Ein Zigeunerweib verflucht einen Nachtbuben

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Noch bis in die Nächte unseres Jahrhunderts herein trieben die Nachtbuben ihre tollen Streiche. Mit Vorliebe wählten sie dazu den Samstagabend. Da zogen sie vor das Fenster der Dorfschönen und erbaten oder forderten Einlass zu einer Dorfete. Oder sie striehlten in den Gassen herum, verwechselten den Leuten die Scheitstöcke, stellten Sagböcke auf die Dachfirsten, einmal sogar ein Fuder Mist; entführten die Redige von einem Dorfteil in den andern, beigten Wedelen oder Klafterholz einem unbeliebten Dorfgenossen vor die Haustüre und äkten ihn dann heraus, um sich an seiner Wehrlosigkeit zu weiden.

Einmal hatte sich im Schiffschopf ein Trupp Zigeuner am Seeufer gelagert. Im flackernden Scheine eines prasselnden Feuers taten einige zerlumpte braune Männer- und Weibergestalten und Kinder geschäftig oder hockten müssig auf der Erde. Über dem Feuer hing ein Kessel mit brodelndem Wasser, und zwischen etlichem am Boden herumliegenden Hausrat schnaffelte ein kleines Putterfähdli mit der Schnauze im Dreck.

Die Nachtbuben liessen die Gelegenheit nicht unverpasst. Gaffend und gwundernd standen ihrer sechs oder sieben um das Lager. Einer war dabei, der sich gescheiter um seine Liebste gekümmert hätte, trug sie doch von ihm ein Kind unterm Herzen. Anfänglich war ihr Gwunder auch ernst gemeint, ja, sie fühlten sogar ein wenig Respekt vor den Messer- und Zauberkünsten, die man dem fahrenden Volk nachsagte. Letztamend wurde ihnen aber das Gaffen zu dumm, der Übermut kitzelte ihre Sinne, und sie ratschlagten, den Zigeunern etwas anzuhängen.

Gedacht, getan. Der eine Bursche, ein trotziger, untaner Feger, erspähte die Gelegenheit, packte das unschuldige Putterfähdli und warf es in den Kessel mit dem siedenden Wasser. Aber da konnten die Buben springen, was gibst was hast!

Den Unflätigen traf der Fluch einer alten Zigeunerin, wiewohl er auch mit den andern weggelaufen war. Derweil seine Kameraden, bald hier bald dort, in einem dunkeln Hauswinkel sich verkrochen und verbargen, ihn hielt eine geheimnisvolle Macht davon ab; er musste laufen, laufen, immerzu, dorfaus und in die Nacht hinein, über fremden Weg und fremden Steg in unbekannte Fernen. Vor den Augen der Kameraden war er plötzlich verschwunden, niemand hatte ihn fortgehen sehen, niemand wusste, als er im Dorfe vermisst wurde, wo er sich hingewandt hatte und wo er geblieben. Alles Suchen in den Feldern und Wäldern war vergebens, der Bursche blieb verschollen, und die schmählich verlassene Braut weinte wochenlang bittere Tränen.

Dreimal waren seitdem Sommer und Winter über das Land gegangen. Da kehrte eines Tages der Bursche wieder in das Dorf zurück. Der erste Mensch, der ihm auf der Gasse begegnete, war ein Kind, ein munteres Mädelchen, er erkannte es sofort als sein und seiner Liebsten Kind, und nahm es auf den Arm. Die Dorfleute sahen ihn verwundert wiederkommen. Auf ihre Fragen, wo er denn die Zeit her sich herumgetrieben, wusste er keine Antwort. Er erinnerte sich an nichts, was zwischen dem Abend damals und seiner Rückkehr ins Dorf mit ihm vorgegangen war, so gründlich hatte sich der Fluch der alten Zigeunerin erfüllt.

Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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