Die vier gespenstischen Sennen und der Gemsjäger

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein Jäger, einst auf der Gemsjagd auf dem Moléson von der Nacht überrascht, suchte, da es zu spät zur Heimkehr war, eine auf der Seite des Berges liegende Sennhütte auf. Da es schon Ende Herbst war und sämtliche Sennen mit ihren Herden längst zu Tal gezogen, war er nicht wenig überrascht, als er, jener Hütte sich nähernd, Stimmen und das Geläute von Kuhglocken vernahm. Neugierig trat er in die Hütte ein, wie aber war er erstaunt, als er vier Sennen in derselben antraf, welche er noch niemals in seinem Leben gesehen und von denen einer einäugig und einer lahm, der dritte aber auf Rücken und Brust einen Höcker hatte, während der vierte den Aussatz zu haben schien; alle vier aber waren gelb von Gesicht und runzlicht wie altes Pergament, dabei fehlte jedem der zweite und dritte Finger an der rechten Hand. Ihre Sprache, dem Jäger gänzlich unverständlich, glich dem Gekrächze der Raben zur Winterszeit. Nachdem sie den neuen Ankömmling einige Zeit von der Seite betrachtet hatten, luden sie ihn ein, auf einem dicken Holzblock in der Nähe des Feuers Platz zu nehmen. Dieser, obschon es ihm etwas unheimlich ums Herz war, folgte der Einladung, behielt aber zur Sicherheit die Büchse zwischen den Beinen. Dies schien die Sennen wenig zu kümmern, ungestört fuhren sie in ihrer Arbeit fort. Erst machte man Käse, dann Zieger, von welchem sich schon ein Vorrat auf einem Balken der Hütte aufgerichtet vorfand. Als die Arbeit beendet, bot der Bucklige dem Jäger Brod und ein Stück Kuhfleisch an. Dieser, da er sehr hungrig, nahm das Angebotene, zog sein Messer aus der Tasche und schnitt sich von dem Fleisch einen Bissen ab, der Bissen war nicht größer als eine Fingerspitze; da jedoch sein Geschmack sehr fade war, murmelte der Jäger, wie man das häufig zu tun pflegt, wenn einem die Mahlzeit nicht mundet, still vor sich hin: „Das Salz fehlt.“ Kaum waren aber diese Worte über seine Lippen, so fingen die vier Sennen an auf schreckliche Art mit ihren Zähnen zu fletschen und den Jäger mit Blicken zu betrachten. als ob sie ihn verschlingen wollten. Da kam diesem die Idee, dass er nicht mit Christen sei, sich allen Heiligen empfehlend, machte er schnell das Zeichen des Kreuzes und plötzlich war Alles verschwunden, Sennen und Kühe, der Jäger war allein in der stockfinstern Hütte. Als er sich von dem gehabten Schrecken etwas erholt, warf er sich auf einen Haufen Heu, den er umhertappend in einer der Ecken der Hütte vorfand. Schlaf aber kam nicht in seine Augen. Am Morgen erst sah er, dass was er für Heu gehalten, ein Haufen Asche war und an der Stelle der Käse und der Zieger auf dem Balken der Hütte, die er am Abend vorher bemerkt, trockener Mörtel und faules Holz. Eiligst verließ er die Hütte und wendete seine Schritte dem Heimweg zu. Auf halbem Wege kam ihm einer seiner Knaben mit dem Rufe entgegen: „Vater, denk' was diese Nacht mit Meriau (Miroir, der Spiegel, hier Name einer Kuh) vorgegangen, an dem linken Schenkel fehlt ihr ein Stück Fleisch, groß wie eine Fingerspitze!“ Da wusste der Jäger woran er war, ohne Zweifel war dies das Stück Fleisch, was er am vergangenen Abend in der Hütte auf dem Moléson gegessen, die Gespenster aber, so erzählte ihm später ein alter Mann aus seinem Orte, waren die Geister eines Kühers, der durch ein falsches Testament die Alp, auf der jene Hütte stand, sich anzueignen gewusst, und die seiner drei Zeugen, welche, durch Geld bestochen, wie er fälschlich geschworen, das Testament sei wahr, daher den vier Meineidigen auch die Schwurfinger gefehlt hätten.

C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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