Der Schatz im Grafenschloss

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Viele stolze Schlösser gibt es, die bogenfenstrig ins Land niederschauen, auf deren Giebel die Fahnen sich blähen und zuweilen ein Wächter auf seinem Horn tutet als Zeichen, dass hoher Besuch naht.

Die Feste aber, von der dieses Märchen berichtet, war nicht mehr bewohnt. Auch auf hoher Warte und mit Zwiebeltürmen bewehrt, flatterten um die Zinnen nur hungrige Dohlen und Spinnweb und kreischten die Sturmfähnlein in den rostigen Angeln. Turmwart ist der Kauz geworden, der im Mauerloch nistet und des Nachts sein «Ist alles vorüber - vorüber» in schauerlichen Tönen dem Berg und Tale klagt. Denn wie es so geht, das Grafengeschlecht war verarmt und vergriff sich habgierig an Leib und Gut der Bauern, und als der letzte der Junker abkratzte und das Totenglöcklein seiner armen Seele zum Heimgang bimmelte, vergoss niemand eine Träne. In wildem Tumult stürmten die Bauern den Burghügel hinauf und stöberten nach Schätzen, kostbaren Teppichen und Edelgerät, fanden aber nichts mehr als Strohmatten, brüchiges Geschirr, Betten und leere Truhen, die wurmstichig waren und des Raubes nicht lohnten. Die Gemächer blieben in dem Zustand, in dem der letzte Burgherr das Zeitliche gesegnet, und der Gewalthaber der Bäuertgemeinde nahm die Schlüssel in Verwahrung. Über ein Kleines munkelte es durch die Dorfgassen, man sehe in der Nacht Lichter aufblitzen und in den hohen Rittersälen verhuschen, am hellichten Tage geistere es um die Brunnstuben und kobolde in den KeIlergewölben, und das seien die abgeschiedenen Landesherren, die umgingen und ihre Übeltaten sühnten.

Einst kamen zwei fremde Gesellen ins Dorf und baten nicht gerade höflich um Obdach. «Es ist nirgends ein Bett frei», sagte der Gewalthaber, «auch bei mir nicht. Geht eine Strecke weiter, und nächtigt in der Herberge!»

«Das tun wir nicht. Wir sind den ganzen Tag gelaufen und zum Umfallen müde. Können wir nicht im Schloss die Nacht zubringen?»

«Lieber nicht. Aus unserer Gegend würde sich niemand des Nachts hineingetrauen, denn da oben geht es mit unrechten Dingen zu.»

«Was ficht uns das an, Gespenster hin, Gespenster her, es soll uns niemand beschummeln und über den Löffel balbieren. Den Schlüssel her oder» - sie rollten die Augen und griffen nach dem Messer im Gürtel.

«Gut, ich komme mit.» Er begleitete die frechen Burschen auf den Hügel, und da sie nicht umzukehren wünschten, sich protzig benahmen und des Bauern Ängstlichkeit belächelten, schloss er das Portal auf und führte sie in das Burgherrenzimmer.

Am nächsten Morgen, als die beiden nicht erschienen, ging er mit seinen Knechten hinauf und fand sie erdrosselt und verstümmelt auf dem Fussboden.

Seitdem verstrichen sieben Jahre, ohne dass jemand das Schloss betreten hätte. Auf den Zinnen des Wehrganges wucherte das Unkraut, auf den Ziegeln grünten junge Birken, und im Hofe bauten die Füchse ihre Höhlen. Da meldete sich beim Gewalthaber ein Handwerksbursche mit staubigen Füssen und offenen, eisblauen Augen und ersuchte um Unterkunft.

«Es ist nirgends Platz im Dorf», bedauerte der Bauersmann, und zum Schloss hinaufschielend, «freilich, da oben würdest du in einem guten Bette schlafen, doch rate ich ab, sonst könnte es dir ergehen wie vor Jahren den zwei armen Gesellen, die tot und schrecklich zugerichtet in ihrem Blute lagen.»

«Ich bin ein schuldloser Wanderer von gutem Ruf und Gewissen, wer würd mir ein Leides antun?» versetzte der Jüngling und streifte die Armel zurück. «Seht diese Narben und Schrammen! Schon manchen Hosenlupf habe ich siegreich bestanden mit Wesen von Fleisch und Bein, wie sollte ich mit knochenlosen Gespenstern nicht fertig werden! Man muss sich nur richtig benehmen und nicht ins Bockshorn jagen lassen. Gebt mir, bitte, eine Pistole mit, geladen mit Sauschrot, einen Dolch, eine geweihte Kerze und Gesegnetes, und überlasst mir den Rest!»

«Du rennst mutwillig ins Verderben», grollte der Gewalthaber, «bei deinen hellen Augen, du tätest mir leid. So einer ist mir noch nie vorgekommen. In Gottesnamen, vielleicht - vielleicht» - er besorgte ihm das Gewünschte, trottete mit zum Schlosseingang und überwies ihm das Burgherrenzimmer.

Der kecke Jüngling besah sich die getäfelte Stube, das muffige Bett und die Stühle, die bei der blossen Berührung stöhnten und wackelten. Er versuchte die Fensterbalken aufzuschliessen, und weil alles Zerren und Rütteln umsonst, verrammelte er die Tür mit Schloss und Riegel, legte das Gewaffen aufs Nachttischchen, zog die Stiefel aus, löschte die Kerze und empfahl sich Gott. Die Müdigkeit schloss ihm die Augen, und er schlummerte wie ein Murmeltier.

«Herein!» rief er, vom Schlafe betäubt und fachte das Licht an.

So laut hatte man an die Türe gehämmert, dass er halben Leibes emporgefahren war. Es klopfte zum zweiten. «Herein denn!» wiederholte er und drehte sich unwirsch herum. Wie besessen stampfte jemand an die Pforte. «Tut selber auf, ich öffne nicht.»

Die Tür sprang auf, ein Windstoss blies ihm die Kerze aus und wirbelte die Decke von den Füssen. Gemächlich zündete er wieder an. Fünf schwarze, garstige Zwerge mit borstigen Köpfen und verbogenen Füssen standen im flackernden Schein, fuchtelten mit den Armen und zeigten nach der Tür. Das sollte wohl heissen: Begleite uns!

«Wenn ihr's durchstieren wollt, ihr Ruhestörer, ein bisschen Geduld, bis ich die Schuhe gebunden habe. Wach bin ich, Furcht hab ich keine, in Gottesnamen, geht voran!» Er steckte Pistole und Dolch in den Gürtel, nahm die Kerze in die eine, das Gesegnete in die andere Hand und stolperte den Zwergen nach, drei lange feuchte Schneckentreppen ins Kellergeschoss, in dem die Ratten und Mäuse eben Fangmich gemacht hatten.

Unter dem Gewölbe blieben die Wichte stehen, zeigten ihm Pickel und Schaufel und bedeuteten, Hand anzulegen. Gelassen stopfte er die Hände in die Hosensäcke und schüttelte. den Kopf. «Ich bin kein Maulwurf, wer hier graben will, tue es selbst!» Die Pickelhiebe klirrten in dem steinigen Boden und legten einen schwarzen Kessel frei. Alsogleich warfen die Knirpse das Werkzeug weg und wiederholten das stumme Gebärdenspiel. Mit derselben Gelassenheit sagte er: «Ich habe hier nichts vergraben und grabe nichts aus.» Da taten sie es selber und wuchteten das Gefäss aus dem Loch. Er sollte die Erde daneben ausheben, und auf seine entschiedene Absage stocherten nun die Zwerge und entblössten einen schwarzbehaarten Koffer, den eine dicke Eisenplatte schirmte. «Nicht ich, handelt selber!» kam er ihnen zuvor, und willig schlossen sie die Truhe auf - eine Schlange züngelt und schwingt den giftigen Kopf hin und her. Entsetzt weichen die Kobolde zurück und starren auf den Fürchtenichts, der den Ungast mit beiden Fäusten am Halswirbel packt und gegen die Mauer schmettert. Statt der Schlange fiel ein Rosenkranz in den Moder. Die Zwerge rieben die Augen, reckten die Arme und Beine, wuchsen und wuchsen zu menschlicher Höhe empor, und ein Jubelschrei entfuhr den entbundenen Zungen. «Wir sind erlöst, dem Himmel sei Lob und Dank! Hättest du nur ein einzig Mal den Spaten ergriffen, wie Kraut und Rüben wärst du von uns zerrieben worden. Noch bist du nicht ausser Gefahr. Gelingt es dir, Kessel und Koffer vor der Morgenglocke ins Zimmer hinauf zu bürden, so bist du aller Schrecken und deiner Dürftigkeit ledig. Gedenke der Armen, damit du des wahren Reichtums teilhaftig wirst!» Sie geleiteten ihn ins Zimmer hinauf, stiessen Fenster und Laden zurück und schwirrten als weisse Tauben in die Lüfte.

Potz Krach und Krieg, war das ein seltsames Abenteuer gewesen! Er sass auf dem Bettrand und prüfte Dolch und Pistole, denn noch war es nicht zu Ende. Wohlausgerüstet stieg er in den Keller hinunter, um Topf und Koffer zu holen. Das Tor war gesperrt und auf keine Weise zu öffnen. «Dir will ich den Kolder austreiben», rief er energisch, spannte den Hahn der Pistole und knallte mitten hinein. Wie eine Kanone donnerte der Schuss, widerhallte, und beim siebenten Echo flog die Tür auf. Zusammengerollt auf der Kiste fauchte eine Schlange und spie blaues Feuer. Er knackte den zweiten Hahn des Doppellaufes, zielte auf den Kopf, und als der Rauch verkräuselte, war die Schlange fort, der Deckel des Koffers zurückgeschlagen, und es gleisste von Gold- und Silberschätzen. Mit einem kräftigen Ruck lud er die Kiste auf die Schultern, keuchte ins Gemach hinauf, streute Gesegnetes darüber und spindelte in den Keller hinab. Schon ist das Tor wieder zugeriegelt, er darf keine Zeit verlieren und muss handeln. Die Pistole ist entladen, er hat noch den Dolch, umklammert den Griff und bohrt die Spitze in die eichenen Bohlen. Die Flügel weichen zurück, es bleckt und fletscht und schwefelt ein Ungeheuer, das Auge tellergross auf der Stirne. Er schleudert das Gesegnete in den schnappenden Rachen, und aus ist der Spuk, nichts ist mehr da als der Kessel mit seiner goldenen Last. So schwer wogen die funkelnden Kannen, Becher und Platten darin, dass er viermal zu schuften hatte. Als er den Rest im Zimmer niederlegte, klang im Dorf die Betzeitglocke. Gottlob, auch das war überstanden! Müde warf er sich aufs Bett und streckte die Glieder.

Spatzen piepsten auf dem Fensterbrett, die Sonne flammte und überrieselte die mächtigen Tannen im Schlosshof, die strahlend ihre Wipfel spreizten und den noch schlafenden Kuckuck aus dem Nest schüttelten. Bei soviel Sonne und Vogelgezwitscher litt es ihn nicht mehr im Schloss. Er stäubte den Rest des Gesegneten über die Schätze und stieg hinunter zum Gewalthaber, der ihn freudig willkommen hiess und sich erkundigte, wie er die Nacht zugebracht habe.

«Ausgezeichnet, man muss sich nur richtig benehmen und seinen Willen durchsetzen. Bitte, lasst anspannen und gebt mir zwei kräftige Knechte mit auf die Burg und zehn Kartoffelsäcke.»

«Wofür, wozu denn?»

«Das werdet Ihr nachher erfahren.»

Also rumpelten sie auf dem Brückenwagen den Hügel hinauf. Als sie das Burgherrenzimmer aufschlossen, tänzelten fünf weisse Tauben auf den Schätzen, schnäbelten und bauschten die Flügel, und husch, husch, pfeilten sie zum Fenster hinaus, dreimal um die Tannen im Hof und verschwammen in der himmlischen Bläue.

«Herr Gewalthaber, Ihr seht, wieviel einer in einer Nacht gewinnt, wenn er sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Nehmt alles, was da glitzert und prunkt, und schenkt es den Armen! Ich begehre nichts davon. Ich bin ein Glückskind und will mich redlich durch die Welt schlagen. Gehabt Euch wohl!»

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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