Das Hügelimaidli zu Holziken

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein hübscher Waldberg zwischen Holziken und Schöftland heisst auf der Seite, mit welcher er an den Surenbach stösst, das Hügeli. Dorten zwischen dem Walde Hard von Holziken und dem Stübisberge mit der Picardie liegt eine von Nagelfluhblöcken rings umgebene Höhle, die Hügeligrotte. Ein solcher Felsblock steht dicht vor ihrem Eingange, als wollte er ihn versperren; auch ist der Einschlupf so niedrig, dass man nur auf dem Leibe hinein kriechen kann, drum haben die Füchse ihre sichere Wohnung hier aufgeschlagen. Einige Schritte tiefer innen erweitert sich dann die Höhle und soll sich in mehrere mit Tropfstein hübsch besetzte Gänge theilen.

In alten Zeiten stand hier ein schönes Schloss. Diese Felsblöcke sind Trümmer seiner mächtigen Grundmauern, das ganze Dorf Schöftland hat mit in den Schlossbann gehört. Nur ein einziges Adelsfräulein war die Bewohnerin der ganzen weiten Burg, eine prunksüchtige stolze Jungfrau, die zwar wegen ihrer Schönheit sehr berühmt, aber bei der Thalbevölkerung wenig beliebt war. Gleichwohl unternahm es einmal um die Zeit des Frühjahres ein armer Mann im Dorfe, sie seinem neugebornen Kinde zur Taufpathin zu gewinnen, und damit sie sich nicht in sein geringes Haus bemühen müsse, brachte er ihr am Tauftage das Kleine aufs Schloss hinauf.

Die Zeit war da und die Glocken fiengen an zur Kirche zu läuten, im Schlosshofe drunten warteten die Mädchen schon, um mit der Herrin fort zu gehen ins Dorf hinüber auf der andern Seite des Thales. Aber das eitle Adelsfräulein konnte mit ihrem Putze nicht fertig werden und nicht vom Spiegel wegkommen, bis ihr die Magd ankündigte, eben läute es in Schöftland schon das dritte und letzte Zeichen. So läut' es auch in des Teufels Namen! erwiederte ihr das Fräulein, liess sich verdriesslich den Täufling auf den Arm geben und schickte sich an, den Berg hinab zu steigen. Als sie aber an den Steg gekommen war, der unten über den Hungerbach führt, bemerkte sie, dass das Läuten aufhöre und dass sie sich also verspätet habe. Welche Schande für eine Junkerstochter, wenn sie ohne Sang und Klang mit einem Bauernkinde auf dem Arme hätte in die Kirche eintreten sollen, wie wenn sie unter die Dirnen gerechnet würde und dieses ihr Pathenkind unter die unehlich geborenen.

Uebernommen von plötzlichem Zorn über diesen Verstoss der albernen Bauern vergisst sie sich ganz, wirft das Kind vom Steg, wo sie eben steht, in den Hungerbach und kehrt auf der Stelle wieder heim. Aber es verhüllt sich die Sonne, als ob es Nacht würde und auf dem Schlossberge bricht ein furchtbares Krachen los. Als dieser Sturm sich wieder verzogen hatte und die Leute nach dem Berge hin eilten, fanden sie nur noch Trümmer von der versunkenen Burg, das Fräulein selber war und blieb verschwunden. Lange nachher erst hat man erfahren, dass sie in das unterste Verliess ihrer Burg lebendig versenkt worden war und da bis heute auf ihre Erlösung warten muss.

So kommt sie denn jetzt noch aus dem Buchenwalde bis zum Steg, der am Bändler-Kirchweg über den Hügeligraben führt, kämmt sich die Haare, flicht ihre Zöpfe heiterhellen Tages, und wäscht und breitet Windeln aus. In ihrer Grotte wohnt sie mit einem schwarzen Hund zusammen. Er hat Feueraugen und hütet eine eiserne Geldkiste. Daneben wächst alle hundert Jahre ein Blümlein, ein rothes Maddänneli (Früh- und Schlüsselblume), und wer dieses pflückt, kann die Geldtruhe leeren. Aber alsdann muss er auch dreimal der blitzgeschwinden Jungfrau um den Abgrund rings herum nachlaufen, der sich bei der Kiste aufthut. Nur erst ein Mann hat sich gefunden, der aus Habsucht sich zu diesem Werke verstand. Mitten im Laufe um den Abgrund ergriff ihn aber ein so erschrecklicher Schwindel, dass er noch gerade rechtzeitig von der Grube weg und zur Höhle hinaus sprang.

Wie lange sie auf diesen Erlöser schon gewartet hatte und wie lange es wieder gehen wird, bis sich ein zweiter findet, das weiss man aus dem Worte, welches sie dem Entronnenen nachrief: Wenn meine Krähe keine Nuss fallen lässt, so wächst mein Baum nicht! Wenn mein Baum nicht umgehauen wird, so hat mein Kind keine Wiege, und wenn mein Kind nicht schlafen kann, so wächst mein Erlöser nicht!

Ein neugieriger Bursche hat einmal erfahren wollen, wie weit wohl diese Höhle gehe, er nahm deswegen seinen Haushahn mit und jagte ihn hinein. Als das Thier durchaus nicht wieder kam, gieng der Bursche wieder heim in sein Haus, das eine halbe Stunde weiter oben im Thale liegt. So wie er in die Küche trat, hörte er seinen Hahn unter dem Herde tief im Erdboden krähen. Jetzt war es ihm gewiss, dass die Höhle endlos und die Jungfrau unerlösbar sei.

Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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