Das Messer im Heu

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Im Reusstal sprach man noch zu Menschengedenken viel von einem Weibervolk ab Golzer im Maderanertal und hielt es für eine alte Hexe. Sie kam im Sommer bei schönem Wetter von Zeit zu Zeit bis nach Wassen und Göschenen, und dann flog weit und breit das liegende dürre Heu in Wirbeln in die Lüfte und wurde kein Halm mehr gesehen. Sie hatte ein rotes Nastuch nach alter Mode auf dem Kopf.

Wir waren zu Häggrigen daran, das Heu zu wenden. Da kam plötzlich so ein kurioser Wind durch's Tal herauf, und in die Heuschwaden kam Bewegung. Da sagte mein Bruder: »Chunnd ächt eppä d'Golzneri?« und schaute durch das Tal hinab. Drüben in der Sürytti auf der östlichen Talseite marschierte sie aufwärts. Da ergriff er schnell das Sackmesser und warf es in eine Schwarbe; jetzt wurde es sofort ruhig.

Fr. Baumann-Dubacher, 85 J. alt

2. a) In Erstfeld (oder überhaupt in Uri) war ein Bauer mit Heuen beschäftigt. Da kam ein Wirbel in das Heu und drohte, dessen eine ganze Masse in die Lüfte zu entführen. Der Bauer aber nimmt schnell sein Sackmesser und wirft es mit aller Kraft mitten in den aufgewirbelten Knäuel. Der Sturm gab sofort nach, aber das Messer kam nicht mehr zurück und konnte nicht gefunden werden, trotzdem ein Mitarbeiter genau aufgepasst hatte, wohin es fiel. Ein Jahr später machte unser Bauer, der einen bedeutenden Viehhandel betrieb, wie alljährlich, eine Reise durch den Kanton Tessin (Graubünden) hinab und kehrte auch im gewohnten Gasthause ein. Als der Wirt das Gänterli öffnete, um für den Gast ein Glas herauszunehmen, erblickte dieser darinnen sein Sackmesser, das er in jenem Windwirbel verloren hatte und nun an gewissen Merkmalen ganz zuverlässig erkannte. Er liess sich aber nichts anmerken. Die vordern Jahre hatte ihn immer das hübsche Wirtstöchterlein bedient, mit dem er manches Scherzwort gewechselt und manches neckende Redegefecht, bald siegreich, bald geschlagen, bestanden hatte. Das liess sich diesmal nirgends erblicken, und deshalb erkundigte er sich über das Befinden des vermissten Töchterleins. Da nahm der Wirt das verhängnisvolle Sackmesser aus dem Schrank, zeigte es dem Gast, indem er dazu mit finsterer Miene erklärte: »Ja, schau da! dieses Messerchen hat meiner Tochter das Leben gekostet! Sie verstand sich auf Sympathie; während sie einmal bei euch da drüben in Uri einem Bauer im Scherz Heu aufwirbelte, stach ihr der Unflat dieses Messer ins Herz, und daran hat sie sterben müssen. Sollte sich der Besitzer dieses Messers einmal bei mir melden, dem werde ich den Garaus machen!« Man wird begreifen, dass der Urner keine Ansprüche auf das fatale Instrument machte. »Der het da nitt fast g'jützet und isch bald einisch wider g'gangä!«

David Imhof, Seedorf

b) In der Wand der Gaststube an einem Ort in Glarus (oder Tessin) war eine ganze Reihe Messer eingesteckt. Der obgenannte Urner betrachtete sie mit grossem Interesse und erblickte unter ihnen auch sein Sackmesser. »Was beguckest du diese Messer mit solchem Interesse?« fragte der Wirt, »gehört vielleicht das eine dir?« »Durchaus nicht,« entgegnete der Gast, »ich wundere mich nur über ihre grosse Zahl.« »Gut,« fährt der Glarner (Tessiner) fort, »dass keines dir gehört, dir hätte ich sonst das Lebenslicht ausgeblasen! Mein Sohn hat die Sympathie gelernt, und während seiner Lehrzeit haben die dummen Bauern, denen er Wirbel ins dürre Heu machte, diese Messer nach ihm geworfen, und so ein Tölpel in Uri drüben hat ihn ins Herz getroffen und getötet.«

Josef Maria Zberg, 75 J. alt, Silenen

c) Der Erstfelder kam später als Knecht in den Kanton Tessin hinüber. Eines Tages brachten sie bei der Mahlzeit sein Sackmesser auf den Tisch, das er auf den ersten Blick erkannte, weil es auffallend gezeichnet war. Er nahm es in die Hände, besichtigte es aufmerksam nach allen Seiten und fragte den Meister, wem es gehöre. Dieser erzählte, es sei ihm vor zwei Jahren in ein Bein gesteckt worden, verriet aber nicht, wo und bei welcher Gelegenheit oder aus welcher Ursache; aber auch der Knecht wusste jetzt genug und sagte nichts davon, dass es einst das seine gewesen.

d) Ein Mann aus dem Ried zu Amsteg erzählte vor wenigen Jahren die nämliche Historie als eigenes Erlebnis; ebenso einer auf Urnerboden.

e) Ein Messer, das man beim ersten Gebrauch zum Brotschneiden benutzt hat, in einen Windwirbel geworfen, tötet die Hexe oder den Zauberer, der ihn verursacht hat. Ein Mann auf Golzer tat das. Kam später nach Bünden, um Schweine zu kaufen. Einkehr etc. wie oben unter b. Der Zauberer war ein Bruder des Wirtes.

Josef Zgraggen, Rütli-Pächter, 45 J. alt

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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