Makolbus

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Salime, der weiseste aller Könige, hatte den berühmten und gewiegten Makolbus zum Hofnarren befördert. Nachdem er die trockenen Berichte seiner Minister durchgelesen, sieben Audienzen erteilt, den Koch davongejagt und dem königlichen Architekten die Pläne für ein neues Raubtierhaus genehmigt hatte, sehnte er sich nach Zerstreuung. «Den Makolbus her!» befahl er einem Diener, «er soll mich unterhalten und meine Stirne glätten.»

Der Narr erschien und verneigte sich tief.

«Das Gras steht in der Freude», begann der König, «allerwegen grünt und blüht es, geh auf die Wiese und miss dich mit den Mähdern!»

Makolbus liess sich eine Sense geben, ging hinaus und legte drei Schwaden nieder, dann warf er sich unter den Kirschbaum auf die faule Haut und schnarchte. Vor der abendlichen Tafel fragte ihn der König, wie lang und breit der Streifen sei, den er mit der Sense geschnitten habe. «Das Doppelte von dem, was deine besten Heuer mähten. Wieviel gibst du mir für den heutigen Tag?»

«Keinen Heller mehr als den andern. »

«Wenn du meine Arbeit nicht nach Recht und Gebühr bezahlen willst, so soll das Gras wieder aufstehen, bis auf die letzten drei Mahden.»

Der König lief hinaus und sah drei Zeilen Gras am Boden liegen. «Famos», rief er begeistert, «mein Hofnarr ist ein Hexenmeister; ich hätte keinen bessern wählen können.»

 

Eines Tages, als Salimes Haupt die Sorgen umdüsterten, trampelte der Hofnarr plötzlich daher und sagte: «Der Tag ist heller als die Milch.»

«Nein, die Milch ist heller als der Tag.»

Makolbus beharrte auf seinem Ausspruch und stellte heimlich einen Eimer voll Milch vor die Tür des königlichen Schlafgemaches. Der König begab sich zur Ruhe und trat mit dem linken Bein in den Kessel, der umstülpte und den Inhalt über seine neuen Stiefel und den Boden ergoss. «Der Narr hat mir einen Possen gespielt», rief er entrüstet, «dem will ich!» Des andern Morgens bestellte er ihn auf sein Arbeitszimmer. Makolbus verschränkte die Arme und sagte kaltblütig: «Du hast behauptet, die Milch sei heller als der Tag, warum hast du sie denn nicht gesehen?»

 

Einst stritten sie, was besser sei, die Qualität oder die Quantität.

Salime behauptete, die Grösse und nicht die Güte sei ausschlaggebend, während Makolbus gegenteiliger Meinung war. «Beweise her», rief der König, «oder ich lass dich baumeln!»

«Unverzüglich werde ich den Beweis antreten, Majestät. Stell dich neben ein Fass voll Essig, und wir wollen Fliegen fangen, du zählst die deinen, ich die meinen.»

Salime wählte die grösste Essigtonne aus den königlichen Kellereien, Makolbus setzte sich vor dem Kuhstall an die Sonne und hielt einen mit Honig bestrichenen Löffel auf den Knien. Als der Tag verschied, hatte er einen Sack voll Fliegen gefangen, der König nicht eine einzige.

«Du bist ein Halunk und wirst gehängt, fertigt» «Einverstanden, nur bitte ich mir aus, häng mich an einen Baum, der mir beliebt.» Die Diener kutschierten ihn im Lande herum, an jedem Baum, den sie als Galgen vorschlugen, fand er etwas zu bemängeln. Da sagte Salime: «Ich bin der weiseste aller Könige, daran ist nicht zu rütteln, allein du bist noch klüger als ich», und er schenkte ihm das Leben.

 

Als sie auf der Terrasse des Palastes sassen und in den Palmengarten hinunterschauten, bemerkte Makolbus im Gespräch, es gehe doch nichts über die Natur, sie übertreffe alles, Gelehrigkeit und Wissen. Zum Widerspruch gereizt, entgegnete der König, die Lehre stehe über der Natur, und sie gingen eine Wette ein.

Salime besass eine Katze von ungewöhnlicher Grösse und Klugheit, brandschwarz der Samt ihres Felles, die Augen gelb wie Bernstein. Sie war abgerichtet und trug zumitten der Tafel den Leuchter auf den Pfoten. Makolbus fing drei Mäuse, und als die Katze ihren Platz eingenommen hatte, liess er eine laufen. Der Kater schlitzte die Augen, spitzte die Ohren und zitterte am ganzen Leib, rührte sich aber nicht von der Stelle. Er war ein guterzogenes Tier und widerstand der Versuchung. Tags darauf liess der Narr die zweite Maus entschlüpfen. Die Katze juckte mit den Hinterbeinen, die Kerzen wackelten und fackelten bedenklich, fielen aber nicht vom Pfotenständer. Mit feuchten Augen schielte sie in den Winkel, wo das Mäuschen verschwunden war. Am dritten Abend huschte wiederum eine Maus über den Tisch. Ein Sprung und Tatzenhieb, und sie zappelte in den Krallen des Katers, die Kerzen rollten und erloschen. Im Zorn über die verlorene Wette, hob der König die Tafel auf und fuhr den Narren an, er sei ein Gaukler und bleibe einer, solange er lebe.

«Gib mir Geld», lachte der Narr, «so viel ich brauche, und du bist meiner los und ledig!»

Der Schatzmeister zahlte ihm die Hälfte des königlichen Vermögens. Allein Makolbus, nicht zufrieden damit, sagte, er brauche mehr und verlangte auch noch die Hälfte des gesamten Viehbestandes.

Neben der alten Stallung hatte Salime ein neues Gebäude aufrichten lassen, das noch nicht bezogen war. «So, Bruder», entschied Makolbus, «das Vieh wird jetzt zur Tränke getrieben, und was in den alten Stall trampelt, gehört mir, was in den neuen stapft, ist dein, und niemand darf sich einmischen.» Mit dem Vorschlag einverstanden, begab der König sich zum Brunnen. Die Knechte öffneten die Tore vom alten und vom neuen Stall und entfernten sich. Gemächlich kamen die Kühe heraus, schlürften am Brunnen, wandten sich und kehrten alle ins alte Bauwerk zurück, zwei übermütige Milchkälblein ausgenommen, die herumtollten, den Eingang verfehlten und in das neue Gebäude hineinrannten. Makolbus verkaufte die schmucke Herde und verliess das Reich.

 

Von der Zeit an fiel es wie Nacht in das Gemüt des weisen Königs.

Er verlor das Lachen und den Humor, vermisste den Schalk hier und überall und konnte ohne ihn nicht mehr leben. Boten um Boten sandte er ins Land hinaus, die Makolbus bestürmten, an den Hof zurückzukehren. Nach langem Sträuben liess er sich erweichen, und als er am Hofe erschien, fiel ihm der König um den Hals, übertrug ihm Zepter und Reich, liess ihn schalten und walten, behaupten und belehren und widersprach nie mehr. Im Volke hiess es, Salime regiere weiser denn je.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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