Der Senne aus Lobisey

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Jenen ganzen Bergkessel im Solothurner-Jura, hinter der Ritterburg Neu-Falkenstein, der durch seine kreisrunde trichterförmige Gestaltung dem Wanderer ins Auge fällt, hat früherhin ein See angefüllt, und als große Erdbeben diese Bergwände zerrissen, hat er seinen Abfluß durch eine Felsenspalte genommen, welche man bei St. Wolfgang zeigt. Bei seinem Durchbruche mußte er die tiefer liegende Gegend des Balstales noch einmal vorübergehend begraben, zugleich aber öffnete er für immer die drei fruchtbaren Hochtäler von Mümliswil, Ramiswil und Guldental. Da er der Lobisee hieß, so übertrug man diesen Namen auch auf das von ihm frei gegebene Gelände der Mümliswiler Klus, welches nun das Lobisey heißt.

Dieses bildete anfänglich eine einzige große Sennenwirtschaft, die mit Grund und Grat, mit Wald und Wiesen das Eigentum des Lobisey-Sennen war. 

So weit die Rinder einen sommerlangen Tag laufen mochten, war hier alles sein. Hier wuchs das würzigste Gras und weidete der stattlichste Viehschlag. Des Sennen Käse waren feiner als alle und jeder wog seinen Zentner. Im Bergwald schoß er sich den Sonntagsbraten, und Fastenforellen fischte er netzweise im Talbache, der zwischen der Felsenschlucht und der Sonnenhalde hier sich hervorschlängelt. Lustig an dieser Halde hingebaut stand sein Hofgut mit allen Ställen, Scheunen, Schuppen und Schöpflein.

Wie hätte dieser Mann in Glück und Wohlstand ein schönes Leben gehabt, wenn nicht der Geizteufel sein Herz besessen hätte. Da kommt aber einmal im Hochsommer, während er eben allein auf dem Hofe und alles sein Gesinde draußen auf den Gütern ist, ein Metzger aus dem Tale herauf und fragt hier solchen fetten Saugkälbern nach, wie sie auf der Bergweide allein gedeihen. Er wird in den Stall geführt, und während er sich da zu jedem Stück hinabbückt, um es handwerksgemäß an Laffen, Wamme und Blatt zu proben, bemerkt der Senne die strotzende Geldkatze, die jener um den Leib gegürtet trägt. Ein abscheulicher Gedanke durchfährt den Gutsbauern, er ergreift einen Melkstuhl und schlägt damit den Mann rücklings zusammen. Die Leiche verscharrt er vor dem Stall in der Dungstätte, die Geldkatze mit ihren Brabäntertalern verschließt er in der Truhe unter dem Bette, keine Seele hats gehört oder hats gesehen, und da Abends das Gesinde heimkommt, ist bereits auch jede Spur des Geschehenen vollends getilgt. Ein ganzes Jahr schon ist vergangen, der Metzger bleibt verschollen. Wieder ist der Sommer da, wieder sitzt der Senne allein daheim, wiederum ist heute das Gesinde bis an den letzten Mann droben auf den Matten und mäht frisch drauf los. Diesmal aber ist des Heues eine solche Fülle, daß die vielen Häuschen und Notstöckchen es nicht alles fassen; statt es einzufahren, muß man einen Teil in Heinzen und Tristenstöcke zusammen türmen und draußen liegen lassen, bis sich Käufer aus dem Tale dafür melden werden. Man kann das Jauchzen der Heuer bis zum Hause herab hören; der Senne allein, dem doch Alles zufällt und gehört, scheint sich nicht recht mit zu freuen. Müde und stumpf, wie er gerade ist, scheint ihm diesmal der Weg viel zu weit auf die nächste Unter- oder Oberweid; er schaut nur zuweilen durchs Eckfenster nach den Knechten hinauf, sieht die Tagesarbeit dem Ende zugehen und sitzt dann abermals nieder auf seine Fensterbank. Da fällt sein Blick gegen die Stallung hinüber auf die große Dungstätte, und er gewahrt, wie hier Gras hoch und büschelweise auf einem einzigen Flecke aufgeschoßen beisammen steht. Diese paar fetten Grasbüschel fesseln seinen klapperdürren Geiz. Jetzt macht er sich hinter der Bank vor, nimmt draußen die Sense vom Nagel, und schämt sich nicht, vor den Augen seiner Knechte, die eben auf Heuschlitten und Wagen die Fuder in den Hof hereinbringen, das Dutzend Halme um die Düngerstätte her abzumähen. Doch halt, was war das? des Bauern Sense fährt hier klirrend gegen einen  Stein, er selbst schreit laut um Hülfe, Alles springt herbei, nach dem Grunde seines Schreckens suchend, und Alle zusammen erblicken schaudernd dasselbe. Seine Sense hat in einen alten Totenschädel gehauen, über dem schon Gras gewachsen war; durch den kahlen Knochen geht ein frischer Hieb, nicht bloss der Boden, der Senne selbst ist ganz mit Blut übersprützt. Verzweifelnd walzt er sich vor ihren Füßen herum, ringt mit der Lüge und dem Geständnisse, stammelt die Hälfte seiner Missetat heraus und hat sich binnen einer Stunde vernunftlos gerast. Vor den Augen der Arbeiter stirbt er noch jenen Abend. 

Wie hätte nach einem solchen Frevel noch Segen sein können auf jener Alpe; oder wie Ruhe, da von nun an der böse Mördergeist nicht enden konnte, seine Qualen ganze Nächte hindurch selber auszuschreien! Die Alpe Lobisey mußte eingehen, das Haus abgerissen, das ganze Gut verteilt werden. Vergebens hatte man zuerst die Mönche aus Olten und Solothurn herbeigerufen, um durch sie den Friedelosen in eine Hauswand oder in einen Feldstock festbannen zu lassen. Diese Besegnungen kosteten manches Kalb, manchen Käselaib, manche Butterballe, und der Spuk im Hofe tobte ungebändigt fort. Vergebens kamen nachmals auch die Franzosen, da sie als Neufranken ins Land einbrachen, in ihrer Raubgier bis hier herauf gestiegen. Während sie sonst so viel des Brauchbaren und Unbrauchbaren aus allen Winkeln herausfanden und mit sich fortnahmen, dieser Sennengeist allein hielt niet- und nagelfest gegen sie aus. Er ist noch da und heißt nun der Lobisey-Teufel. Gar mancher, der des Nachts durch diese Schluchten zu gehen hat, hat ihn selber gehört und gesehen. Wenn da im Tale lautlose Stille herrscht und kein Wind einen Ast im Walde bewegt, bricht plötzlich aus der oberen Luft ein greuliches Jammerrufen wie ein heulender Sturm herunter, und im Mondlichte gewahrt man alsdann, wie sich der klumpige Körper eines schwarzen Untieres über den ganzen Bach querüber lagert. Dann wird sogar noch eine zweite Klagestimme laut, und das ist die des erschlagenen Metzgers. Diese zwei unstäten Geister kommen drauf in Gestalt zweier feurigen Kugeln gegen einander losgefahren, platzen an einander und kämpfen zusammen, daß die Nacht und der Wald von Funken sprüht. (Gottfried Schenker von Däniken.) 

Sage aus dem Solothurner Jura

Band 3.1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Leipzig 1962

Ausschnitte aus dem 4. Kapitel, S. 55 - 57

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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