mit aller Härte vorzugehen. Der arme Mann wurde in den Turm geworfen, des Diebstahls und der Zauberei beschuldigt, und da sich ein ganzes Dutzend von Zeugen fanden, die gegen ihn auftraten - denn schlechte Leute finden sich überall - sollte er auf der Folter seine Schuld eingestehen. Er erzählte ehrlich, wie er zu dem Gelde gekommen sei, aber niemand glaubte es ihm. Zuerst wurde er nur leichten Foltern, der Daumenpresse und dem Fusseisen ausgesetzt, dann schweren und zuletzt ganz schmerzvollen Martern. Zwischen den Foltern wurde ihm Zeit gelassen, sich auf seine Missetaten zu besinnen. Diese Pausen gönnte man den Verurteilten nur, damit sie sich erholen und wieder neue schreckliche Foltern zu ertragen vermöchten.

Unterdessen machte die Geschichte von dem merkwürdigen Traum und den gehobenen Schätzen die Runde durchs Land, gelangte auch nach Sitten und kam zu den Ohren des Unbekannten, der dem Niggi auf der Rhonebrücke begegnet war und ihm von seinem Traume und dem Schatze zu Weingarten erzählt hatte. Er war ein braver Mann, dem es ans Herz ging, dass ein Unschuldiger den Martertod erleiden sollte. Er reiste sofort ins Oberwallis und legte sein Zeugnis ab für den unglücklichen Niggi. Der Arme war eben wieder in die Folter­kammer geschleppt und dort schrecklich zugerichtet worden. Sofort wurde Befehl gegeben, ihn frei zu lassen, aber die Freiheit kam zu spät. Er wurde mit gebrochenen Gliedern und entstelltem Gesicht, den Todesschweiss auf der Stirne, in einer Handwanne nach Hause gebracht, wo er drei Tage später gestorben ist.

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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