Egelsee am Heitersberg

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf der Höhe des Heitersberges, wo sich jetzt alter Wald in dem gemiedenen Gewässer des kleinen Egelsees abschattet, stand früher einmal ein Schloss, oder wie Andere meinen, ein Herrenkloster; man hieß es die Veste Bauernweh und sein letzter Besitzer war Niko. Er soll die Bewohner des benachbarten Limmat- und Reussthales unbarmherzig gedrückt und ausgesogen haben. Er schickte einen grausamen Vogt mit einer Schaar von Knechten durchs Land, und wer ihm Zins und Zehnten versass, den liess er in die Gewölbe seiner Burg werfen. Als diese Gewalttätigen einst aus dem Reussthale heimkehrten und am Dorfe Remetschwil vorbeikamen, begegnete ihnen oben am Sennhof die dortige Wittwe mit ihren sieben Kindern. Auch sie war nicht im Stande gewesen, dem Vogt rechtzeitig die Pacht zu bezahlen; sogleich packte man Hab und Gut zusammen und trieb das Weib sammt den ihrigen aus. Nur eine Hand voll Mehl wollte sie noch mitnehmen zum Brei für ihr Jüngstes; man riss es ihr vom Arme und warf es in das angezündete Haus. Nun braucht es keinen Brei mehr, höhnte der Vogt und ritt hinweg.

Die verlassene Mutter schrie den Himmel um Rache an; stammelnd vor Schmerz rief sie: „Wenn nur de donner di und din burg i bodde ie verschlueg!“ Der Himmel hatte ihren Fluch gehört. Noch in derselben Nacht erhob sich ein furchtbares Ungewitter; es regnete Blitzschläge auf das Schloss herab, und unter langem Krachen versank es mit Mann und Maus hundert Klafter tief in den Abgrund hinein. Ein See trat an die Stelle, vom Volke der Egelsee geheissen, weil die vielen Blutegel in ihm zum Beweise dienen sollen, wie viel unschuldiges Blut hier einst vergossen worden; oder auch wegen der zahlreichen Egelfische (perca fluviatilis) dieses Gewässers, welche die benachbarten Mönche von Wettingen nachher für ihren Fastentisch besonders schmackhaft gefunden haben.

Auch vom Nägelisee hört man noch reden, weil er die Stadt Nägeli verschlungen, die hier gestanden haben soll. Der See ist heute noch gemieden und gefürchtet. Zwar ist droben auf der Höhe ein ärmliches Bauernhaus, und tiefer unten am Waldabhange, wo ehedem ein Fischerhäuschen auf der abschüssigen Matte stand, liegt noch ein Kahn am Ufer. Allein man wagt sich in ihm nicht aufs Wasser hinaus, weil man zu versinken fürchtet, sobald man in die Mitte fährt oder dorten stille hält. Nie bewegt sich die Welle, nie überfriert sie, kein Bach ergiesst sich darein. Der See ist schon auf neunzig Fuss Tiefe gemessen, aber man hält seine Mitte für unergründlich. Zwei Männer am Sennhof, die sich hierüber Gewissheit verschaffen wollten, knüpften zehn Schnurknäuel, jedes zu hundert Ellen Länge, aneinander, hiengen einen Senkstein daran und fuhren damit gegen die Mitte hinaus. Doch die Schnur reichte nicht aus und der Kahn fieng bereits an zu sinken. Da mahnte sie eine Stimme von drüben her aus den senkrechten Felswänden des westlichen Ufers, augenblicklich dem Lande zuzurudern, sonst sei es um sie geschehen.

Auch keinen natürlichen Ausfluss hat das Gewässer, mit Ausnahme des kleinen Durchganges, den man ihm schrittbreit durch den Waldgraben machte. Ueber dieses Rinnsal ist heute noch der Müller im Dorfe Spreitenbach gesetzt und hat dafür einen Theil des Fischrechtes am See. Einst war ihm ein Hecht von ganz aussergewöhnlicher Grösse ins Netz gegangen. Da der Mann auf dem alten Glauben war, das Gewässer hänge unterirdisch mit dem Reussstrom zusammen, so band er dem Fisch einen rothen Faden um den Hals und liess ihn wieder schwimmen. Nicht lange nachher ward derselbe in der Reuss bei der Stadt Bremgarten gefangen.

Nebenan am versumpften Ufer, wo im Sommer bei trockener Witterung jeder Schritt hohl nachdröhnt, finden sich noch etliche Mauerspuren; bröckelt man davon Gestein ab und wirft es in den See, so soll er aufsteigen und das ganze Land überschwemmen. Unter seinem Spiegel will man bei klarem Himmel die Thurmspitze des Schlosses gesehen haben. In der Nachbarschaft oberhalb der sogenannten Seematten ist eine wilde Rise, wo die Bergwand ihren Schult abstürzen lässt. Der Fussweg dahin heisst der Reitweg. Da zeigt man das sog. Teufelsloch, die Stelle des alten Schatzhauses, das die Schlossherren mit eisernem Fallgitter verwahrt hielten.

Hieher begab sich ein Färber aus dem Städtchen Mellingen zu wiederholten Malen, um den versenkten Reichthümern nachzuspüren. Er traf in der Höhle eine Jungfrau, die auf einer Eisenkiste stand und hütete. Der vorsichtige Mann machte sie mit den geweihten Wachskerzen unschädlich, die er mitgenommen und vorher angezündet hatte, und konnte nun eine nicht geringe Geldsumme mit fortnehmen. Da er aber beim Weggehen noch unter dem Eisengitter sich umwendete, fuhr dieses im gleichen Augenblicke herab und schlug ihm die Nase weg. Der Mann ist noch nicht lange todt, und der Vorfall ist in Mellingen eine wohlbekannte Sache.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 7

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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