An Vrenelistanz

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Kein Gletscher und kein Gandeggä Und dafür hundert Hälminä! (Gefleckte Kühe)

So seufzen die Hirten der Alpen. Früher ist es wirklich einmal so gewesen. Wo heute die Gletscher mit Riesenfüssen die Moränen vorstossen und mit gewaltigen Fingern sich an die Bergrippen klammern, sind einmal grüne, reiche Alpen gewesen. Eine solche Alpe war auch im Talkessel der Jäginen, die sich ans Grosshorn lehnen. Nur die Alten wissen noch zu sagen, wie diese Herrlichkeit verschwunden ist.

Die Alpe, damit ich’s nicht vergesse, hat Heimalp geheissen und gehörte dem reichsten Lötscher. An Heimisch Eggen stand die Hütte, gerade den Anen gegenüber. Hier schaltete den ganzen Sommer Vrene, die älteste des reichen Alpbesitzers. Die Mutter hätte ihr gerne eine ältere Magd als Gehilfin — im wahren Grunde als Schutzengel mitgegeben. Weil aber Vrene gross und stark war wie ein Mann, meinte der Vater, sie solle alle Arbeit selbst besorgen. Der Tochter war es recht, und die Mutter konnte nichts mehr für sie tun, als sie dem Allmächtigen empfehlen und ihr jeden Abend den Muttersegen aus der Ferne spenden.

Einmal hat es der Mutter keine Ruhe gelassen. Sie hat ihr Kleinstes aus der Wiege genommen und ist in der Nacht zur Alpe emporgestiegen.

Schon beim Guggisee sah sie ein helles Licht in der Hütte und hörte Musik, Tanz und übermütige Jauchzer. Am ganzen Leibe zitternd tritt sie an die Stubentür und schaut durch die runde, russige Guckscheibe. Mehr muss sie sehen, als ihr die schlimmste Ahnung sagen konnte: Tanzende aus allen Alpen und in der Mitte der leibhaftige Teufel, mit dem Bockfuss lustig den Takt schlagend. Im Augenblick, wo sie die Türe öffnet, sehen die Tanzenden erst den Bösen in ihrer Mitte. Feuer schnaubend vor Wut knirscht der Schwarze:

Mag die Unschuld mich vertreiben,

Die letzte Seele muss mir bleiben.

Vrene kommt zuletzt an die Türe. Schon streckt der Teufel die Krallen hervor, um sie zu fassen, da springt die Mutter im gleichen Augenblick mit dem unschuldigen Kind auf dem Arm in die Stube. Seinetwegen kann der Böse der Mutter nichts anhaben und auch Vrene ist ihm entgangen. Mit geballter Faust in Rauch und Nacht ist er verschwunden.

Die Mutter wischt sich die Angsttropfen von der Stirne. Vrene reicht ihr zum Lohn eine Tasse Käsmilch für sie und den Wurm auf den Armen, während sie den Gästen auftischt, was Küche und Keller vermögen. Keinen Angriff versucht die Mutter mehr auf ein so hartes, kaltes Herz und flieht von dem undankbaren Orte mit dem unschuldigen Kinde. Ihre Tränen rollen auf den Boden und werden zu Eis, zu Strömen von Eis, die ihr auf dem Fusse folgen und den Talgrund von Berg zu Berg bedecken.

Seither ist die schöne Alp verloren unter einem tiefen Gletscher. Wer um die Mitternachtstunde an Heimisch Eggen vorübergeht, dem begegnen Sennen und Sennerinnen aus allen Alpen in altmodischen Trachten. Dürfte er sie fragen, wohin sie gehen, so würden sie ihm sagen:

An Vrenelis Tanz, an Vrenelis Tanz,

An die Heimisch Eggen.

Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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