Die Heidenstube bei Glattfelden

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Heidenstube bei Glattfelden

Wer von Glattfelden auf den Laubberg spaziert und sich oben bei den Häusern nach Westen wendet, gelangt von dort aus in einer Viertelstunde zum sogenannten Paradiesgärtchen, einem idyllisch im Wald gelegenen Ruheplatz. In jener Gegend ist am steilen Schotterhang eine Höhle, von der es früher hiess, es hätten darin heidnische Alemannen gehaust, die sich nicht hätten bekehren lassen. Eine ganze Haushaltung habe sich hieher geflüchtet, aber ein Kindlein nach dem andern sei die Wand hinunter gefallen, und zuletzt habe das gleiche Schicksal auch die fast verhungerten Eltern heimgesucht. Gewissermassen zur Strafe für ihre religiöse Widerspenstigkeit.

Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Unterland
Wörtlich nach Hedinger, S. 7. Seine Quellen: persönliche Mitteilung; Gottfried Keller, der grüne Heinrich, 2. Teil, 3. Kapitel. Daselbst wörtlich:
„Aus der gegenüberliegenden Seite des Wassers, nur 20 Schritte von uns, stieg eine Felswand empor, beinahe senkrecht und nur mit wenigem Gesträuch behangen. Ihre Steile verkündete, wie tief hier das kleine Gewässer sein müsse, und ihre Höhe betrug diejenige einer grossen Kirche. An der Mitte derselben war eine Vertiefung sichtbar, die in den Stein hineinhing, und zu welcher man durchaus keinen Zugang entdeckte Es sah aus wie ein recht breites Fenster an einem Turme. Anna erzählte dass diese Höhle die Heidenstube genannt würde. „Als das Christentum in das Land drang“, sagte sie, „da mussten sich die Heiden verbergen, welche nicht getauft sein wollten. Eine ganze Haushaltung mit vielen Kindern flüchtete sich in das Loch dort oben, man weiss gar nicht auf welche Weise. Und man konnte nicht zu ihnen gelangen, aber sie fanden den Weg auch nicht mehr heraus. Sie hausten und kochten eine Zeitlang und ein Kindlein nach dem anderen fiel über die Wand herunter ins Wasser hier und ertrank. Zuletzt waren nur noch Vater und Mutter übrig und hatten nichts mehr zu essen und nichts mehr zu trinken, und zeigten sich als zwei Jammergerippe am Eingange und starrten auf das Grab ihrer Kinder, zuletzt fielen sie vor Schwäche auch herunter, und die ganze Familie liegt in diesem tiefen, tiefen Wasser; denn hier geht es so weit hinunter, als der Stein hoch ist!

Wir schauten, im Schatten sitzend, in die Höhe, wo der obere Teil des grauen Felsens im Sonnenscheine glänzte und die seltsame Vertiefung erhellt war. Wie wir so hinschauten, sahen wir einen blauen, glänzenden Rauch aus der Heidenstube dringen und längs der Wand hinabsteigen, und wie wir länger hinstarrten, sahen wir ein fremdartiges Weib, lang und hager, in den webenden Rauchwolken stehen, herabblicken aus hohlen Augen und wieder verschwinden. Sprachlos sahen wir hin, Anna schmiegte sich dicht an mich und ich legte meine Arm um sie; wir waren erschreckt und doch glücklich, und das Bild der Höhle schwamm verwirrt und verwischt vor unseren emporgerichteten Augen, und als es wieder klar wurde, standen ein Mann und ein Weib in der Höhe und schauten auf uns herab. Eine ganze Reihe von Knaben und Mädchen, halb oder ganz nackt, sass unter dem Loche und hing die Beine über die Wände herunter. Alle Augen starrten nach uns, sie lächelten schmerzlich und streckten die Hände nach uns aus, wie wenn sie um etwas flehten. Es ward uns angst und bange, wir standen eilig auf, Anna flüsterte, indem sie perlende Tränen vergoss: ‚O, die armen, armen Heidenleute!’ denn sie glaubte fest, die Geister derselben zu sehen, besonders da manche glaubten, dass kein Weg zu jener Stelle führe. ‚Wir wollen ihnen etwas opfern‘, sagte das Mädchen leise zu mir, ‚damit sie unser Mitleid gewahr werden!‘ Sie zog eine Münze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte ihr nach, und wir legten unsere Spende auf einen Stein, der am Ufer lag. Noch einmal sahen wir hinauf, wo diese seltsame Erscheinung uns fortwährend beobachtete und mit dankenden Gebärden nachschaute. Als wir im Dorfe anlangten, hiess es, man habe ein Bande Heimatloser in der Gegend gesehen, und man würde dieselben nächster Tage aufsuchen, um sie über die Grenze zu bringen. Anna und ich konnten uns nun die Erscheinung erklären…“

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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