Die drei goldenen Äpfel

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Holzhackersleute waren reich mit Kindern gesegnet. Schon waren es ihrer acht, die aus der Zinnschüssel löffelten, und als ein neues Jahr um war, traf pünktlich wie der Steuervogt auch das neunte Kind ein. Sie versuchten, den stärksten Esser loszuwerden und ihren Knaben Fridolin, der im Tag ein halbes Brot verzehrte, bei den Verwandten unterzubringen. Die Verwandten hatten genug an ihren eigenen Kindern und begehrten ihn nicht. Als Fridolin den Haferbrei, der bis Mittwoch langen sollte, schon am Dienstag aufgegessen hatte, beschlossen die Eltern, sich des Nimmersattes zu entledigen. Sie nahmen ihn mit in den Wald, sammelten dürres Holz, liessen den Jungen im Stich und kehrten auf Umwegen heim.

Im Gehölz umherirrend, rief Fridolin nach Vater und Mutter. Wölfe heulten, Raben krächzten, es nachtete langsam. Er setzte sich auf einen Stein und weinte bitterlich. Da rollte eine prächtige Vierschimmelkutsche daher, hielt an, und die weisse Dame im Wagen fragte ihn, warum er greine. Der Diener öffnete den Schlag, die Frau zog ihn an ihre Seite, und hüopp trabten die Pferde davon. Über Busch und Stein, durch dick und dünn ging es sanft wie auf moosigem Grund. Vor einem Palast mit goldigen Türmen blieben die Pferde stehen, die Flügeltüren sprangen auf, ein Lakai öffnete den Schlag und brachte Fridolin in sein Schlafgemach, wo er im feinsten Bette sich kugelte und in den Schlummer sank. Nun war das Haus der weissen Frau seine Heimat, und er gefiel sich wohl darin. Gekleidet wie ein Prinz, wurde er an die Tafel geleitet und mit Spielsachen reich beschenkt. Er durfte im Wildpark sich tummeln, die Marmortreppen auf und ab rutschen, durch alle Säle und Gänge spazieren. Ein einziges Zimmer war ihm untersagt. Er begehrte nicht mehr nach Hause zurück, auf den Strohschaub im Ziegenstall und an den magern Tisch. Ihm war wie dem Hasen im Klee.

Nur eines konnte er nicht begreifen, die verbotene Tür mit der goldenen Klinke. Er konnte ja doch nicht anders, er musste davor stehen bleiben und ein bisschen durchs Schlüsselloch gucken. Aus Furcht vor Strafe hielt er sich im Zaum, sprang hinaus in den Garten, fütterte die Gänse und die Enten und stand wieder vor der verbotenen Pforte. Der Schlüssel steckte, im Flur war es still, leise öffnete er und trat ein. Huh, wie er da zusammenfuhr! Stockfinster war es und ein Geruch wie von Toten. Flugs wandte er sich zur Umkehr. Zu spät, die Tür war eingeschnappt und verschlossen. Er zappelte und schrie, da ging sie wieder auf, und es erschien die weisse Frau und schüttelte ihn derb am Kragen. Hätte er nicht um Gnade und Verzeihung gebeten, wer weiss, was aus ihm geworden wäre!

Die Jahre schwanden, hoch und schlank spazierte der Jüngling neben der weissen Frau, die ihn wie einen Sohn betreute und bemutterte. Nichts ging ihm ab, und doch sehnte er sich nach der Freundschaft mit Kameraden seines Alters. Und eine heisse Neugier lockte ihn unwiderstehlich zu der verbotenen Tür. Als sie den Wagen bestieg und eine Spazierfahrt unternahm, schlich er, mit einem Scheit unter dem Wams, zur Pforte, schloss auf und klemmte das Holz in die Spalte. Kaum hatte er die Klinke losgelassen, schletzte die Tür, das Sperrholz knackend, ins Schloss. Gefangen war er und durfte auf keine Gnade mehr hoffen. In Todesängsten tastete er nach einem zweiten Ausgang, verlor die Richtung und kam wie von ungefähr in einen schmalen Seitengang, an dessen Ende die Helle schimmerte.

Unversehens befand er sich in einem Stall, in dem drei Tiere an der Barre haferten, die er noch nie gesehen, Pferd, Maultier und Esel, alle drei spiegelglatt und wohlgenährt. «Helft mir aus meiner Not!» flehte er, Hals und Mähne streichelnd. «Bist du ein schönes Pferd - bist du ein starker Maul - was für ein strammes Eselein!»

Das Pferd wieherte: «Du hast uns gelobt und gehätschelt, wir werden dir beistehen. Wisse, dass du im Marfelhaus des Teufels bist, die weisse Frau der Satan selbst. Reiss mir drei Haare aus der Mähne und sagst du: ,Im Namen der drei Haar meines Pferdes Bayard', kannst du dir wünschen, was du willst, es wird erfüllt.»

«Nimm auch den breiten Strohhut in der Krippe», plärrte der Maul, «und stülp ihn auf dein Lockenhaupt!»

«Das Scheit, den Eimer und die Bürste dazu, und du kannst dir ein Liedlein pfeifen», näselte das Eselchen. «Jetzt aber spute dich, der Teufel wird dir nachstellen!»

Fridolin presste den Hut auf seinen goldenen Scheitel, ergriff das Werkzeug und verliess dankend den Stall.

Gemächlich schlenderte er des Weges dahin, als Pferdegetrampel sich näherte. Die weissen Schimmel und der Wagen, ihm wohlbekannt, sie sausten daher, im Polster lehnte die weisse Dame und schwenkte das Tuch. Holt sie mich ein, so bin ich des Todes. Jetzt zeigt eure Kraft, ihr Zaubergaben! Das Scheit zu Boden schmetternd, rief er: 

«Im Namen der drei Haar'
meines Pferdes Bayard, 
soll mich im Nu vom Bösen
ein steiles Gebirge erlösen!»

Wie das blitzte und krachte, die Erde klaffte und ein hohes Gebirge zum Himmel wuchtete! Nichts mehr von der Kutsche, nichts mehr von den Rossen. Lebt wohl auf Nimmerwiedersehen!

Kaum war es Mittag, klappert und stäubt es von neuem auf der Strasse. Der Teufelswagen, der mit dem Winde fuhr, er hatte den Berg überwunden. Mit aller Kraft warf Fridolin den Eimer zur Erde und rief: 

«Im Namen der drei Haar'
meines Pferdes Bayard, 
ein breites, tiefes Meer,
und kein Wagen und Teufel rnehr!»

Bleigrau und uferlos rollte die See, Sturmvögel schwebten darüber hin. Er setzte sich an den Strand und verspeiste gemütlich sein Mittagessen, schritt fürbass und hoffte, noch vor dem Einnachten die Stadt zu erreichen.

Ist's möglich, schon wieder der Wagen, trotz Meer und Riesengebirge! Dir will ich jetzt eine Sperre aufrichten, an der du zerschellst. Er warf die Bürste zu Boden und sprach: 

«Im Namen der drei Haar'
meines Pferdes Bayard, 
steh auf, Kapelle, klinge,
von Gott und Himmel singe!»

In seinem Busen erlosch die Angst wie die Abendröte am Horizont. Während die Kapellenglocke läutete, schritt er wohlgemut durch die stillen Fluren, erreichte das Stadttor, bevor der Wächter schloss und fand eine Gärtnerstelle in der königlichen Pfalz.

«In drei Tagen vermählt sich die älteste Prinzessin», sagte der Obergärtner. «Bist du der Mann, den Park nach dem Geschmack seiner Majestät einzurichten - wohlan, so bist du geborgen! Der Kies muss geharkt, der Rasen gemäht, das Gehege gestutzt, der Forellenteich gesäubert und frisch zugefüllt. das Figurenwerk von Moos und Staub gereinigt werden, das übrige besorge ich. Nun frisch ans Werk!» Fridolin beeilte sich nicht. Zu lange war er müssig und tatenlos gewesen. Die Arbeit verdross ihn, und er vertraute auf die Zauberkraft seines Spruches. Zwei Tage bummelte er im Park herum, roch an den Blumen und streute den Vögeln Hanfsamen. Der Meister schimpfte und drohte mit Entlassung. «Sei ohne Sorgen», beschwichtigte Fridolin, «morgen abend steht der Garten in Glanz und Freude.» Am dritten Tag traf ihn der Meister schlafend auf der Bank. Unsanft rüttelte er ihn auf. «Du Erzfaulenzer und Tagedieb, mach dich aus dem Staube!»

«Gemach, gemach», sagte Fridolin, dem die Reisemüdigkeit noch die Glieder steifte, «man soll den Tag nicht vor dem Abend schelten!»

Kurz vor Sonnenuntergang erschien der König mit seiner Gemahlin und dem Rat der Minister. Verstört, wie vor die Brust geschlagen, husterte der Gärtnermeister im Park herum. Nichts war gemacht, nichts vorbereitet, das Wegnetz voller Gejät - auf einmal blieb er stehen und rieb sich die Augen, taumelte auf eine Bank. «Ist's menschenmöglich, war ich blind?» Wie Schnee erschimmerten der Kies, die Marmorbüsten, kein welkes Blatt im frischgeschorenen Rasen, kein falsches Kraut in den Beeten, ein Duft von' Rosen, Malven, Lilien, der Brunnen stieg und sang nicht wie eine gewöhnliche Wasserkunst, wie aus hundert tiefen und hohen Orgelpfeifen klang das Gebrause. Feierlich schritt der König mit seinem Gefolge, lächelte beglückt und heftete dem Obergärtner einen Orden an die Brust.

Nachdem zwei Prinzessinnen standesgemäss sich verehelicht hatten, sollte auch die Jüngste einen Gemahl aus fürstlichem Haus und Geblüt sich erwählen. Sie aber hatte den Gärtnerburschen mit dem breiten Strohhut und dem Lockengold ins Herz geschlossen und schlug alle Freier ab. Nicht erbaut ob dem Geschmack seiner Tochter, nahm der Vater sie auf eine Reise mit, und nach der Heimkehr lief der Trotzkopf in den Garten und verlobte sich mit Fridolin.

Als Schwiegersohn des Königs blieb er einfach und bescheiden und achtete nicht auf das vornehme Gespreiz und Geräusper der Prinzen, die bergehoch auf ihn niederschauten. Es kam der Tag, an dem der König die Schwiegersöhne besammelte und drei goldene Apfel austeilte. Demjenigen von ihnen werde er einmal Krone und Zepter abtreten, der den Apfel in Ehr und Würde halte.

Das Reich verwickelte sich mit dem Nachbarstaat in eine Fehde. Zu alt, den Strauss selber auszufechten, übergab der König den Oberbefehl seinen Schwiegersöhnen. Die zwei Prinzen bestiegen feurige Renner, Fridolin eine Stute, die das Gnadenbrot genoss. Klipp und klapp träbelte er gemütlich hinter dem Gefolge der Prinzen, die bald Vorsprung gewannen. Auf dem Kriegsschauplatz erwartete er das Zeichen zum Angriff und sagte sein Sprüchlein: 

«Im Namen der drei Haar'
meines Pferdes Bayard 
ein Stoss - Flucht dort und Schande
die Feinde rings umbrande!»

Er riss das Schwert aus der Scheide und versuchte ein Galöpplein anzuschlagen. Der Dampf verkräuselte, kein Feind mehr weit und breit. In stolzem Zuge ritten die Prinzen nach Hause und prahlten dem Vater von ihrem grossen Siege. Der König glaubte ihnen aufs Wort. Wie hätte er, ahnen sollen, dass Fridolin mit seinem Holdri-Poldrigaul auch nur ein Schimmerchen zum Glanz des heutigen Tages beigetragen hätte!

Der König erkrankte an einem Leberleiden, und der Hofarzt erklärte, für ein solches Übel sei kein Kraut gewachsen. Allerdings gebe es ein Mittel, das aber schwierig zu beschaffen sei. Hm - hm - er hob den Silberknopf seines Stockes an die Stirne. Wenn es möglich wäre, die Riesenschlange im Drachengraben zu erlegen, so würde er ihm ein Schlangensüpplein brauen, das ihn wieder auf die Füsse stellte. Die Prinzen schwangen sich auf ihre Renner und brachen auf zum Drachengraben. Auf seiner Rappenstute vermochte Fridolin nicht zu folgen. Das Rösslein schonend, begnügte er sich mit kleinen Tagereisen. Im Drachengraben sagte er seinen Spruch:

«Im Namen der drei Haar'
meines Pferdes Bayard,
heran, du Schlangenuntier,
und augenblicks verende hier!»

Die Prinzen, die in der Nähe vorüberritten, vernahmen von seinem Erfolge. Sie kamen herbei, banden die Schlange auf den Hals eines Pferdes und wollten abreiten. «Haltl» donnerte Fridolin, «nicht ihr, sondern ich habe das Tier getötet, ich lasse den Vater grüssen und gute Gesundheit wünschen.» - Sie versprachen ihm ihre goldenen Äpfel, wenn er schweige, tauschten sie gegen die Beute und trabten davon.

Zu Hause sah und hörte er, wie der König die prahlenden Schwiegersöhne belobte und das Volk ihnen zujubelte. An der Tranksame, die der Arzt aus dem Schlangenfett und einigen Latwergen mischte, genas der König von seiner Krankheit, litt aber noch an einer offenen Wunde, die sich nicht schliessen wollte. Der Doktor verordnete ihm das Herz des Lämmergeiers im Hohlichtwalde.

Abermals zogen die Schwiegersöhne aus, und die Jagd verlief wie das letztemal. Mit Hilfe seines Zauberspruches erlegte Fridolin den Geier, und die Prinzen trugen ihn nach Hause. Bevor er ihnen den Raubvogel übergab, mussten sie vor ihm niederknien und den Rücken entblössen. Mit einer angeglühten Pfeilspitze brannte er ihnen einen Stempel auf, der sie noch lange schmerzte.

Hocherfreut über die Tapferkeit seiner Schwiegersöhne und aus Dank für die neue Gesundheit entschloss sich der König zum Rücktritt. Vor dem versammelten Hofstaat wurden alle drei aufgefordert, ihre goldenen Äpfel vorzuweisen. Die beiden Prinzen hatten sich andere Äpfel gekauft, die sie mit klopfendem Gewissen aus der Tasche grübelten. Als Fridolin um seinen Apfel gebeten wurde, legte er deren drei auf den Tisch, die der König an einem geheimen Zeichen und dem besonderen Glanz als die echten erkannte. Über die betrügerischen Prinzen empört, verlangte er Auskunft und Aufklärung. Ohne Umschweife schilderte Fridolin, wie er die Schlange und den Adler erbeutet und zu den Äpfeln gekommen sei. Vor allen Anwesenden mussten die Schwindler den Rücken enthüllen, von einem zum andern gehend, das Brandmal zeigen und mit Schande und Spott den Saal verlassen. In feierlicher Ansprache ernannte der König seinen Nachfolger, entblösste das Haupt und schritt auf Fridolin zu. «Weg mit dem Strohhut, mach Platz für die Krone!»

Verwirrt stand Fridolin im Saal; wie durch einen goldenen Nebel sah er das strahlende Gesicht seiner Frau, die, auf ihn zueilend, ihm den Hut vom Haupte nahm und seine weichen Locken küsste. «Trefflich hast du gewählt, mein Kind», rief der König, und seine Stimme hebend: «Es lebe Fridolin der Erste, es lebe die schöne Königin!»

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)