Die Feuerreiter

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es war in der grauen Vorzeit, als dort, wo die Gletscherlawinen jetzt donnern, sich grüne Alpen dehnten, und zu hinterst in den hohen Alpentälern noch Dörfer und Weiler standen, wo feines Obst gedieh, die Reben grünten und einen köstlichen Wein spendeten. Im hinteren Talgrund des Turtmanntales sollen in alter Zeit die Dörfer Gruben, Mieden und Blumatt gestanden haben, grad dort, wo heut die Herden in den besten Sommermonaten das Alpkraut weiden. Die Präsidenten der drei Dörfer waren Spitzbuben, die die Leute bestahlen, das Geld heimlich in Fässern sammelten und die Schätze unten im Pfaffenholz vergruben. Die Dörfler merkten nicht, dass das Geld, das sie in guten Treuen an die Gemeinde bezahlten, in die Taschen der betrügerischen Präsidenten floss, und wenn dieser oder jener etwas munkelte, der Präsident sollte einmal Rechenschaft ablegen, fuhren ihm die andern übers Maul, schrien, er sei ein frecher Gesell und solle lieber schweigen. So blieb es beim alten, und der Betrug wurde erst entdeckt als alle drei Betrüger schon unter der Erde lagen.

Darnach hiess es, im Pfaffenholz sei es nicht geheuer. Man habe dort die drei Präsidenten gesehen, die zur Strafe für den unerhörten Betrug geistern müssten und nur alle hundert Jahre einmal erscheinen und sich offenbaren dürften.

Viele hundert Jahre waren seitdem verflossen. Das Klima war rauher geworden, grosse Gletscher hatten sich gebildet und waren vorgerückt über die kahlen schroffen Wände hinaus und hatten die hintersten Tälchen ausgefüllt. Die drei Dörfer waren verschwunden und hatten grossen, schönen Alpen Platz gemacht. Ab und zu stiessen die Hirten auf Spuren gepflasterter Dorfstrassen, und hier und dort fand man Hufeisen, Fensterrahmen und Mauersteine.

Da wanderte einst ein Senne von der Meidenalp spät abends taleinwärts. Er hatte im Rhonetal unten für eine kranke Kuh Arznei geholt. In langen Schritten eilte er dem brausenden Talwasser entlang, und als er ins Pfaffenholz kam, mochte es gegen Mittemacht rücken. Die strenge Wanderung hatte seinen Gaumen getrocknet, und so bückte er sich zum nächsten Bächlein, das durch eine Runse floss und löschte den Durst. Als er sich wieder erhob, stand ein Mann vor ihm in altväterischer Kleidung, in Kniehosen und dem Dreispitz auf dem Kopf und redete ihn an: «Ich bin einer der drei Dorfpräsidenten‚ die vor vielen hundert Jahren die Gemeinden im Tale betrogen haben. Wir haben die Strafe dafür erhalten und müssen umgehen bis wir erlöst werden. Heute sind abermals hundert Jahre verflossen und daher darf ich mich offenbaren. Sei doch so gut und erlöse uns!»

Der Senne hörte atemlos zu, und da er ein gutes Herz hatte, sagte er, er sei bereit, sie zu erlösen. Was er tun solle. «Komm morgen um Mitternacht und in den zwei folgenden Nächten ebenfalls zur Vollenbrücke und warte auf uns. Dreimal nacheinander, immer um dieselbe Zeit, werden wir dir erscheinen, und wenn du stand hältst und keinen Schritt zurückweichst, so wirst du uns erlösen, und wir werden dir den Schatz zeigen, den wir gestohlen haben. Im Pfaffenholz liegen drei Fässer mit Gold vergraben; das erste und grösste Fass darfst du behalten, das zweite wirst du der Kirche geben und den Inhalt des dritten an die Armen austeilen!» Nach diesen Worten verschwand der Geist. Der Senne setzte den Heimweg fort, und fast gereute es ihn, sein Wort verpfändet zu haben. Doch als er am Morgen erwachte und sich ankleidete, musste er an die Goldschätze denken, die ihm der Geist versprochen hatte. Bald darauf wurde ihm gemeldet, dass seine beiden Schafe in einer Steinlawine umgekommen seien. Nun konnte er das Geld doppelt gut gebrauchen, und so nahm er sich vor, zur verabredeten Stunde an dem bezeichneten Orte zu erscheinen und den Preis zu verdienen. Mit dem vielen Geld konnte er die Alp kaufen samt dem ganzen Viehstand, und dann musste er auch Präsident werden.

Als es gegen Mitternacht rückte, machte er sich auf den Weg und langte kurz vor der bezeichneten Zeit bei der Vollenbrücke an. Unter ihm rauschte und gurgelte das Wasser; er glaubte das Rollen der Steine im Flussbett noch nie so deutlich gehört zu haben. Der Himmel war mit Wolken verhängt, und hier und dort blitzte ein Sternchen durch die finstere Wolkenwand. Er brauchte nicht lange zu warten. Plötzlich flammte es im Walde auf. Unter schrecklichem Gepolter erschienen drei kohlschwarze Pferde, von armsdicken Schlangen umwickelt, die Gift und Galle spien, und die Tiere bäumten sich und schnoben Feuer. Der Senne klammerte sich an der Brückenlatte fest und hielt stand, obschon ihm das Herz vor Angst pochte. Er fürchtete, von den Pferden zertreten und von den Schlangen getötet zu werden, aber drei Schritte vor ihm bäumten sich die Pferde, schwenkten ab und verschwanden. Der Senne konnte sich lange nicht erholen, so grossen Eindruck hatte ihm die Erscheinung gemacht. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging nach Hause.

In der zweiten Nacht war er wieder bei der Brücke. Diesmal hatte er schon weniger Furcht, denn er wusste, dass ihm kein Leid geschehen konnte, wenn er nur recht standhaft blieb. Auf einmal dröhnte der Boden, und wieder kamen die Rappen dahergesaust. Statt der Schlangen ritten drei Bären auf den Pferden, die den Rachen aufsperrten, nach ihm fletschten und mit den Klauen dräuten. Der Senne zitterte an Armen und Beinen, und seine Haare sträubten sich, aber er wich keinen Zoll breit zurück, und als die Geister wie gestern Nacht zur Seite abbogen, atmete er auf und trat den Heimweg an.

Jetzt noch eine Nacht und er war der reichste Mann der ganzen Talschaft und bald auch Präsident. Um sich ja nicht zu verspäten, ging er schon früh zu der Brücke. Am Himmel zogen schwarze Wolken herauf, Blitze zuckten, und ein Gewitter rückte näher und näher. Ein kalter Wind setzte ein und ihn schauerte. Schon glaubte er, die Geister kämen nicht, als auf einmal der Blitz dicht neben ihm einschlug und ein heftiger Donnerknall ertönte, der ihn ganz betäubte. Im gleichen Moment erbebte der Boden, als ob eine Schwadron auf ihn angeritten käme. In sausendem Galopp und mit gezückten Flammenschwertern fuhren drei pechschwarze Reiter auf ihn los. Sie schwangen die Schwerter und stachen gegen ihn. Da liess er die Latte fahren und lief taleinwärts‚ so schnell ihn die Füsse trugen. Ganz dicht hinter ihm folgten die feurigen Reiter. Da verging ihm der Atem, und bei der nächsten Wegbiegung fiel er ohnmächtig zu Boden. Er hörte den Fluch nicht, den die Reiter ausstiessen.

Als er am Morgen erwachte, lag er auf dem Düngerhaufen neben seiner Hütte. Ja neben seiner Hütte! Die stand nicht mehr. Er sah nur schwelende Trümmer. Der Blitz hatte in der Nacht sein Haus entzündet und ihm seine zwei Kühe erschlagen. Er war auf einmal ein bettelarmer Mensch geworden. Da war für ihn im Tale kein Bleiben mehr. Er schämte und grämte sich, so feige davongelaufen zu sein, grad in dem Moment, wo er ein steinreicher Mann hätte werden können. Er verliess die Gegend und verschwand spurlos.

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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