Vom Egelsee

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vom Egelsee

Auf der Höhe des Hasenberges, wo sich jetzt alter Wald im gemiedenen Gewässer des kleinen Egelsees spiegelt, stand früher einmal ein Schloss. Man nannte die Feste „Bauernweh“, weil der Tyrann Niko, der dort hauste, die Bewohner des nahen Limmat- und Reusstales unbarmherzig bedrückte und aussog. Seine Herrschaft reichte vom Schloss Schönenwerd bis nach Bremgarten und Baden. Eigentümlicherweise waren seine Rechte beschränkt; von Samstag mittag bis Montag mittag, von Mittagläuten zu Mittagläuten, war seine Macht ausgeschaltet, gebrochen.

Dieser grausame Herr schickte einen noch viel grausameren Vogt mit einer Schar von Knechten durchs Land, um Zins und Zehnten einzutreiben. Wer nicht sogleich bezahlte, den liess er unbarmherzig in die Gewölbe seiner Burg werfen.

Als die Gewalttätigen einst am Samstag abend aus dem Limmattal heimkehrten, sahen sie zu Kindhausen bei einer Witwe mit sieben Kindern noch Licht. Auch sie hatte aus Armut dem Vogt die geschuldeten Abgaben nicht entrichten können. Da rief der Wüterich: „Die Alte hier hat auch die Pacht vergessen! Nehmt ihren Plunder als Ersatz!“ Sogleich packten die Knechte Hab und Gut der Witwe zusammen und trieben die Mutter samt den Ihrigen aus der Hütte. Nur eine Hand voll Mehl wollte sie mitnehmen zum Brei für ihr Jüngstes. Man riss ihr dieses aus dem Arm und warf es in das unterdessen angezündete Haus. „Nun braucht es keinen Brei mehr!“ höhnte der Vogt und ritt hinweg. In ihrem Schmerz rief die Mutter den Himmel um Strafe an: „Wänn nu de Tunner di und dini Burg in Boden ie verschlüeg!“ Noch in derselben Nacht erhob sich ein furchtbares Ungewitter. Es regnete Blitzschläge auf das Schloss herab, und unter Krachen versank es mit Mann und Maus hundert Klafter tief in den Boden hinein. Am darauffolgenden Sonntag morgen lag ein dunkelgrüner See an jener Stelle.

Der See aber ist von einem Rankenwerk geheimnisvoller Erzählungen umstrickt. Ist er besonders klar, dann kann man tief unten die Ziegel des versunkenen Schlosses erkennen. In seiner Umgebung geistern immer noch der Vogt und seine Hunde. Gelegentlich versperren sie einem einsamen Wanderer den Weg.

Am Ufer des Seeleins findet man Mauerreste, die von einer versunkenen Stadt herrühren sollen. Wirft man solche in das Wasser, so steigt er auf und überschwemmt das ganze Land. Die vielen Blutegel im See sollen beweisen, dass hier viel unschuldiges Blut geflossen ist.

Der Egelsee war einst doppelt so gross. Man sagt auch, er sei unergründlich und friere nie zu. In den letzten Jahren ist er zwar trotzdem zugefroren. Dass er langsam verlandet, ist Tatsache.

Auf Befehl des Ritters sollte der See ausgemessen werden. Als sich die Vermesser ans Werk machen wollten, rief eine Stimme aus der Tiefe des Wassers: „Missisch du mich, so friss ich dich!“

Kaum war dies gesprochen, verschwand das ganze Schloss samt Ritter in den Wellen. Von diesem Augenblick an getraute sich niemand mehr, die Tiefe dieses Sees auszuloten.

Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Limmattal
Aus den „Sagen aus dem Limmattal“. Quellen sind dort nicht angegeben. Laut Vorbemerkung wurden die Sagen durch Sekundarlehrer K. Klenk „durch Schulaufsätze“ gesammelt.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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