Der Bär in der Steinstessi

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

An der Wengernalp ist der Steinstessigraben. In seinem obern Teil, wo er gegen die Männlichenkette ausläuft, übten sich die Sennen sommerüber seit langem im Steinstossen; deshalb heisst es dort noch heute in der Steinstessi. Auch der Pfarrherr war tätig dabei; es hiess von ihm:

Herr David Müsli, im Tale erster Prädikant,

Der hat den Stein gestossen mit seiner eignen Hand.

In vergangenen Zeiten hauste hier in den grossen, schwarzen Wäldern der Umgebung der leidige Bär und schlug den Bauern ihr Kleinvieh.

Die Bergleute gingen dem bösen Raubwild beherzt zu Leibe und verdrängten es selbst aus den hintersten Winkeln der Hochtäler. Der letzte Bär aber, der machte den Berglern arg zu schaffen. Es wurde öfters gesehen, wie er über den Steinstessigraben wechselte. Da soll sich ein Wengenbauer, dem er Vieh geschlagen, ermannt haben, allein dem Untier auf den Leib zu rücken. Man sah ihn nie mehr, und es hiess, der Bär habe ihn in einen Graben geschleudert und irgendwo verschleppt. An der Unglückstätte sollen noch heute zuzeiten ganz unvermittelt Steine in die Tiefe rollen.

Nachher sah man jahrelang das braune Zotteltier in der Gegend nicht mehr. Da — man zählte das 1772. oder 73. Jahr — als der Michel Graf am Acher an einem Herbstabend in das Brandmahdweidli seinen Taggewinn melken ging, da war der Kuhbänz zerrissen und bereits aufgefressen vor dem Scheuerlein. Er sah sich um, der Wengenbauer — und — beim Teufelwetter — da war die Spur von Bärentatzen! Dann ging er, nachdem der Gewerb gehirtet und die Stalltüre mit Sparren verrammelt, hinunter nach Wengen, die Sache ruchbar zu machen.

Schon vor der nächsten Tagheitri gingen ihrer 37 von Wengen und von Lauterbrunnen zu Jaag auf den braunen Bauernfeind. Sie teilten sich in zwei Rotten, die eine sollte Mettlenalp absuchen, die andere den Gürmschbühl. Die, bei der auch Michel Graf war, stöberte den grossen Zottelbär auf. Als er im alten Wechsel bei der Steinstessi über einen Hag hopsen wollte, traf ihn das Blei von Graf so gut, dass er im Handumdrehen ausgezappelt hatte.

Ihrer zwei gingen hinaus nach Wengen, es bekannt zu tun. Das gab am gleichen Tag im Dorf eine fröhliche Ribottete (frohes Fest). Sie legten den toten Braunen auf efeuumkränzte, tannene Latten, setzten den guten Schützen auch darauf, hoben beide auf einige lastgewohnte Schultern, und zwei heitere Musikanten spielten auf zum Siegeszug durch die Gassen.

Bis ganz tief in den herbstnächtlichen Mondschein hatte die nachfolgende Füehri (Fest) gedauert. Einer von den puschperen Bärenjägern soll so oft auf den Boden des Glases geguckt haben, dass er auf dem Heimweg seinen Schatten für einen ihn verfolgenden Bären hielt. Er rannte dermassen streng bergauf, dass er bald bis ans Halszäpfli voll Atem war. Als er einsah, er könne den leisen, schwarzen Sohlengänger nicht ab den Fersen tun, da rief er laut: "Su friss mi!" und liess sich erschöpft aufs Wegbord fallen. Das haben sie dem noch nach Jahren öfters über die Nase gerieben.

Item, am Tag darauf brachten die Wenger den letzten Bären der Talschaft Lauterbrunnen dem Landvogt hinaus ins Schloss nach Interlaken und bekamen einen schönen, baren Batzen Schussgeld.

Kurz darauf sang männiglich im Tal das Bärenlied, von dem aber nur drei Strophen in unser Jahrhundert herübergeklungen:

Den Bär, den hat geschossen Der junge Michel Graf,

Weil er ihm hat zerrissen Sein allerschönstes Schaf.

Er sah die Mannschaft stehen,

Am Wykibort wohl guot.

Er konnte sich ja denken,

s kost ihm sein eigen Bluot.

Der Bär, der hat gewogen,

Der braune, zottige Hund,

Und keiner hat gelogen,

Mehr als vierhundert Pfund!

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

 

 

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