Die drei schönsten Lauterbrunnerinnen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In Lauterbrunnen lebten einst drei wunderhübsche Schwestern. Sie waren die schönsten Mädchen im ganzen Tal. Die jungen Burschen reckten die Hälse, wenn die drei durch die Dorfgasse gingen.

Da schwoll diesen der Kamm, und sie meinten, es gebe in dem vollen Dutzend der grossen und kleinen Talschaften des Berner Oberlandes nicht ihresgleichen. Bald verschämten sie sich all der einfachen Talgenossen. Über die Kleinbäuerinnenarbeit rümpften sie die Nase und werkten im Haushalt keinen Streich. Wenn die drei am Sonntag talein stolzierten, öffneten sich hinter ihnen leise die Fenster, und manch verdutztes Frauenantlitz staunte ihnen nach. Und wie es so der Lauf der Welt ist, tuschelte man bald hinter den Aparten her:

Das Wybevolch, das prangt in Samt und Syda,

Un G’sichter heis, schneewyss wie Chryda!

Das war zu einer Zeit, als alles, was im Tale lange Haare trug, am Sonntag nie anders einherging als in der Halbleinkutte, dem Halbleinwessli, der Spitzlikappe und dem hänfenen Wärchhemd, vom Samenkorn bis zum fertigen Ärmel selbst gezogen, selbst gewoben und selbst gemacht.

Die drei schönsten Lauterbrunnerinnen wurden uneins mit der ganzen Talschaft, und was sie früher bloss dachten und nicht sagten, das sprang ihnen jetzt auf die lose Zunge. Kein einziger von den heiratsfähigen Burschen hatte je im Sinn, um eine von den zimpferen Jungfern zu freien, weil Herrenfrauen im Bergtal wenig taugen. Nur die kaum den Kinderschuhen entwachsenen Lauser scharwenzten ihnen im geheimen, und deshalb tönte es bald da, bald dort von einer Abendsitzbank her:

Meitschi, wett hyraten woscht,

Su nim en scheena Junga.

Un wenn er no nid trochna ischt,

Su stell nen no an d’Sunna.

Wenn dann die Närrinnen den Abendsitzern alle Lasterwörter sagten, dann lachten die, weil sie sahen, dass ihre Rede eingeschlagen.

Es kam dann so weit, dass die Schönen im Grund unten auf dem Tanzboden überhaupt keinen Schries mehr hatten. Mitnichten aber liessen sie von der Hoffart. An einem lauen, heiterklaren Maiensonntag, als es in allen Tanzstuben wieder geigte, gingen sie über das Zwirgi nach Wengen. Aber hier hinauf war die Kunde von ihrem talfremden Tun auch gestiegen, und schon nach der zweiten Polka wurden sie gehänselt. Als dann wieder nur die krautjungen Gnageni sie zum Tanze aufforderten, ungelenk mit ihnen durch die Stube stolperten, und die Sticheleien nicht aufhörten, entschlossen sie sich zum Aufbruch. Es ist wohl begreiflich, dass sie nicht umhin konnten, als vorher noch rasch anzustimmen:

Säx Epfel am Schnierli, dry suur un dry siess,

Un die Meitscheni vo Wengen, hein alli chrumm Fiess!

An diesem Abend kamen die drei Zimpferen überein, in Sichellauinen sich weissagen zu lassen von einem katzgrauen Froueli, das reden konnte wie ein Bettelmensch, und von dem man sagte, es sehe fern in die Zukunft und kenne die Geheimnisse der schwarzen Künste.

Am nächsten Sonntag rauschten die Schwestern der Lütschine entlang talein. Bei der alten Kräuterhexe liessen sie ihren spitzen Zungen wieder freien Lauf, taten ausgelassen wie nie zuvor und verlangten schnippisch, dass sie ihnen wahrsage und das geheime Rezept offenbare, um unfehlbare Liebe einzuflössen.

Die Alte gab ihnen zuerst einen Verweis wegen ihrem Nichtstun, ihrer Hoffart und ihrer Klatschsucht. Schliesslich machte sie den Zauberkreis und murmelte die Formeln von den dreizehn Stengeln des Krautes Campanula und dem feingestossenen, grauen Amber, die vonnöten sind, um treue Liebe zu gewinnen.

Die Töchter kicherten und trieben hinter dem Rücken der Alten eitel Spott und Schabernack. Wie die dessen inne wurde, kehrte sie sich jäh um und zetterte:

"Die Dummheit und der Stolz

Wachsen am gleichen Holz"!

"Ihr verdammten Dinger, euch will ich jetzt lehren, das Alter ehren, dass ihr zu Zicklein werdet, auf der Stell!" Im Schwick standen, statt der drei Jungfern, drei meckernde Gitzeni da.

Damit sein frevles Hexenwerk nicht ans Taglicht komme, versprach das Weiblein einem vorbeigehenden Nichtstuer einen schönen Batzen, wenn er die einfalten Jungtiere auf die Seite schaffe und alsogleich ins rote Tal hinauf auf die Sommergletscherweide treibe. Gegen so hohen Entgelt besann er sich nicht lange und trieb die drei hoch hinauf und tief hinein ins hinterste Rottal. Dort fielen die verwunschenen Zicklein, als sie unbedacht kapriolten, in einen der grossen Gletscherschründe, und auf seinem finstergrünen, tiefen Grunde, da harren sie auf den jüngsten aller Tage.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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