Ruine Königstein bei Aarau

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Oberhalb der Seidenfabrik hinter dem Dorfe Küttigen bei Aarau erhebt sich eine brüchige Jurawand, auf deren steilstem Ausläufer im Buchenwalde die Ruinen des Ritterschlosses Königsstein stehen, in dortiger Mundart das Küngstengut genannt. Die Ueberreste dreier Rundthürmchen mit ihren Fensterlücken sind allein von allem noch zu sehen, die kann man, so heisst es, mit der Hand zum Wackeln bringen, so morsch und aus so kleinen Steinchen zusammen gebacken sind sie; stürzen aber kann sie Niemand, denn sie sind mit der allerfettesten Milch verpflastert, wie die Bauern sie dem Zwinghern aufs Schloss liefern mussten. Dieser herrschte grausam und war noch dazu ein Baunarr.

Erst mussten ihm die Landleute an der Hinterseite des Schlosses eine Strasse über den Felsen hinab sprengen bis zum Bächlein, das von der gegenüber liegenden Wasserfluh herab kommt. Dieser alte Pfad heisst jetzt die Säligasse. Da baute er Brunnenstube und Waschhaus, und ein Esel musste ihm stündlich von da das kalte Quellwasser herauftragen. Das ist der Fischbachbrunnen, der zwischen zwei Felsen herrliches Quellwasser aussprudelt. Dann liess er von der Burg bis zum Dorfe Kilchberg eine andere stundenlange Strasse anlegen, und alle Hörigen seines Twings in den Gemeinden Küttigen, Biberstein und Erlisbach mussten daran schanzen. Sie sollte schnurgerade und überall in gleicher Breite über das Gebirge geführt werden. Das Volk nennt die noch vorhandenen Ueberreste davon die Herrenstrass. Auch den jähen Weg zu den Benken, der über den Jura in das Frickthal hinüber führt, liess er durch die Hügel hauen, so dass er auf einem Esel, ohne abzusteigen, hier durch nach dem Schloss Urgitz reiten konnte, das drüben jenseits der Schneeschmelzi (Gebirgsgrates) beim Dörflein Asp als Ruine steht.

Dem Königsstein gegenüber liegt eine gleich hohe Bergwand des langen Achenberges, die Wandfluh oder verkürzt Wampfle genannt; sie liess er durch seine Untervögte zu einem Garten umschaffen, und als dieser fertig und ummauert war, wollte er gleichfalls eine Burg drinnen haben. Sie entstand und auch von ihr will man noch etliche Trümmer auf jener Bergwand erkennen. Damit belehnte er dann seinen Bruder, und als dieser sich nachmals mit ihm überwarf, hat er ihm vom Königsstein aus mit einem Pfeile Auge und Haupt durchschossen. Die Leiche warf er in den Sodbrunnen, der über hundert Fuss tief in den Felsen gegraben ist. Damit sich nicht wieder einer gegen ihn auflehne, liess er nun den Thalweg zwischen beiden Bergwänden und Burgen mit einer starken Mauer verschliessen, die zwei Nachbarburgen aber durch eine lederne Brücke verbinden. Diese Brücke war hundert Klafter lang, mit Seilen unterspannt und bestand anfangs aus lauter Schmalleder. Bis sie fertig und so stark geworden war, dass der Ritter jeder Zeit von einem Schloss zum andern drüber reiten konnte, kostete sie manchen schönen Stier. Alle Jahre musste man zudem sie allenthalben ausbessern, denn sie moderte schnell, und die Bauern weigerten sich endlich, ihre besten Thiere dazu aufs Schloss zu liefern. Da fieng er ihnen auf seinen vielen neugebauten Wegen allenthalben das Vieh weg, das sie anders wohin zu Markte trieben. Um dieser Plage einmal los zu werden, zerschnitten die Küttiger heimlich diese Brücke, und als der Burgherr wieder drüber ritt, riss das drunter weggespannte Tragseil und der Dränger kam um.

Man erzählt diese Begebenheit mit Angabe näherer Umstände auch also. Ein junger Bursche von Küttigen hatte sich durch Jugendstreiche und Ausgelassenheit daheim schon sehr verrufen gemacht, und da der Burgherr auch noch seinen persönlichen Hass erregt hatte, gab er sich bald dazu her, die Allen verleidete Lederbrücke zu zerschneiden. Die Verwegenheit gelang nur halb, und der aufgebrachte Vogt bot bei hunderttausend Gulden Jedem, der den Thäter angäbe. Obschon nun alle Bauern diesen wohl kannten, verrieth ihn doch Niemand, weil man gar wohl wusste, dass der Burgherr die Brücke doch wieder bauen und die dem Entdecker verheissene Summe nur um so eher wieder aus ihnen heraus pressen würde. Jener Bursche entwich aus dem Lande, gieng als Soldat in holländische Dienste und gerieth so bis nach Ostindien. Im Unglücke der Verbannung nahm er sich zusammen, schwang sich endlich zu hohem Ansehen auf und erwarb sich ein grosses Vermögen. Vor etlichen dreissig Jahren erst soll sein Todtenschein über Meer nach Küttigen gekommen sein.

Endlich ward des Burgherrn Mass auch voll. Während er auf eine Jagd ausgezogen war, überrumpelten einmal die Bauern das Schloss und verbrannten es sammt der Brücke. Den rückkehrenden Ritter fiengen sie auf, hiengen ihn an den Füssen an einen Baum und kratzten und striegelten ihn mit Karden (Kardetschen, Wollhecheln) zu todt. Die Leiche schleppten sie auf die Wiese hinter dem alten Schulhause und verlochten sie da. Diese Stelle heisst die Cheibenstatt.

Noch liegt droben im Schlosse des Burgherrn Schatz vergraben, er scheint im dortigen Sodbrunnen oder Keller zu stecken. Denn wenn überall Windstille herrscht, so zieht doch auf diesem Platze immer eine schneidende Luft oder wirbelt das Laub auf. Wenn sich dorten der grosse Uhu hören lässt und die Krähen ihn stossen, so giebt es jedesmal anderes Wetter; aber man meidet diese Stelle, die Kupferschlange hat schon manches Kind gebissen, das dorten Leseholz sammelte, und über Andere ist ein plötzliches Sausen hereingebrochen, dass sie mit einem bösartigen Gliederweh heimgekommen sind. Zwar will noch dieser und jener dorten einzelne Thaler gefunden haben, wenn er sie aber daheim herzeigen sollte, hatte er nichts als Schneckenhäuser im Sack.

Oft wandelt in der grössten Mittagshitze ein weibliches Wesen durch die obere Waldung um die Ruine. In schneeweissen Gewändern holt sie in einem silbernen Handkessel Wasser herauf vom Kuhrüti-Brünnli, einer Quelle, die am Südabhange des Nachbarberges Egg entspringt. In ihrer aufgebauschten Schürze scheint sie Geld zu tragen, denn sie legt solches auf die Erde aus in grossen Wannen, welche sie gar hübsch aus Laub zu flechten weiss. Dann schaut sie mit einem bittenden Blick hinab in die Gegend, als wollte sie sagen: O ihr lieben Bauersleute, befreit mich doch aus diesem Schicksale, ich habe euch ja nichts angethan, dass man mich so lange leiden lässt! Am Charfreitage zeigt sie sich am liebsten; so haben sie einst drei Jungen gesehen und es schnell daheim dem Grossvater gemeldet. Der schickte sie gleich wieder zurück mit der Weisung, Brosamen auf jene Wannen und Blätter zu werfen, alsdann würde sich dies Alles in Gold verwandeln. Allein die Knaben konnten, auf jenem Platze wieder angelangt, von der ganzen Pracht nichts mehr finden.

Ein Mann, der sich dorten herum Weiden zum Garbenbinden schnitt, sah ebenfalls Tücher in die Sonne gebreitet und allerlei niedliches Geschirr darauf gestellt. Er dachte seinem Kinde nur ein einziges dieser blitzenden Schüsselchen zum Spielzeug mit heim zu bringen und gieng damit hinweg. Als er's aber daheim aus dem Sacke zog, war's ein blosses Geldstück. Dies machte ihn zwar nicht unzufrieden, aber es jagte ihm eine besondere Scheu ein und er mied von nun an jenen Ort.

Auch eine Ente und ein schwarzes Hündchen gewahrt man manches mal droben, und beide, meint man, seien die Jungfrau, die aus solcher Verwandlung erlöst sein und dafür ihre verborgenen Schätze hergeben will. Das liess sich der Flender von Erlisbach, als ihm sein Haus abgebrannt war, alles ausführlich an Ort und Stelle von einer alten Frau zeigen und erklären. Tief unten wies sie ihm eine kreisförmige Schuttlage, worunter der Schatz stecken werde, und alles werde sein, wenn er binnen drei Nächten das schwarze Hündchen vertrieben habe, das darauf zu liegen pflege. Käme dann die Jungfrau auch als Schlange, so solle er sie nicht fürchten, sondern sie zu berühren suchen. Und käme hernach der Teufel, welcher im Momente, da die Jungfrau erscheint, einen Felsen über dem Haupte des Schatzgräbers abzulösen droht, so müsse er schweigend zur Stelle bleiben. Denn auf jeden Ruf würde der emporsteigende Schatz sogleich wieder versunken sein.

Der arme Flender machte sich nun mit drei Bauern von Küttigen, Entfelden und Oberhofen ans Geschäft. In der ersten Nacht gieng ein scharfer eiskalter Wind; sie liessen sich's nicht anfechten und gruben ein gewaltiges Loch aus, fast von solcher Tiefe, wie ihnen die Frau angegeben hatte. Mit Tagesanbruch verliessen sie auf verschiedenen Wegen die Höhe, um unbemerkt gegen Abend wieder hier zusammen zu treffen. In der zweiten Nacht war die Luft viel milder, sie gruben noch tiefer, da zogen Schwäne nahe an ihnen vorbei. Später meinten sie sogar einen schwarzen Hund zu erblicken. Eben stiessen sie mit Pickeln und Hebeisen auf einen Deckstein, als ein bärtiger Greis mit einer verschleierten Jungfrau zu ihnen trat und ihnen feierlich vortrug, dass sie in der nächsten Nacht die Truhe sicher erheben würden; dann aber sollten sie nicht säumen, einen Theil ihres Gewinnstes nach Küttigen zu erstatten und einen zweiten nach Biberstein, denn dorten seien ehemals grosse Summen erpresst worden. Allen Vieren bleibe gleichwohl noch genug, um zeitlebens reich zu sein. Nach dieser Erklärung schienen die zwei Gestalten wieder im Gebüsche zu verschwinden.

Im gleichen Augenblicke aber erhob sich ringsum ein so einstimmiges Hohngeschrei und Heulen, dass unsere Männer zusammen entsprangen. So schrieen indessen nicht die Geister der Verwünschten, sondern die Dorfjungen, welche von der Schatzgräberei bereits gehört, heute zur Ruine sich geschlichen hatten und nun, da zwei von ihnen die Rolle der Geister spielten, zu voreilig ihrem Spottgelächter Luft machten. Gleichwohl liessen sich die Schatzgräber nicht die Aechtheit jener Erscheinung bezweifeln und waren in der dritten Nacht abermals an ihrer Arbeit. Allein die Sache war schon ruchbar. Es erschienen heute, anstatt der Schlossjungfrau, zwei Landjäger und betrafen die Beschwörer, wie sie eben um ein Feuer sassen und zusammen aus einem alten Buche beteten. Alle wurden festgenommen. Vergebens baten sie, man möge sie nur noch diese Nacht, die letzte, unangefochten am Platze lassen, dann seien sie reich und die Geister erlöst, und mit gutem Muthe werde man sich alsdann morgen freiwillig der Polizei stellen. Die Landjäger vollzogen ihren Befehl. Erst vor einigen Jahren ist der Flender gestorben, und noch auf dem Sterbebette hat es ihn geschmerzt, dass man ihm seine Hoffnung also zu Wasser gemacht hat.

Es hatte sich auch ein anderer Bauer mit seinen Bekannten zu gleichem Zwecke auf die Ruine begeben und dreiundzwanzig Nächte lang von elf Uhr Nachts bis ein Uhr dorten gebetet. Schon zeigte sich im Innern der Grube etwas wie eine Wanne, in der das Geld vermuthet werden konnte; da brach einer von ihnen das angelobte Stillschweigen dadurch, dass er unwillkürlich eine Unanständigkeit begieng, und plötzlich war die Wanne wieder versunken. Jetzt wären wir auch Herren, schloss nachmals einer von ihnen hierüber seine Erzählung; so aber sind wir arme Bauern, haben alle Tage um geringen Lohn Wind und Wetter auszustehen, und erschwingen doch nicht einmal so viel, um nur eine kleine Haushaltung zu ernähren.

Ein Mann in ähnlichem Nothstande kam spät des Abends zur Ruine herauf, um noch ein wenig Holz für sein Küchenfeuer mit heim zu nehmen. Da dünkte es ihn, als ob er Reiter vom Schlossberg herab sprengen höre, und wie er sich umschaute, kam eine ganze Reihe von Chaisen mit lauter altmodisch geputzten Leuten über den Berg gefahren. Kaum war der Zug vorüber, so ritt der Schlosskoch mit weisser Zipfelkappe auf einem Eselein ebenfalls daher. Er hielt einen Kupferkessel in der Hand, den er am Sodbrunnen gefüllt haben musste, und schnaufend vor lauter Eile fragte er den Bauern, ob der Zug schon weit voraus sei. Der sonst gleichgültige und ohnedies bekümmerte Mann musste nun doch über den Geschäftseifer dieses sonderbaren Kerls lächeln und antwortete: O, auf deinem Renner hast du sie gleich wieder! Auf dies Wort warf ihn ein Windstoss um, und da er heim kam, musste er mehrere Tage das Bett hüten.

Etwas Aehnliches begegnete auch einem Bekannten meines Vetters, so fährt hier ein anderer Erzähler aus jener Gegend fort. Er wollte Nachts von dem Bergdörfchen Hard noch nach Küttigen hinab gehen, aber die sternenhelle Nacht wurde nach und nach so finster, dass er den Weg nicht mehr sehen konnte und sich in den Königsstein verirrte. Da hörte er nun ein Gerassel, wie wenn eine Kutsche käme und zugleich bemerkte er ein Licht, das sich schnell näherte. Das war denn auch wirklich die Laterne einer Kutsche. Mit vier Schimmeln bespannt kam sie herauf gefahren, zwei schwarze Windhunde liefen zur Seite und drinnen sassen Herren und Damen in alterthümlicher Tracht. Nun hielt sie an, ein Diener sprang ab, deckte schnell den Sodbrunnen auf, aus dem ein leichenhafter Mann emporkam, öffnete dann den Kutschenschlag und half ihm einsteigen, und alsbald fuhr alles wieder hinweg. In der Ferne verschwand das Laternenlicht der Kutsche, und kaum war alles vorüber, so fieng es sehr heftig zu regnen an, ein grosses Gewitter entlud sich. Von der Angst fortgetrieben und mit Hilfe der leuchtenden Blitze fand der Mann den Weg wieder und erreichte unbeschädigt das Dorf.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 141

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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