Die arme Prinzessin

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Es war einmal ein Prinz, der auf die Brautschau ging. Nachdem er an verschiedenen Höfen Umschau gehalten, bewarb er sich um die Tochter des Königs, denn sie allein hatte ihm ins tiefste Herzkämmerlein hineingezündet. Demütig bat er um ihre Hand. Die Prinzessin drehte sich dreimal auf den Stöckelschuhen und tirilierte wie eine Lerche: «Einen Prinzen begehr ich nicht zum Gemahl, es sind eitle, verwöhnte Herrensöhne, ich bin noch jung, kann warten, und kommt der Rechte nicht auf dem Pferd, so erwähle ich mir einen ohne Pferd, einen Habenichts, der sein Brot redlich verdient.»

Der abgewiesene Freier liess sich nicht aus dem Geleise bringen.

Diese Sprache, die ungeschminkte Offenheit, das war nicht mehr das ewige Knixen und Augenfächeln und In-Seide-Rauschen der hohen Edeldamen. Er liebte die Prinzessin mehr denn je und meldete sich im groben Bürgerkittel beim Hofgärtner.

«Kannst du Kaiserkronen züchten und die Königin der Nacht zum Blühen treiben?» fragte er den Burschen, der ihm nicht übel gefiel.

«Das kann ich alles nicht, ich bin ein schlichter Anfänger und verlange dementsprechend wenig Lohn.»

«Schade, die Prinzessin liebt die seltsamen Blumen, und ich hätte ihr gern etwas Neues gezeigt. Item, du kannst eintreten und dich beim Gemüsegärtner nach deinen Pflichten erkundigen.»

In der Nähe der Geliebten zu sein, war alles, was er begehrte. Er grub Krautbeete um, säte Spinat und Frühsalat, steckte Zwiebeln und Bohnen und rückte nach einem Jahr zum Blumengärtner vor.

Das war nun seine Lust und Freude. Des Morgens spazierte die Prinzessin im Rosenhain, las Raupen ab, trank den Duft der Blüten, die wie Purpur und Alpenschnee in den schönsten Lichtem und Farben leuchteten, und dann säuberte sie die Beete, band junge Stämmchen auf und knipste mit der Schere die falschen Triebe. Gerne unterhielt sie sich mit dem Gärtnerburschen über Gemüsebau und Rosenzucht und über andere Dinge, die sie bewegten. Er durfte ihr den Blumenstrauss ins Haus tragen und eigenhändig eine neue Sorte Hängenelken aufs Gesimse pflanzen. Bald ging das Gerücht, er sei der auserkorene Liebling und Verlobte der Prinzessin.

Als der König besonders guter Laune war, pochte sie an sein Zimmer und sagte: «Lieber Vater, ich habe meinen Bräutigam gewählt. Er hat weder Krone noch Wappen, Schloss noch Stammbaum, ist sonder Gut und Habe, verdient jedoch sein Brot selber und gefällt mir.»

Das lange Gesicht des Königs wurde noch einmal so lang, er hob den Arm und liess ihn kraftlos auf die Lehne sinken.

«Kein anderer soll mein Gemahl werden als der Gärtnergehilfe. Sei nicht böse, Väterchen, und lass mir den Willen!»

Jetzt endlich begriff der König den Sinn ihrer sträflichen Rede.

Sein Bart erzitterte, und wie Schollen rollten ihm die Worte von den Lippen: «Verwag es noch einmal, so lästerlich vor deinem Herrn und Meister aufzutreten, und du ziehst in die Verbannung, fort aus deinem Heim und Erbe!»

«Geld und Gut, Hof und Erbe, ich schlage alles in den Wind», erwiderte sie trotzig, «und zieh mit dem Geliebten freiwillig in die Verbannung.»

 

In einer Waldkapelle wurden sie getraut und im Einspännerwägelchen ins nächste Städtchen geführt.

«Meine Börse ist leer», sagt er zu ihr, «mein Herz ist warm und reich, und wir können beide arbeiten und unser Brot verdienen. Ich weiss ein Häuschen vor der Stadt, ich habe es schon gemietet. Eine Aufschrift, eine Fahne aufs Dach, die lustig flattert und knattert, Tische und Stühle in die Geissblattlaube, und wir haben unser täglich Brot und Auskommen.»

In der Tat, die Wirtschaft lief, die Kunden mehrten sich von einem Sonntag auf den andern. Fuhrleute und Spaziergänger kehrten ein und tranken bei der jungholden Wirtin ihren Schoppen.

«Ich habe Geschäfte zu besorgen», sagte er zu seiner Frau, «sei guten Muts, und lass dich nicht verdriessen, ich bin am Abend wieder zurück!» Er reiste in sein Schloss und erschien als Prinz mit grossem Gefolge in der Gartenwirtschaft seiner Frau, die ihn nicht kannte und keine Zeit erübrigte, den hohen Besuch anzusehen; denn zumal ihr Mann abwesend war, hatte sie genug zu schaffen in Keller und Küche. Die Gäste liessen sich die besten Flaschen, Fisch und Braten auftragen, prassten und becherten. Schmunzelnd überflog sie die Rechnung und freute sich auf den runden Gewinn des heutigen Tages. Auf einmal Lärm und Gepolter im Garten, Gläser und Tellerscherben, Stühle und Tische krachen, und ohne einen Heller zurückzulassen, machten sich die Schlemmer aus dem Staube.

Der Prinz zog wieder seine Alltagskleider an und kehrte spät zu seiner Frau zurück, die untröstlich bei der Lampe sass und auf die Trümmer der Verwüstung starrte. «Nur nicht verzagen, Liebste!» sagte er mit erkünsteltem Gleichmut und küsste sie auf die Stirne. «Das Wirten geht mir gegen den Strich. Dieses Bücken und Scharwenzeln vor hoch und niedrig passt nicht für deinen Charakter. Ein Althändler, der auswandern will, hat mir sein Porzellan vermacht. Er bringt es morgen auf den Markt, richtet dir den Stand ein, und du verkaufst die Ware. Was wir heute verloren, bringst du doppelt und dreifach wieder ein. Nur nicht die Flügel hängen lassen, jede Wolke hat ihren goldenen Saum!»

Sie schüttelte die blanke Schürze und presste ihren Mann stürmisch an die Brust.

In aller Frühe war sie auf dem Platze, band die Geldtasche an die Hüften und trippelte hinter dem Stand auf und ab, es fror sie an die Füsse. Die Stadtweiber musterten neugierig die feingeblümten Kacheln, Teller, Tassen, Töpfe, fragten nach dem Preis, feilschten, handelten, und bald schloss sich ein Ring von Käufern und Liebhabern um die hübsche, flinke Händlerin. Sie zählte das Geld ab und liess es in die Tasche gleiten, die sich bauschte. Federleicht ward ihr ums Herz, musste sie doch an ihren Mann denken, für den sie Kreuz und Leid tragen wollte.

Gegen Mittag war der Vorrat ausverkauft, strahlend überschlug sie den Erlös und winkte dem Trödler, der mit seinem hochbeladenen Karren daherschnaufte, sich zu beeilen. Neue Beigen von Kachelzeug türmten sich auf der Lade.

Plötzlich ein Geisselknallen und Hufgeklapper. Der Fuhrmann lacht und johlt wie ein Betrunkener, rasselt mit seinem Zweispänner direkt auf ihren Stand. Sie ringt die Hände und schreit, die Käufer stieben davon. Jetzt, jetzt klirrt und dröhnt es unter den Eisen der Pferde und den Wagenrädern von brechendem Geschirr. Die Porzellansäulen stürzen, bersten und splittern weit in den Platz hinaus. Nicht ein Töpflein, das ganz geblieben wäre!

Als ihr Mann nach Hause kam und sich nach ihrem Befinden erkundigte, rannen ihr die Tränen über die Wangen, und sie berichtete, wie das Volk sich um die Waren gestritten und das Geschäft flott gegangen, wie dann der Flegel mit Ross und Rad in den Geschirrstand lenkte und bauz und benz das feine Porzellan zertrümmerte.

Er machte zum Schein ein trübes Gesicht, ringelte den Daumen und sagte: «Schon wieder so ein Pech, was wollen wir jetzt anfangen? Richtig, da fällt mir eben ein, morgen wird im Hotel zum «König der Radamanten» ein Fest abgehalten. Der Wirt sucht Kellner und Aufwärterinnen, willst du ihm nicht deine treue Hilfe anbieten, du mit deinen blauen ehrlichen Augen? Von den Speisen sammelst du dir einige Reste, verbirgst sie unter der Schürze, und wir haben für einige Tage ein gutes, billiges Essen. Mittlerweile such' ich mir einen einträglichen Posten, und aus ist aller Tage Elend.»

 

Im «König der Radamanten» tafelte eine erlesene Gesellschaft von Damen und Herren. Blumen dufteten, Reden stiegen, das Orchester musizierte, und bald wogten und drehten sich die Paare auf dem glänzenden Parkett. Bei all dem Prunk und Rauschen ward ihr weh und bange, und sie konnte ihre demütige Rolle als Dienerin nicht verwinden, sie musste an ihre goldene Jugend, an den Hof denken. «Warum räumen Sie den Tisch nicht ab?» zirpte der Oberkellner und zeigte mit der Hand nach der Ecke. Mit einem Seufzer ging sie hin und ergriff eine Platte. Soll ich sie heimlich wegschaffen? Ist es nicht Diebstahl? Es roch so herrlich nach Wildbret, und das war die Lieblingsspeise ihres Mannes. «Was sind Sie für ein faules Ding!» grollte' der Ober. «Fort mit dem Zeug!»

Mitten im Saal verneigt sich ein Herr vor ihr. «Darf ich um ein Tänzchen bitten?» Sie weicht ihm aus, er versperrt ihr den Schritt und schwingt sie in seinen Armen. Das Geschirr entgleitet ihrer Hand; mit ihrer letzten Kraft ringt sie sich los und huscht, von Scham übergossen, davon. Schnurstracks läuft sie heim, wirft sich hin und wünscht nichts anderes mehr als den Tod. Eine Weile, und es tritt der Herr herein, der sie umschlungen hatte. An der Stimme aber erkennt sie ihren Mann.

«Was, du warst es! Warum hast du mir das angetan?»

«Ich habe noch ganz andere Streiche verübt.» Er fasste ihre Hände. «Ich war der schlemmende Grobian im Wirtshausgarten, der die Flaschen und Möbel zerbrach, ich war der Fuhrmann, der dein Porzellan zuschanden ritt, und ich bin der Prinz, der dich im Saal herumwirbelte.»

Das Herz versagte ihr, als sie das alles hörte, Sie focht gegen die Tränen, sie focht gegen den Zorn und rief: «Warum das alles, wozu?»

«Weil du den Prinzen, der um dich freite, abgewiesen und den Gärtner geheiratet hast. Um dich fühlen zu lassen, wie bitter die Armut schmeckt.»

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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