Der Weg von dem Aargauer-Dorfe Tegerfelden zum benachbarten Marktflecken Zurzach am schweizerischen Rheinufer führt über waldige Ausläufer des Jura an einer vereinzelten Felsenhöhe vorbei, von welcher die Ruinen der Ritterburg Tegerfelden herunter schauen. Der Bergkegel, der sich frei aus der Landschaft emporhebt und ringsum unzugänglich erscheint, bildet hier eine Wasserburg und eine Felsenveste zugleich. Von Osten umzieht ihn das Surbflüsschen und stürzt dann in einem tiefen Rinnsal über Klippen und Geschiebe am Berge vorbei und mit grossem Brausen der nahen Mündung zu. Westwärts schirmt ihn eine künstlich angelegte Linie von Gewässern, die man in ihrer jetzigen Versumpfung den Cheibengraben nennt; in diesem Becken sammeln sich die Abwasser einer grossen Ebene, des benachbarten Ruckfeldes, und lassen den Feldbach daraus entspringen. Die dritte Burgseite schliesst sich mit einer scharfen Kante des Berges ab, welche zu so jähen Flühen ansteigt, dass deren eine, die am verwegensten droben überhängt, die Teufelsbrücke heisst.
Auf den luftigen Zacken dieser Felsenscheitel liegen die Ueberreste eines alten Baues, dessen blosse Trümmer jetzt noch einen Umfang von sieben Minuten haben. Laubwald ist ringsum bis zu den Vorwerken empor gestiegen, die Mauerlücken überbüschend. Unterholz und Gestrüppe bedeckt den Hof, dazwischen entdeckt man Spuren ehemaliger Kieselpflasterung. Jeder starke Tritt dröhnt unter dem Fusse nach und lässt auf die eingesunkenen Gewölbe im Jnnern schliessen. Die Brustwehren sind bis auf Weniges mit dem Gerölle der steilen Halde abgebröckelt, auf der sie ruhen sollten; drunten aber haben sie den doppelten Wallgraben fast zum Rande ausgeebnet, der in Nagelfluh gehauen ums Schloss geht und es einst vor Anfällen aus dem Ruckfelde her sicherte. So steht nichts mehr von Allem aufrecht als droben auf der Spitze die gewaltige Scharte eines viereckigen Wartthurmes. Er ist aus jenem rothen Juragestein gebaut, wie es die Steinbrüche im benachbarten Sennenloch unerschöpflich seit der Römer Zeiten bis heute fortgeliefert haben; recht ritterlich hebt sich der Thurm in seiner eisenbraunen verwitterten Färbung ab gegen das lebhafte Grün junger Erlen- und Eichenwipfel zu seinen Füssen.
Aus dem Rittergeschlechte, das einst hier oben gehauset hat, weiss die Landesgeschichte nur den einen Konrad von Tegerfelden zu nennen, und sobald sie seines dunkeln Schicksals Erwähnung gethan hat, berührt sie Stamm und Schloss mit keinem Worte wieder. Sie berichtet, wie Konrad Erzieher war und Waffenmeister jenes ungebändigten Herzogs Johann von Schwaben, den man den Parricida heisst; und wie er das Unglück gehabt hat, als dessen Begleiter bei jener Mordscene Augenzeuge gewesen zu sein (Tschudi 1, 91), da auf dem Reussfelde, bei Windisch im Aargau, Kaiser Albrecht von seinem eigenen Hofgefolge erschlagen wurde und im Schoosse eines armen Weibes verschied. Die adeligen Uebelthäter entflohen darauf nach allen Weltgegenden. Aber während der Schrecken der Reichsacht ihnen auf den Fersen sass, kam noch die Königstochter, die rauhe Agnes, gegen die Schlösser der Verschworenen herangezogen, erstürmte und schleifte sie, und vollzog an den Hinterlassenen eine fast ausnahmslose Blutrache. So fiel damals auch diese Burg, indessen der entwichene Konrad drüben in den Schlupfwinkeln des Schwarzwaldes umirrte und später unter dem Klostergesinde von Neresheim sich barg. Dorten auf dem Neresheimer Härtfelde soll er unerkannt die Schafe der Abtei gehütet haben bis an sein Lebensende. Namen und Geschlecht erlosch mit ihm.
Also pflegt am Schlusse folgenschwerer Ereignisse die Geschichte ihr Blatt schweigsam umzuschlagen. Mit ruhevoller Ergebenheit wendet sich ihr Auge bereits der neuen Entwicklung zu, und sie wird auch deren erschütternde Momente einst in den gleichen Frieden unbetheiligter Weisheit aufzulösen wissen.
Nicht so aber verfährt die weichere Seele des Volkes, ihr ist ein solches hohes Vermögen nicht verliehen; sie grübelt vielmehr weiter in dem Kummerbuche eines gestürzten Herrenhauses, um so forschender, je herbere Dinge darinnen gestanden haben mögen, je unleserlicher dieselben schon geworden sind.
Der Landmann betrachtet darum die schmale Ackerlänge, die er pflügt, die Baustelle, auf der seine Strohhütte steht, jeden sinkenden Gemarkungsstein auf der Almende, wie mit der einseitigen Neugier eines forschenden Alterthümlers. Mit jedem Spatenstiche gräbt er möglicherweise ein Stück seiner örtlichen Vorzeit mit aus, schon die Wurzeln eines alten Weidenstrunkes auf der Hutung draussen können ein solches für ihn bedeckt und verwahrt halten. An diesen unscheinbaren Gegenständen seiner engen Umgebung erwirbt er sich eine Gedächtnisskraft von ungewöhnlicher Schärfe. An ihnen sucht er bis auf die frühesten Tage zurückzukommen und bei deren undeutlichem Zwist verweilt er am öftesten. Da erfindet er sich die streitenden Parteien, er stellt sie vor den improvisirten Gerichtshof seiner naiven Empfindung und hört sie umständlich ab. Und obschon er weiss, wie erfolglos sein Wahrspruch bleibt, so fährt er doch fort, solche Pulsschläge eines längst begrabenen Zornes nachzuzählen, die Athemzüge schon versteinerter Schmerzen sich zu wiederholen, sein Urtheil darüber mit gewohnter Stimmeneinhelligkeit zu fällen, das gewohnter Weise nur auf ewige Verdammniss oder nur auf ewige Seligkeit lauten wird. So drückt das Volk die Liebe zur Vorzeit aus; es thut wie eine königliche Artemisia, es mischt gleichfalls die theure Asche mit Wein. Je inniger dieses Andenken fortlebt, um so bescheidener, um so prunkloser drückt es sich aus; vor fremden Zuhörern ist es sogar stumm, und zutraulichen Fragern antwortet es nur mit kindlicher Scheu. Da will es dann Geringfügiges nicht vergrössern, das Unglaubliche nicht ins Begreifliche herab stimmen, sogar widerwärtig lautende Selbstanschuldigungen seiner Lieblinge sucht es kaum zu mildern oder zu verschleiern. So hat es eine Tugend vor dem Weltverstande voraus, der so laut auf seine nüchternen Erbsätze pocht; so zeigt es auch weniger von dem widrigen Beigeschmacke aller untern Stände, deren Urtheil nach der werthlosen Seite hin am meisten eitel und rechthaberisch zu sein pflegt.
Wo zwei besondere Schutzgeister, Sage und Lied, ihr Dorfrecht ungeschmälert noch behauptet haben, da mag der Boden mager, die Tagesarbeit hart und der Himmel noch so rauh sein; gleichwohl ist da dem Landvolke die Enge seines Gesichtskreises nicht zugleich schon zur geistigen Schranke geworden. Das Auge hat dann am trübsten Gewölke immer noch einen sanft leuchtenden Rand zu bemerken. Aus der sichern Empfindung ächter Zusammengehörigkeit geht ein herzlichwarmes Gemeinde- und Landschaftsgefühl hervor, und wo dieses nur rege ist, da schweigen auch Heimatstolz und Vaterlandsliebe nicht, diese goldenen Wiegen des deutschen Sagen- und Liederschatzes. Ist daher die Burg droben am Berge seit Jahrhunderten schon niedergebrannt, so ist doch die Burgsage nicht mit eingeäschert. Ist die Chronik auch verloren und die Urkunde längst zerschnitten über das Freiengeschlecht auf der Veste, so wird doch der unscheinbare Mann, der nun am Burgstall unten die Reben bindet, aus der hundertjährigen Erinnerung seines unvermischten und gleichgebliebenen Lebens alles zu wiederholen vermögen, was jemals diese Grenzen des Gemeindebannes auch nur gestreift hat. Er kennt den Namen der Heidenstadt, die einst hier gelegen, ehe man Landkarten entwarf; er zeigt die Flussstelle, wo der einbrechende Hunne die Furt auf der Flucht verfehlte und ertrank; er zeigt die Staude her, von der sich der erste Bekehrer dieses Gaues ein Kreuz aus Haselstäben schnitt. Sogar den Lauf jener Strasse, welche die Römer angelegt, verfolgt er mit der Genauigkeit eines Feldmessers, obwohl der alte Heerweg im Moorboden versunken liegt und mit tiefem Walde überdeckt ist. Mit jedem Quader, den man von der Ruine herunter holt, um ihn in den Neubau der Dorfkapelle einzufügen, wandert daher auch eine Rittergestalt neuerdings zu Thal. Und wenn sie den Winter über in Spinnstube und Heimgarten den Abendgesprächen zugehorcht hat, wird die Nebelhafte allmählich ins Grosse wachsen, ihren besondern Namen empfangen, sich bis zur Wärme des eigenen Herzschlags verfeinern, bis sie schon nächstes Frühjahr mit dem ersten Ziegenhirten wieder zum Wartthurm hinauf steigt. Abermals hält dann die Sage waffenklirrend oder schleierweiss ihren neuen Umgang durch die Trümmer.
Wer Lust hat, diesen bescheidenen Seelenfrühling mit zu betrachten, wie er bei einem still lebenden Völklein der Schweiz alljährlich neu einkehrt, der weiss bereits, dass man dabei nicht heftigen Gemüthserregungen und kühnen Kunstwirkungen begegnen wird; ihm genügt vielmehr die unnachahmliche und frische Einfachheit der paar heimatlichen Feldblumen, welche sich dem Sammler so ungezwungen zum Kranze vereinigt haben, wie er ihn hiemit vorlegt.
Wer ehedem von den Ortschaften Klingnau und Döttingen her Nachts noch ins Nachbardorf Tegerfelden gehen musste und des Weges, der an mancherlei Gewässer hinführt, sicher bleiben wollte, der verliess sich dabei herkömmlich auf ein Zeichen, welches nie täuschte. Es schimmerte ihm von weitem aus der Tegerfelder Ruine ein Licht entgegen, und je näher er kam, um so grösser wuchs es droben in einem einzelnen hell erleuchteten Fenster. War es dann noch, als ob auch die Töne einer Frauenstimme den Berg herab zögen, bald schaurig, bald süss klingend, da wusste der einsame Wanderer, dass er jetzt das Surbflüsschen zu vermeiden und von da nur noch wenige Schritte ins Dorf habe. Ah, die Schlüsseljungfrau! sprach er dann bei sich selbst, und dankbar gestimmt gegen diese sichere Führung lenkte er dem gesuchten Hause zu.
Jener erhellte Fensterbogen ist nun auch zusammengestürzt, die Schlüsseljungfrau aber lebt wie vordem in aller Munde fort. Sie ist des Burgherrn berühmte Tochter; der Ruf von ihrer Schönheit gieng einst weit durchs Land. Aber mitten in den Reizen ihrer Jugend starb sie einem Jüngling nach, der ihr Herz gewonnen hatte, und den der Ahnenstolz ihrer Familie darüber in einen schauderhaften Tod schickte. Schneeweiss gekleidet und mit fliegenden Haaren, wie man das arme Mädchen damals in die Gruft gelegt hat, irrt sie noch immer ungetröstet um den ausgestorbenen Schlossberg. Rings umgeht sie oben die Zacken der Burg oder unten den Uferrand der Surbe, seit Jahrhunderten schon wandelt sie unveränderlich die gleiche Bahn. Obschon man vor Langem das wilde Flüsschen durch Wuhrungen beschränkt hat und so seinen ungestümen Lauf näher an den Berg hin trieb, so ist doch auch jetzt noch die Jungfrau ihrem ursprünglichen Pfade treu geblieben; sie schwebt über den neu entstandenen Wassersturz gerade so weg, als ob sie noch auf ihrer ebenen Strasse gienge. Dabei ist sie gar lieb und gütig. Immer noch wächst der Goldhaufen in ihren Schatzkammern höher, aufgelagert liegt der Wein der ganzen Landschaft in ihren Kellern; und erst, wenn sie einmal alle diese Reichthümer vertheilt hat, sagt man, wird der beherzte Mann sich finden lassen, dem es allein am Ruhme seiner Wagethat genügt und dem das uneigennützige Werk der Erlösung nicht mehr misslingt. Darum wendet sie sich auch so besonders an die Kinderwelt, denn von deren geizloser Unschuld kann sie ihr einstiges Heil noch erwarten, und Erwachsenen, die ihr etwa begegnen, weicht sie eher aus. So hat sie jüngst erst ein Schulkind reichlich beschenkt, das am Wasser Maienrieschen suchte, und hat ihm die längsten Märchen vorerzählt. Ein anderes hatte Leseholz am Burgstall gesammelt und zu einer Bürde gebunden. Als es die Tracht auf den Rücken schwingen wollte, kam die Jungfrau hurtig den Abhang herab und sprach freundlich: Wart doch nur und lass dir helfen! Aber dem armen Kleinen entsank Gertel und Reissholz, erschrocken lief es Staub aus. Will man sich die nun folgenden Erzählungen in ihrer Treue beglaubigen, so denke man sich zu dem Tone ihrer ländlichen Einfalt jenen achtzigjährigen Mann noch hinzu, aus dessen bewunderungswürdigem Gedächtnisse sie alle der Reihe nach stammen.
Unbemittelte Leute hatten ihrem Knaben eines Morgens ein Stück Brod in den Sack gesteckt und die Ziegen dazu übergeben, dass er sie im Gehölze des Schlossberges weide und nicht vor Abend heim bringe. Als das Bübchen draussen sein Brod gar bald heraus zog, fiel es ihm ein, wie gut dazu die Erdbeeren droben an der Schlossmauer schmecken müssten, und so kletterte er gegen die Ecke des Thurmes empor. Hier sah er eine schlanke Frauengestalt, die abgewendet von ihm eben beschäftigt war, zwei blendend weisse Leintücher auf dem Boden auszubreiten. Daneben hatte sie noch zwei zierliche Säckchen stehen, die den Knaben an jene Viertelsäcke oder Stümplein erinnerten, in denen der arme Mann sein Korn viertelsweise zur Mühle bringt. Als sie mit dem Ausbreiten der Tücher fertig war, öffnete sie den Knoten der Säckchen; der eine lag gehäuft voll gelber Bohnen, der andere bis oben voll weisser. Diese schüttete sie breit auf die Tücher hin, und kaum lagen sie geebnet bis aufs letzte in der Sonne, so kam ein schwarzes Hündchen aus der Mauer vorgesprungen und legte sich zwischen beide Bohnenhaufen mitten hinein.
Nun ward es aber zugleich des Knaben ansichtig und kroch bellend gegen ihn heran. Das unbefangene Büblein erinnerte sich eines Wortes von seinem Vater, der in seiner Spruchweisheit zu sagen pflegte: Me muess de böse Hünde Wegge-n-is Mûl rüere (man soll bissigen Hunden einen Brocken ins Maul werfen) und getreu dieser Regel warf er ihm einen Bissen von seinem Schwarzbrod entgegen. Das Stückchen fiel aber von ungefähr auf eines der Tücher, und im gleichen Augenblicke kehrte sich die Jungfrau um, bot dem Kleinen gerührt die Hand und sprach zu ihm: O du guter Junge, du bringst mich jetzt um hundert Jahre dem Himmel näher! Schnell geh, rufe Vater und Mutter, sag ihnen, sie sollen kommen und Karren mitbringen, die Schlossjungfrau habe es befohlen! Der Knabe gieng so eilig er konnte, und brachte die Eltern mit zwei Schiebkarren herbei. Der Mann las hier die gelben Böhnlein, die Frau die weissen auf, sie füllten beide Säckchen, knüpften jedes gut zu und schoben sie heim.
So geringfügig der Fund war, so herzlich freuten sie sich zusammen auf dem Wege über diesen Halbmütt Bohnen, zu dem sie so unverhofft gekommen waren. Aber sobald sie damit die Dachtraufe ihres Hauses erreichten, wurden die Säcklein steinschwer, schwollen und wuchsen an und sprengten ihren Knopf. Da rollten vom Karren des Mannes lauter Goldstücke, von dem der Mutter lauter Brabänterthaler herunter. So waren sie seitdem reiche Leute im Thale. Aus Dankbarkeit stifteten sie der mildthätigen Jungfrau zwei Seelenmessen. Diese wurden noch lange nach dem Tode des Ehepaares alljährlich in der Dorfkirche gelesen, bis endlich auch hier zu Lande die Glaubensänderung um sich griff. Da nun zwei Religionsparteien im Dorfe entstanden, die ihr ehemaliges Kirchengut zu sondern strebten, aber über dessen Theilungsweise nicht einig werden konnten, so wollte es der Zufall, dass der Landvogt in Baden, dem zuletzt der Entscheid darüber zufiel, gerade selber der neuen Lehre angehörte. Er war aus der reformationseifrigen Stadt Zürich gebürtig und soll Gessler oder Gessner geheissen haben. So übergab denn dieser das Kirchengut, anstatt es gleichmässig auf die Köpfe in der Gemeinde zu vertheilen, an die ihm näher stehende reformirte Dorfpartei, und diese liess dann neben andern frommen Bräuchen die für die Jungfrau gestifteten Seelenmessen auf immer eingehen.
Nicht anders missrieth es der Jungfrau, als sie ihre Erlösung zu finden meinte, wenn sie sich von dem Geschlechte der Unbemittelten noch eine Schichte tiefer zu dem der ganz verlassenen Armuth wenden würde. An jenem Waldplatze, wo einst die Bohnen sich in Gold verwandelt hatten, hielten sich zur Sommerszeit oftmals Heimatlose auf, nomadenhaft lebende Banden von dunkler Abkunft, welche sich meistens nur vom Korbflechten fristen und deswegen auf dem Lande Körber genannt werden. Ein junger Mann aus einer solchen Sippschaft schnitt auf dieser Stelle Erlenruthen. Dabei hörte er sich von einer eindringlichen Frauenstimme mit Namen genannt und aufgefordert, folgenden Tages um dieselbe Zeit wieder hier zu sein, um ein gutes Werk zu thun und dafür dann selber ein Kind der Seligkeit zu werden. Der Mann willigte in dieses Begehren, was aber seine eigene Seligkeit anbelange, so erklärte er, diese dereinst zwar von Herzen zu wünschen, im übrigen jedoch noch so lange leben zu wollen, als es Gott gefallen werde. Als er mit nächstem Abend wieder zur Stelle war, sah er, wie sich eine schöne Mädchenhand unter einem Fels hervor ihm entgegen bot, und dieselbe helle Stimme wie gestern sprach dazu: Nun gieb mir noch die Hand, dann ist's vorüber! Den Körber aber wandelte ein plötzliches Grauen an und er antwortete mit der Weigerungsformel seiner massiven Bauernsprache: Nei, d'Hand gedder nöd, seh, do häsch de Rockfäckde! und damit hielt er wirklich den Zipfel seines Zwilchrockes breit gegen jene Hand hin. Aber sogleich bog sich ihm der Rockschoss wie unter einem darauf liegenden Gewichte um, es klirrte auf dem Gestein und der Waldboden war rings mit Goldstücken überstreut. Gierig fiel der Bettler über das Gold her und machte sich davon. So war der Körber von Stund an ein wohlhabender Mann, er konnte die Seinen nicht bloss redlich nähren, sondern sie sind auch lange schon aus Heimatlosen haushäblich angesessene Bauern in der Umgegend geworden. Er selbst soll indess nur noch zehn Jahre gelebt haben. Mit einem gewissen Ahnenstolze erzählen seine Nachkommen noch jetzt von dieser eigenthümlichen Entstehungsgeschichte ihres schweizerischen Bürgerrechtes. Die Jungfrau musste auf einem andern Weg es versuchen, die befangenen und habsüchtigen Menschen zur Erreichung ihres Wunsches willig zu stimmen.
Im Frühling, wenn die Bäume ausschlagen, kommt sie hervor aus ihrer unterirdischen Wohnung, streift mit der Hand den Blüthenstaub von den Weidenkätzchen und streut ihn dann in die strudelnde Surbe. Da gehört ihr dann jedes Fischchen im Bache, jede Amsel im Busche. Schaarenweise fahren die Forellen aus der Tiefe und haschen nach der duftigen Leckerspeise. Da horcht sie Alles aus den Wellen heraus, die Wasserhühnlein sagen es ihr, was die Menschen über sie meinen und reden. Die Dämmerungsvögel kommen mit aus den Mauerritzen herab, und man hat gesehen, wie ihr ein Rabe dabei auf der Schulter sitzt. Dann beginnt sie heilkräftige Blumen zu pflanzen, aus denen man allerlei Tränke kocht für Mensch und Thier. Das Kuchenblümlein (Anemona pulsatilla), welches seine Maien hat, ehe es noch Blätter gewinnt, wächst hier unter ihrer Hand; sie setzt manches Hundert Engelsüssstöckchen von solcher Kraft und Würze, wie es weder drüben auf der sonnigen Eck, noch auf dem Stutz gedeiht. Gar eifrig streben die Wurzelsammler dieser Pflanze nach, denn ganze Tage dauert man auf der Wanderschaft aus ohne eine andere Zehrung zu brauchen, wenn man einen Stengel der Art im Munde hat. Aber diese ausbündigen Stöcklein sind nicht gerade leicht zu finden, denn die Jungfrau braucht sie selber, um damit die grosse Schaar von Kindern zu stillen, die sie im Berge bei sich hat.
In einem ihrer Gewölbe steht nämlich der Kleinkindertrog und darinnen wohnen alle Ungebornen. Soll nun die Hebamme von Tegerfelden wieder einmal ein kleines Kind ins Dorf bringen, so kann sie es nicht etwa nach Belieben hier nur abholen, sondern muss es manche Woche vorher sammt dem Namen derjenigen Eltern, die sich ein solches wünschen, ordentlich anmelden. Verdienen sie eines, dann erhält die Ammenfrau den goldenen Schlüssel, der den Kindertrog aufschliesst; die Kleinen aber sind so sehr an die Schlossjungfrau gewöhnt, dass sie sich gar nicht von ihr trennen wollen, und desswegen weinen sie auch so kläglich, wenn man sie der Mutter zubringt. Stirbt hernach den Leuten ein solches Kindlein noch ungetauft, so kommt es wieder ins Schloss zurück und in denselben Trog hinein; stirbt es aber erst nach etlichen Wochen, oder nimmt es die Jungfrau sonst wieder zu sich, weil die Menschen sein nicht werth gewesen, so hat es nicht mehr in seinem vorigen Troge Platz, sondern kommt in einen andern, der tiefer innen im Berge ist. Da aber wird es dann mit Honig aufgenährt. So oft darum ein Jmmenstock im Dorfe stösst, schwärmt er regelmässig zu den Eichen des Schlossberges und setzt hier den Seim für die Kinder ab.
So gieng einst die Jungfrau ungesehen der Wartung ihrer Frühlingsblumen nach, als ein Halbbauer, der nur ein paar Stücklein Pflanzland besass und einen Haufen unerzogener Kinder dazu, angelnd drunten am Graben sass, um aus dem Erlös weniger Fische den Seinigen für heute Brod kaufen zu können. Da schwamm im Wasser ein Ringlein zu ihm heran und schimmerte, als wär's pur aus Golddrath geflochten; so wie er es aber heraus zog und näher beschaute, fand sich's, dass es nur aus einer blonden Haarflechte bestand, und enttäuscht warf er's wieder hinab. Augenblicklich stand die Jungstau neben ihm und sprach: Geschwind nimm's wieder heraus, sonst machst du dich und mich unglücklich! Folgsam sprang der Mann der schwimmenden Locke nach, holte sie und überreichte sie der Unbekannten. Sie drehte die Locke auf, da war's ein einziges langes Goldhaar, das bis auf den Boden reichte. Dies band sie ihm an die Angelschnur. Weil du so willig bist, so soll sie denn dein eigen sein, sagte sie zu ihm beim Weggehen, aber vergiss nun nicht, alle Wochen ein Vaterunser für uns Beide in der Stille zu beten.
Natürlich versuchte jetzt der Verwunderte seine neue Angel sogleich. Sie spielte nicht lange, so gab's einen heftigen Ruck, er zog auf und eine beindicke Forelle hieng daran. Zum andernmal senkte er die Ruthe und abermals zappelte daran ein mächtiger Fisch. Jetzt sah er den Werth des Geschenkes ein; so oft er das Zauberhaar ins Wasser hielt, war der Fang gemacht, schnell wurden seine Lägel wimmelnd voll. So kam er denn alle Tage an die Surbe her, die Käufer rissen sich um seine köstliche Waare, ziemlich bald war der geringe Lehensbauer ein wohlhabender Mann. Allein dies ist eben leider der gewöhnliche Lauf der Dinge bei armen Menschen, dass mit dem beginnenden Reichthum meistens auch das Laster in ihre Hütten geräth. Der sonst so nüchterne Mann fieng an ein Trinker zu werden, er trieb das Kartenspiel und kam eine ganze Woche nicht vom Zechtische. So war's nothwendig, dass er in der Schenke Gott und die Jungfrau vergass und damit auch sein wöchentliches Vaterunser. Zuletzt erschien die Verarmung wieder und trieb ihn an die Fangstelle zum Ufer der Surbe hinab. Er hatte ja die Angelschnur wohl aufbewahrt, und es schien ihm ein Leichtes, seinen zerrütteten Hausstand schnell zu bessern. So wie er diesmal die Haarschnur ins Wasser liess, tauchte ein schwarzes Hündchen auf, schnappte nach dem Goldhaar und biss es ab. Nicht eine geringste Grundel mehr war zu bekommen. Da erkannte er seine Versündigung. Aber roh, wie undankbare Seelen sind, schob er das Unheil nicht auf sein Wüstlingswesen, sondern nur auf das vergessene Vaterunser. So oft seine Gläubiger ihm den Schuldenboten ins Haus schickten, fuhr er sich vor die Stirne und wiederholte: Worum han i's Vatterunser nöd bätet! Man soll ihn zuletzt oberhalb der Wuhre ertrunken gefunden haben und meint, er habe sein Ende selber gesucht; denn sein Nachbar, der Locherhanseli, sah ihn lang nachher noch einmal angelnd dorten sitzen.
Ein wenig besser ergieng es einem Burschen, dessen sich die Jungfrau gleichfalls erbarmt hatte, da er in Nothstand gerathen war. Aber er wurde darüber hochmüthig und verfiel gar auf die alberne Einbildung, alles geschehe seinem besondern Werthe zu lieb, und die Jungfrau bewache ihn mit mädchenhafter Eifersucht als den ihrigen. Da musste der thörichte Schlucker zuletzt auch erfahren, wie gröblich er sich verstiegen hatte. Der Dorfschuster Krauskopf, schlechtweg Chrusli geheissen, hatte einen Gesellen, der gerne den Sonderling spielte. Anstatt bei seines Gleichen zu sein, machte er am Feierabend einsame Spaziergänge und sann allerlei Zukunftsplanen nach. Meister in einer Stadt zu werden, einen Lederhandel anzufangen, ihn ins Grosse zu treiben und von der Zurzacher-Messe aus das Geschäft bis in eine Seestadt auszudehnen, das waren so seine Handwerksgrillen. Er hieng ihnen einmal wieder recht ausführlich nach und befand sich darüber um Sonnenuntergang auf jenem Theile des Ruckfeldes, den man den Burgsten nennt, weil hier die Burgstallungen für die Herrenrosse gestanden haben sollen.
Hier begegnete ihm eine unbekannte Frau in fremdartiger Tracht. In der einen Hand hielt sie einen Schlüsselbund, in der andern eine schlanke Gerte, auf dem Haupte aber hatte sie eine prächtige Glaskrone, in welcher seltsamer Weise ein grosser Goldschlüssel, mehr wie zum Umdrehen, als zur Befestigung oder Zier des Haares steckte. Der Geselle hielt sie für sehr vornehm und trat ihr mit einer unterthänigen Verbeugung aus dem Pfade. Sie war schon einige Schritte an ihm vorüber, als sie sich wieder umkehrte und recht herablassend fragte: Bist du in hiesiger Gegend daheim? Er suchte alle seine Boutikenwörter zusammen und antwortete unter vielfachem Geräusper auf gut Tegerfeldisch: Ech bin mit Vergaust und Verlaubt numme bîm Schuobüetzer Chrûsli ûf em Hampfberg und ûf der Arbet. Da kannst du mir ja, sagte sie, wohl ein Paar Schuhe machen? aber bis nächsten Samstag schon müssten sic bestimmt fertig sein! Jo frîli, worum denn nöd; jo frîli, sell cha scho sî! - wiederholte der geschwätzige Mensch; wedder, wenn wär's üch öppe lieb, ass ech zue-n-üch chäme-n-is Hûs, cho s'Mäss z'neh? es möcht se halt doch dô nöd guet schicke... und damit deutete er auf den steinigen Boden, der hier allerdings für eine so schöne Frau wenig einladend aussah, niederzusitzen und sich das Mass nehmen zu lassen. Später einmal, sagte die Jungfrau ablehnend, später wird sich's schon noch geben, dass du auch in mein Haus kommen musst; für diesmal machst du mir also Schuhe, hinten mit rothen Stöckchen, vornen mit rothen Laschen, aber das Vorgeschühe bleibt ungewichst. Der Bursche verstand jedoch noch immer nicht, was hier gemeint sei; also nahm er mit handwerkseifriger Behendigkeit seine Massrahme hervor, rückte am Hute und sagte unter dem üblichen Knix: No, so zieh'nd halt der Schuo ab, Jumpfere, wenn er wens so guet sî. Aber sie erwiederte von Neuem nachdrucksam: Ich habe bis heute noch gar nie Schuhe getragen und das eben sollen die ersten werden. Sie schien noch etwas Erklärendes beifügen zu wollen, da liess sich von der Schlossmauer her eine Nachtigall prächtig hören. Es ruft mir Jemand, ich muss schnell gehen, sagte sie, und damit entfernte sie sich unglaublich leicht und zierlich und war hinter den nächsten Bäumen verschwunden.
Künftigen Samstag um dieselbe Abendstunde trug der Geselle sein fertiges Paar Stöckchenschuhe mit den bunten Laschen auf den Burgsten hinaus. Er war in seine Arbeit selber verliebt, so fein und sauber sah sie aus. Da wartete bereits die Jungfrau seiner, betrachtete die Schuhe in seiner Hand mit einem befriedigten Kennerblick und sagte: So bring denn über acht Tage auch deine Bürste mit, damit du mir noch das Vorgeschühe wichsen kannst; die Arbeit gefällt mir, und hier hast du einstweilen ein Drangeld. Fixfertig schwenkte auf dieses Wort der Schuster seine Schuhe in die linke Hand hinüber und hielt die rechte einem blanken Goldstück entgegen. Sie wollte ihm ein weiteres darauf legen, da aber schlug eben wieder jene Nachtigall, und gerade so schnell und leicht wie neulich war die Jungfrau abermals hinweg. Es war kein Schreiten, da sie sich entfernte, man konnte nicht einmal die Bewegungen eines Fusses wahrnehmen. Als er aber nächsten Samstag mit der Röthelbürste herausgekommen war, sass sie an einer Erle, hiess ihn alles Mitgebrachte abstellen und begann gar ernsthaft: Du erräthst freilich nicht, welch einen grossen Dienst mir deine Willfährigkeit seit diesen zwei Wochen leistet, denn du weisst ja nicht, wer ich bin und wie mancherlei ich noch ferner von dir zu verlangen habe. Und nun erzählte sie ihm bis in die Nacht hinein die Geschichte ihrer Verzauberung. Wohl werde dies, schloss sie, das letztemal sein, dass sie mit ihm reden könne, denn sobald dieses Paar Schuhe durchgelaufen sei, werde sie nicht länger mehr zu wandeln haben. Gerathe er aber inzwischen in Nöthen, so möge er gleichwohl nur wiederkommen und auf jenem Pfeifchen blasen, das er dann hier auf dem Waldplatze finden werde. Darauf erscheine auch sie wieder, obschon dann nur noch schweigend. Müsse er aber dennoch mit ihr reden, ihr ein Leid klagen, bedürfe er dringend ihres Rathes, so habe er nur den Schlüssel in ihrer Krone umzudrehen, und darauf werde sie denn auch der Sprache wieder mächtig.
Oft noch gieng dem Gesellen das Geld aus, und oft noch machte er sich in seinen Bedrängnissen auf den Burgsten und blies laut um Hülfe auf jenem Pfeifchen, das er dann allemal richtig auf dem Boden fand. Immer lag alsdann das ihm bestimmte Goldstück schon daneben. Allein gerade darüber stach ihn der alte Schalksnarr mehr und mehr, er wurde ein arbeitsscheuer Schwindler und Projektenmacher und wusste nur noch den Dorfmädchen nachzustreichen. Für so viele Schätzchen und so vielerlei Plane konnte das einzelne Goldstück nicht weit reichen. Sein Meister hatte ihn schon lange aus dem Dienste gejagt, das eigene Geschäft gedieh nicht, endlich gieng ihm das Wasser so an den Hals, dass er sich rathlos einer schimpflichen Lage preisgegeben sah, wenn er nicht der Jungfrau selber seinen Kummer klagen und sie um Trost bitten konnte. Mit einem Herzen, das ihm wohl sagte, wie unwürdig er sich ihrer Gunst gemacht habe, berief er sie diesmal. Sobald sie erschienen war, griff er, um ihre wohltönende Stimme wieder zu hören, nach dem goldenen Schlüssel in ihrer Krone und drehte ihn um, wie sie es selber einst angegeben. Doch kaum hatte er ihn berührt, so wurde dieser zur glühendheissen Schlange, die ihn umwand und zu erdrücken drohte. Er entsprang; was er diesmal heimbrachte, war eine lahme Hand. Die einzelnen Goldstücke, die er auch nun noch fristenweise abholen konnte, liessen ihn jetzt, da die Handwerksarbeit nicht mehr gieng, nicht gänzlich verderben, aber wie mit den Zurzacher-Ledermessen und Grosshändler- Geschäften, so war's auch aus mit den reichen und hübschen Dorfmädchen, und er starb unverheiratet.
Wie diesen die Eitelkeit zu Falle gebracht hat, so wieder Andere ihre grobe Habsucht; auch sie betrogen sich selber um das Glück, das ihnen zugedacht gewesen war. Zwei Söhne einer Wittwe mähten zusammen ihre Futterwiese, die da lag, wo der Cheibengraben in die Surbe mündet. Da kam ein fremdes Mädchen glatt über das Wasser zu ihnen herüber gegangen, ein Körbchen auf dem Kopftuche tragend und einen Schlüsselbund in der Rechten. Der jüngere Bruder, der zunächst am Bache mähte, erblickte sie zuerst. Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihm ihre Schlüssel darbieten, aber der Kleine zögerte, sie anzunehmen. Da schwang der Andere, der ein habgieriger Mensch war und darüber seiner Mutter schon manchen Kummer gemacht hatte, drohend seine Sense gegen den Bruder herüber und schrie ihm hastig zu: So nimm's doch au!
Damit war das Mädchen verschwunden. Nachher erklärte man ihnen den Zusammenhang. Hätte der Aeltere geschwiegen, so lange die Jungfrau selber nicht sprach, so wären sie leicht des Schatzes im Schlossberge Herr geworden; so aber war's noch ein Glück für dm Jüngeren gewesen, dass er nicht zugleich nach den Schlüsseln langte, sonst würde er sich die Finger so jämmerlich verbrannt haben, wie es nachmals dem Bruder geschah. Denn diesem liess es von heut an keine Ruhe, er wollte hinter diese Reichthümer kommen und ein Herr im Dorfe werden. Tags darauf, als er auf derselben Wiese das Heu zu hüten hatte, sass er unter einem Weidenbaum und drehte in ärgerlichen Gedanken über seines Bruders Verzagtheit einen Kastenschlüssel spielend zwischen den Fingern. Er bohrte und klopfte damit an der Rinde des Weidenstammes herum, als plötzlich ein knisterndes Getöne im Innern entstand und ein blaues Flämmchen aus der Wurzel schlug. Jetzt wusste er es sicher, dies also war der vielgenannte Weidenstrunk, unter dem, wie sich Alles erzählte, der Schatz verborgen liegen musste. Er suchte sogleich einen erfahrenen Mann auf, verhehlte ihm jedoch sein Begegniss und befragte ihn im Allgemeinen, wie man vergrabene und verwünschte Schätze zu heben vermöge. Die Antwort war, dass man darnach stillschweigend an einem Freitage suchen müsse, weil da die Erde Alles, Todtes und Lebendiges, aus ihrem Inneren selber herauszustossen strebe.
So gieng er denn am nächsten Freitag heimlich hinaus und setzte dem Weidenstrunk mit Reithaue und Schaufel so lange zu, bis dieser stürzte. Ein grosser geschlossener Kupferkessel kam zum Vorschein, auf beiden Seiten mit einem mächtigen Oehr versehen, das wie zum Heben gemacht war. Oben auf glich der Deckel einem Blumentopfe, und ein Rosenstock mit neunzehn weissen Rosen stand drinnen in Blüthe. Er wollte zuerst den Blumentopf entfernen, der aber sass selbst wie angewachsen. Dann zerrte er am Rosenstock, aber nicht einmal ein Blättchen liess sich biegen. Auch der Kessel stand wie eingemauert. Nun blieb freilich nichts andres übrig, als eilend heim zu laufen und den Bruder zu Hülfe zu holen. Zusammen schleppten sie einen Wiesbaum herbei, steckten ihn durch das eine Oehr des Kessels und begannen an beiden Enden stehend mit vereinter Kraft zu lüpfen. Langsam hob sich das Gefäss und erreichte den Rand der Grube. Der Aeltere stemmte das Knie in den Boden und die Achsel unter den Wiesbaum, dann zum letztenmal ansetzend rief er, sich und seinen Bruder befeuernd: Lupf, mer händ's schier gar!
Kaum war dies unzeitige Wort heraus, so splitterte der Wiesbaum entzwei, der Kessel stürzte unter seinen eigenen Schutt zurück und der gefällte Weidenbaum stellte sich stocksteif wieder drauf. Dem Schreier aber hatte noch dazu der brechende Hebel die Schulter übel zerschlagen. Doch es vergangen nur etliche Tage, so war er schon wieder heil und machte sich aus dem Hause, um, wie er seiner warnenden Mutter angab, auf dem Rückfelde nach dem Stand der Saaten zu sehen. Er gieng aber nur dem Schlossgraben zu; dort traf er die Jungfrau abermals. Sie lehnte an einem Felsen und hatte darauf, als wäre sie vom Tragen müde, ihre Marktzeine, einen flachen Korb, den man auf dem Kopfe trägt, abgestellt; die Waare drinnen war mit einem gar feinen Tüchlein überdeckt. Schweigend bedeutete sie ihm, er möge herbeikommen, um ihr die Zeine wieder auf den Kopf zu heben. Er verstand den Wink und hob; das Körbchen schien leicht, wie eine Feder. In diesem Augenblicke händigte sie ihm, um die eine Hand, mit der sie sich den Tragring am Kopfe zurecht legte, frei zu bekommen, ihren Schlüsselbund ein. Während er mit Begier nach diesem griff, mit dem er nun das Ziel aller Wünsche in Händen hielt, konnte der habsüchtige Heuchler nicht anders, er meinte, er müsse doch auch was Artiges dafür entgegnen, und fieng seine verkehrte Bauernphrase an: Er händ aber au schwer, Jumpfere! Jetzt begann ein grimmiges Brennen in allen Fingern des plumpen Lügners, schreiend schleuderte er die Schlüssel weg ins Gebüsch, um sie nie mehr zu finden, die Jungfrau war verschwunden. So hat der Thor dreimal durch das unzeitige Geplauder des Geizes sein Glück verscherzt und nichts davon getragen als an der Hand das Brandmal von neunzehn grossen Hausschlüsseln, das ihm denn auch zeitlebens verblieben ist.
An einer Seite jenes begebenheitsreichen Burggrabens wachsen einige besonders starke Spill- oder Spindelbäume, die man auch Pfaffenkäppchen nennt, und man behauptet, die Erlösung der Jungfrau sei an ein solches „Chäppelibäumli" geknüpft. Allein dazu soll dasselbe an einem Charfreitag aufgestückt, nämlich an den Aesten so abgestutzt werden, dass es vorerst langsam abtrocknen kann, dann muss man es am gleichen heiligen Tage übers Jahr umhauen und zu einer Wiege verzimmern, in welcher ein Knabe aufgenährt werden müsste, der an einem Sonntage und zwar bei besonderer Conjunktur der Gestirne geboren sein soll. Und das erst würde der herzhafte Mann werden, der alle Gefahren und Zufälle dieses Erlösungswerkes wirklich bestände. Ein solches Bäumchen nun wollte der Drechsler vom Nachbarorte Döttingen einst hier heimlich umhauen und bei Nacht in seine Werkstatt fortschleppen. Da sah er plötzlich die gefürchtete Jungfrau vor sich. Als Holzfrevler und noch dazu im fremden Gemeindebanne hatte er in diesem Augenblicke ein doppelt böses Gewissen niederzukämpfen; doch blieb er besonnen genug, sie nicht anzureden, sondern erst ihr Wort abzuwarten. Ihr fangt es muthig an, um reich zu werden, sagte sie; allein ehe Euch das Bäumchen da nützen kann, müsstet Ihr vorher noch drei Dinge abgemacht haben. Bleibt Ihr bei denselben eben so ohne Scheu, wie jetzt, so habt Ihr nichts zu befürchten, und diese drei Proben könnt Ihr nächsten Samstag hier erfahren.
Am festgesetzten Tage trafen sich die Beiden wieder. Die Jungfrau hatte diesmal ihr schwarzes Hündchen mit dem rothen Halsbande bei sich. Schweigend führte sie den Drechsler am Schlossberg zu einem eisernen Thore und öffnete es mit einem der Schlüssel aus ihrem Bunde. Hier trat man zuerst in einen unterirdischen Gang; doch schien derselbe gleichwohl ohne Gewölbe zu sein; denn Sterne schimmerten durch die Decke herein. Dann gieng's zu einem Saal, dessen Größe durch manches Hundert Spiegelkerzen sich ganz endlos machte. Ringsum an den leuchtenden Wänden sass eine Reihe uralter Männer mit gesenkten Häuptern zum Schlaf eingenickt. An der Rückwand aber stand ein grosser eiserner Trog, auf den das schwarze Hündlein alsobald hinauf sprang. Vorerst ist da nichts anderes zu thun, sprach die Jungfrau, als dieses Hündchen zu küssen. Der Drechsler that's bereitwillig, während dem der Hund das rothe Zünglein hervorstreckte und ihm die Stirne dankbarlich beleckte. Dann schlugen die schlafenden Männer ihre Augen auf und begannen zu lächeln.
Aber sogleich gieng es von da um einen Saal weiter. Der war voll schlafender Jünglinge und Jungfrauen, letztere alle ganz ähnlich der Führerin, nur dass sie keine Schlüssel trugen und ihre Haare nicht so lang und glänzend hinabwallten. Auch hier war Alles kerzenhell und ein anderer Eichentrog stand da, noch grösser als der erste. Auf diesen setzte sich diesmal die Jungfrau selber und befahl sie zu küssen. Der Mann that's, aber ihre Lippen waren entsetzlich kalt. Freudig schlugen nun auch die Jünglinge ihre Augen auf, ein seliges Lächeln stand auf den Mienen der Jungfrauen. Die Herrin stieg vom Troge herab, belobte den Mann, sprach ihm Muth ein und führte ihn fort in den dritten Saal.
Der war weitaus der schönste, erhellt nicht mit Kerzen, sondern wie mit einem milchigen körperlichen Lichte, das eine Unzahl kleiner Kinder beschien, die ringsum schlummerten. Im Hintergründe mangelte abermals der Eichentrog nicht, aber vor demselben lag diesmal eine gewaltige Schlange, zusammengerollt wie ein langes Schifferseil. So wie der Mann sich näherte, stellte sie sich ringförmig auf Hals und Schwanz empor und spie Feuer. Er wagte es und schritt mitten durch den aufgebäumten Kreis ihres Leibes hindurch zum Eisentrog. Hier lag, was er nunmehr küssen sollte, die grosse Ungestalt einer gedunsenen Dorschkröte. Ihr Leib glich einer Bütte, ihre Augen waren wie Milchbecken, ihr Balg spielte in allen Farben. Als er es dennoch versuchte und sich hinabbog, gewahrte er vor sich den zerfahrenen Rücken des hässlichen Thieres, ähnlich dem übervollen Zweige eines Nussbaumes, und mit Grausen trat er einen Schritt zurück. Jetzt schlugen die schlummernden Kinder ihre Augen nicht auf, sondern ein Wimmern durchlief den Saal. Die Jungfrau dagegen schrie laut, zerrang die Hände, und im Augenblicke war ihr blendend weisses Kleid kohlschwarz geworden. Der Glanz der Wände dunkelte, droben im Berge brach ein Krachen los, der Drechsler stürzte betäubt zusammen. Es war Mittag, als er wieder erwachte und sich in einem Fuchsloch im Cheibengraben liegen fand. Mit Mühe kroch er hervor. Ergraut an Haar und Bart, ganz gealtert kam er heim. Ein Fieber warf ihn aufs Krankenbette und man musste ihn in seinem Irrsinn hüten. In einer unbewachten Stunde entsprang er wieder aus dem Bette, und da ihn die Seinigen suchten, traf man ihn den weiten Weg zum Schlossberge gelaufen, wie er am Graben stand und in die Luft hinein redete. Unter Thränen bat er die Herzukommenden, ihn nur noch bis zum eisernen Thore zu führen. So starb er.
So missräth auch Geistern ihr Lieblingsplan, denn das Werkzeug, dessen sie zu seiner Ausführung bedürfen, bleibt der eigenwillige Mensch. Seine Kurzsichtigkeit kreuzt ihre berechneten Wünsche; seine unzeitige Einmischung, sein nicht verlangtes Besserwissen und sein voreiliges Verzagen raubt ihrem und seinem Glücke das Recht. Ob er gehorsamen oder widerstreben will, sich ereifert oder in Lässigkeit zurücksinkt, so geschieht es nicht gegen oder für das Grosse der Pflicht und der That; nicht die volle und ganze Leidenschaft ist es, die ihn lenkt, sondern die einseitige, die bedenkende, die bereuende, und diese verkürzt ihm und Andern stets den Erfolg. Er erkennt dies selbst und hofft deswegen, dass es eine Gottheit besser hinauszuführen wissen werde. Dasselbe wollen auch die weiter folgenden Erzählungen von der Schlüsseljungfrau ausdrücken.
Wenn das Neujahr herannaht, so treten die vermöglicheren jungen Leute von Tegerfelden zur Feier des lustigen Berchtoldstages in einen Verein zusammen, welcher die Bechtelisgesellschaft heisst. Als schmuck aufgeputzte Rebleute und Stitzenträger erscheinen sie vor den Häusern aller bemittelten Einwohner, um ihre Beglückwünschungen herzusagen und einen Zunfttanz aufzuführen. Sind ihnen dafür dann die Stitzen überall im Keller mit Wein gefüllt, so ziehen sie ab und leeren diese wieder in den Hütten der Aermercn mildthätig um; denn eine so weinreiche Gegend will bei der allgemeinen Fröhlichkeit auch den Dürftigen, der keine Rebberge besitzt, nicht ungelabt lassen. Zum Schlusse singen sie als kunstgerechter Männerchor ihrem eigens versammelten Gemeinderath noch das Neujahr an und überreichen da einen gewaltigen Eierring, frischdampfend und so umfangsreich, als ihn irgend ein Backofen hervorbringt. Als Ehrengabe erhalten sie dafür einen halben Saum Gemeindewein dekretirt. Dieser wird dann Abends gemeinschaftlich verzecht, und jeder Bursche lässt dazu seine auserwählte Tänzerin durch einen eigenen Abgeordneten unter mancherlei Artigkeiten ins Wirthshaus herüber abholen.
An einem solchen Bechtelisabend nahm der Müllerknecht Hans seinen besten Rock aus der Truhe, steckte den ersparten Lohn in den Sack und machte sich gleichfalls hinüber auf den Tanzboden. Da er nicht zur Gesellschaft des Neujahrsvereines gehörte, so hatte er diesmal kein Mädchen zum Tanze zu führen, und als er jetzt ein paar zu einem Reihen bat, wiesen sie ihn nacheinander ab. Heute tanzt man mit keinem Wälder! erwiederten ihm diese Spröden mit übel angebrachtem Scherz. Denn Hans war aus dem Schwarzwalde gebürtig und galt so im Dorfe stets als ein blos geduldeter, nebenangesetzter Fremder. Dies verdross ihn heute sehr. Ei, sagte er zuletzt empfindlich, so muss ich eben mir eine solche Tänzerin verschaffen, wie noch keine hier sitzt, und gieng aufgebracht davon. Er hielt sich selber für ein Sonntagskind, das sieben Gespenster nicht zu scheuen hat, und so lief er geraden Weges zum Schloss. Hier warf er nur drei Weidenzweige über die Schulter ins Wasser, und schon war die Jungfrau vor ihm. Dieser klagte er sein Leid und bat sie auf drei Tänze mit ihm zu kommen; Schlag elf wolle er sie wieder heimführen, drei schwere Proben lasse er sich auferlegen, nur diesmal solle sie ihn an den schnippischen Mädchen rächen.
Unter diesen Bedingungen folgte sie ihm. Als das Paar in den Saal trat, zogen alle ehrerbietig den Hut ab, während die Dorfsitte will, dass man ihn gerade an diesem Abend beständig aufbehält, weil ein hübscher Strauss von der Liebsten drauf steckt. Alles ward stille, den Mädchen kam der Müllersknecht noch einmal so schön vor, und die Männer hatten nur Augen für die wunderfremde Jungfrau. So tanzte das Paar zusammen drei Gänge, und schweigend, wie es gekommen, verliess es wieder die Staunenden. Jetzt hatte Hans sein Müthchen gekühlt; nun aber erst handelte es sich um seinen wirklichen Muth. Am Burgstall angelangt führte ihn die Jungfrau durch drei verschiedene Gemächer, deren Eisenthore ihre Schlüssel öffneten, zeigte ihm da die Schaar müder Greise, dort die Reihe blühender Jünglinge und Jungfrauen, alle in regungslosem Schlummer den Kopf in die Hand gestützt; und als sie zur Unzahl der niedlichen Wickelkinder kam, da schwankte ihr die Stimme und sie sprach jammernd:
Sieh, so sündigt der Stolz! Diese liebeweckenden Kindlein da sind mir nicht erweckt worden. So zahllos, wie jene blühenden Jünglinge und Jungfrauen hätte unser Stamm an Nachkommen werden sollen. Diese Greise alle waren einst meine Freier, sämmtlich haben sie um mich geworben; aber so gross war unsere Verblendung, dass wir sie alle ins Verderben geschickt haben. Denn das gefiel meiner Eitelkeit, wenn hier täglich die Ritter schaarenweise einzogen, und das behagte dem Dünkel der Meinen, wenn ich täglich jeden neuen Werber ausschlug, der nicht im Stande war, dreimal unsere Burg auf ihren jähen Felsen zu umreiten. Alle stürzten sie hinab und fanden im Flusse den Tod. Dann erschien einer und vollführte das Wagestück, und die Mutter selbst reichte uns den Verlobungstrank. Aber zugleich schämte sie sich dieses namenlosen Freiers und hatte heimlich ein betäubendes Kraut in unsern Wein gemischt. Während ich unerweckbar schlief, riss man den Jüngling von meiner Seite und liess ihn über die nächtlichen Burgfelsen stürzen. Hier hüt ich nun diese Opfer unsers Muthwillens und mir fehlt der Erlöser, wenn dein Vorsatz nicht ausreicht. Dorten jenes Hündlein auf dem Troge sollst du küssen und mich zu ihm hinaufheben. Ist dies geschehen, so nimmst du allen diesen Mädchen ein Haar aus der Locke, jedem dieser Greise ein Haar aus dem Barte, und jegliches hast du einzeln hinaus in den Bach zu tragen, noch bevor es im Dorfe Zwölfe schlagen wird. Beeile dich, denn mit dem ersten Glockenschlage schliessen sich diese verwünschten Thore wieder!
Entschlossen machte sich der Müller ans Werk. Es galt kein langes Besinnen, denn schon war es elf Uhr gewesen, als er mit der Jungfrau den Tanzplatz verliess. Jetzt mochte sich das Hündchen in allerlei Gestalten verwandeln, er blieb fest und küsste es; die Jungfrau ward schwerer und schwerer, aber er entsetzte sich nicht, verdoppelte seine Kraft und hob sie in einem Schwunge auf den Eichentrog. Er zupfte der Unzahl der Mädchenlocken, endlich auch den Greisen das Härchen weg und trugs einzeln zum Bache. Nur noch zwei Bärte sind übrig, nur von diesen soll er noch zwei graue Haare in die Surb werfen, und eben springt er mit dem vorletzten durchs dritte Eisenthor zum Berg hinaus. Da schlägt's in Tegerfelden zwölf Uhr, und krachend fahren hinter seiner Ferse die Thüren auf immer zu. Er stand wie versteinert. Erschöpfung, Jammer und der grimmige Frost der Januarnacht trieben ihn zuletzt heim. Er erlebte den nächsten Bechtelistag nicht mehr, man fand ihn eines Morgens todt zwischen den Mahlgängen umgesunken. Der Arme, dem es schon zu schwer geworden war, vom Bauernstolze schief angesehen und bei den Dorfmädchen verschmäht zu sein, war freilich nicht vermögend, die Verwünschte vom Fluche ihrer eigenen Eitelkeit zu befreien. So vertagte er prunkend am Arme der Jungfrau eine kostbare Stunde und hatte damit sich selber schon um den größern Theil der Zeit betrogen, der für die kurze Erlösungsfrist übrig war.
Nun ist noch von derjenigen Art der Menschen zu erzählen, die man bloss die guten Menschen nennt, weil ihnen nichts besseres nachzurühmen ist, als dass ihnen das schwache Herz immer zur Unzeit überläuft.
Ein Tegerfelder Familienvater war in dem benachbarten Städtchen Waldshut zu Markt gewesen und kehrte nun des Abends nach Hause. Von Döttingen aus schlug er den kürzerm Heimweg über das Ried ein und kam so der Surbe nach durch die Schwabenwiese her. Es war eine laue Sommernacht, das Mondlicht warf die Schatten der Ruine in zackigen Streifen auf die Bächlimatte, mit silbernem Staub schäumte das Flüsschen daneben über die Klippen. Da klirrte es plötzlich zur Seite hinter den dichtstehenden Bäumen, und der Mann hielt stille. Als er aber die nächsten Zweige der Salweiden forschend auseinander bog, stieg zwischen ihnen ein weisses Wölklein empor. Die Jungfrau, von Kopf bis zu den Füßen in wallenden Gewändern, stand ihm gegenüber. Am Gürtel hieng ihr der Schlüsselbund, daneben steckte ein Strauss von Weidenröschen, die bis in die Stiele hinein wie mit einem rothen Hauche überzogen waren. Sie nahm aus dem Fürtuche ein silbernes Schwegelpfeifchen hervor, setzte es sacht und würdevoll an und begann eine so rührend schöne Weise zu spielen, dass der Mann tief ergriffen wurde und herzlich drüber weinen musste. Aber auch die Waldthiere wurden davon bewegt. Drüben am Ufer fieng es an zu plätschern, ein Hirsch stieg in die strudelnde Surb, blies die Wellen mächtig auseinander und kam heran gerudert. Kein Härchen an ihm war nass, als sich der schneeweisse Edelhirsch zu Füssen der Jungfrau niederlegte. Sie streute ihm die Weidenröschen vor und er ass sie mit Lust; dann nahm sie eine doldenreiche Hopfenranke vom Busche herab, legte sie ihm ums Geweih und knotete sie wieder im Rücken als Zaum zusammen, hierauf brach sie sich einen Baldrianstengel und setzte sich mit dieser Gerte dem ruhenden Thiere auf den Rücken. Alsbald erhob sich der Zelter und lief leichten Schrittes mit ihr den Berg hinauf. Oben bog sie rechts und ritt gegen den Thurm; sie verschwand hier einen Moment hinter dem Gemäuer, kam aber sogleich wieder zum Vorschein, und herum gieng's nun im Kreise auf allen Trümmern und Kanten rings ums Schloss.
Neunzehnmal ritt sie so nach einander um die Zinken, dann kam sie in gestrecktem Laufe die jähen Flühen herunter zum Bache, der Hirsch legte sich und die kühne Reiterin stieg ab. Sie entzäumte ihn, zerknitterte Zügel und Gerte in kleine Stückchen und warf sie in die Surb; dann gab sie dem Thiere mit der Hand einen sanften Schlag, und als ob es sich hoch beehrt fühlte, war's mit einem fröhlichen Satz im Dickicht verschwunden. Nun begann erst ihr Mädchengeschäft. Sie löste ein Stirnband auf und liess ihr helles Haar frei wallen. So oft sie dann den Goldkamm durch die Locken zog, streifte sie von den tiefen Zweigen ihres Lieblingsbaumes den Erlennhonig ab *) und bestrich sich damit die Scheitel; wiederholt bemass sie dann im Spiegel des mondhellen Wassers, wie weit das Haar den Rücken hinab walle, wie weit es die Spitzen der Grashalme erreiche. Ueber solcher Herrlichkeit vergass der zuschauende Mann alles, gebannt stand er da und dachte nicht daran, was ihm dabei die gütige Jungfrau selber zu bescheeren wünschte. Hätte er nur ein Stückchen vom süssen Marktbrod, das er seinen Kindern heimtrug, oder nur sein Paternoster im Sacke in den Kreis geworfen, so wäre Schwegelpfeife, Stirnband und Goldkamm sein gewesen. Indessen schritt sie trocknen Fusses über die Surbe fort und sang im Dahinschweben ein Lied, von dem der herzlich ergriffene Mann sich nur ein einziges Gesätze merken konnte, das er in seiner Mundart so angab:
0 Erli, liebi Erli,
Es goht no hundert Johr
Denn strîcht den Bodde wärli
Mîs gêles Chrûselhôr.
Und lampet's denn am Bodde,
So find' i mîni Rueh,
Und chan in Himmel grothe,
Und du zum Oefelî zue.
*) hungen gilt mundartlich von Bäumen, deren grossgetriebene Knospen vor Trockenheit nicht aufgehen. Stalder 2, 63.
Mit diesen Schlussworten meinte sie ihre Erle, den Schicksalsbaum, der einst an ihrem Erlösungstage umgehauen und im Ofen verbrannt sein werde. Aber dieser Baum steht noch, obschon seitdem wieder an hundert Jahre verflossen sein mögen. Ja wohl noch länger muss es her sein, denn auch die Melodie ihres Liedes, die früherhin einige alte Leute noch zu singen wussten, ist nun schon vergessen. Also ist auch die arme Wandlerin noch nicht zur Ruhe gebracht. Zu allerletzt hat sie noch ein Brunnenbube von Döttingen gesehen, als er vom Taglohn in Tegerfelden Abends in sein Dorf heimgieng; seine Verwandten gedenken der Angst und des Zweifels noch wohl, womit er sich nachher über seine Seligkeit zergrübelte und sich das Leben verbitterte. Da pflegte sie, begann er in seiner Erzählung, ebenfalls ihren verwegenen Ritt um die Schlosszacken zu machen. Dann aber habe sie die weissen Gewänder abgeworfen und sei zum Bade in die Surb gestiegen. Da sei sie denn überall um vieles schöner anzuschauen gewesen, denn ein anderes Menschenkind, nur gerade an den Füssen nicht; denn diese, so viel man im mondhellen Gewässer wahrnehmen konnte - und der liebe Gott wolle es ihm nicht dereinst im Himmel anrechnen! - hätten Gänsefüssen geglichen.
So hat man also nach so vielen Begebenheiten am Ende erst den Grund einer einzigen erfahren; man weiss jetzt erst, warum sich die Jungfrau einst das Mass zu den Stöckleinschuhen nicht hatte nehmen lassen. Wenn sogar der Hilfbereite und Dienstfertige unter den Menschen so spät zum Verständnisse der wenigen Wünsche gelangt, die ihm die Jungfrau nahe legen kann, wie lange wird sie dann noch schmachten müssen unter den Täuschungen, die ihr der Eigensüchtige, und unter den Missverständnissen, die ihr der Feige und Gleichgiltige bereitet?
Alle versuchten Wege sind ihr daher misslungen. Die Messen, die für ihre Seelenruhe gestiftet waren, sind von der Folgezeit vergessen, selbst das eine Vaterunser nicht einmal ist so gebetet worden, wie sie bescheiden genug es begehrt hat. Immer wieder wendet sie sich von denen, die sie schon bereichert hat, zu den Armen zurück, immer hofft sie auf's Neue, es werde der Menschendank bei den Verlassenen dauerhafter sein. Sie lässt sich herab bis zum fremden Mahlknechte, zum Schwarzwälder, zum Brunnenbuben, bis herunter zum verachteten Heimatlosen. Aber auch der Arme noch ist eitel. Der Müllerbursche und der Schustergeselle möchten vor allem bei den Dorfmädchen gelten; der Korbflechter schlägt zwar die Bauernmädchen nicht hoch an, um so höher aber sein Bürgerrecht im Himmel, er pocht auf seine Seligkeit, so lange ihm dasjenige im Dorfe nicht zusteht. Dann aber prahlt er mit seiner Ahnenreihe von zigeunerhaften Vagabunden noch in dem Ortsbürgerrechte fort, in dessen Besitz er durch das Gold der Jungfrau gekommen ist. Ihnen allen fehlt der Edelmuth. Der eine der Erlöser geht durch unzeitige Plauderhaftigkeit leer aus, der andre betrügt sich selbst durch grobe Habgier, die Begierden des Dritten zerstören einen schon weit gediehenen Plan; jeder meint sich selbst, keiner gedenkt dabei der Jungfrau. Das gute Herz, auf das sie etwa noch stösst, ist das des rathlosen Kindes, oder des weichherzigen Menschen; dem einen erstarrt sein junges Herz vor grundloser Angst, dem andern zerfliesst sein altes in erfolglosen Rührungsthränen. An einem einzigen Härchen hängt zuletzt noch das Gelingen; da aber verrinnt über des Befreiers Selbstgefälligkeit die letzte Rettungsfrist, und die allmächtige Stunde erweist sich dann stärker, als der verspätete Menschenmuth und als der ganze Zauber des Geisterreiches. Und doch ist die Jungfrau noch immer nicht hoffnungslos. Ihr Glaube hängt an jenem Spindelbaum, welcher demjenigen zur Wiege werden soll, dessen starker Wille einst bis zum letzten Kusse ausdauern wird. Diese Hoffnung der Geister oder dieser Glaube der Sage kann auch uns nicht fremd sein; auch wir erwarten das grösste Gelingen von der opferbereiten Liebe. Denn, wenn wahre Liebe ein höherer Heldenmuth ist, so liegt ihre Siegeskraft, wie hier erzählt worden ist, im Erlösungskuss.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 221
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch