Die Haldensau

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Oberried hinten, wo der Weltenherrgott sein allerschönstes Erdenflecklein geschaffen hat, da wird dem armen Menschenherzen oft gar zaghaft und eng zumute. Im Frühling, wenn des Tags Lawinen niederstäuben und zur Dämmerstunde Amseln all ihr Glück in die Welt hinaussingen, hört man des Nachts im Haldenwalde unheimliches Springen und Rumoren und Kläffen. In heiligen Winternächten, wenn die weissbedeckte Erde schlummert und die Silbersternlein klar herniederfunkeln, da vernimmt man von den Abhängen des Metsch-berges grelle Pfiffe, und wenn am Morgen Jäger oder Heuer durch den Wald streichen, um von den Bergen das Heu herabzuschlitteln, entdecken sie im Schnee ganz frische Spuren, und von den Blättern und Zweigen der Gebüsche sind die weissen Krönlein verschwunden.

Die Haldensau haust dort auf solche Weise. Unermüdlich jagt sie kreuz und quer den Abhang auf und ab, grunzt, pfeift, lamentiert, stampft alles nieder, lauscht ein Augenblicklein in die stille Nacht hinaus und jagt aufs Neue.

Und das kam so:

Jesus ging einst bei einem Stalle vorbei. Er hörte drinnen Lärm und Geschrei, als ob es von jungen Schweinchen herrührte. Doch wie war er erstaunt, als er öffnete und darin eine ganze Anzahl kleiner Kinder herumspringen und spielen und schreien sah! Er ging weiter, und vor dem Hause wusch eine Frau auf der Laube ihre Windeln. Jesus trat zu ihr, redete sie an und fragte sie, für wen sie denn hier grosse Wäsche halte und wem die Windeln alle angehörten.

Die Frau entgegnete barsch, ohne aufzublicken und indem sie rüstig weiterrieb: „Für die kleinen Säulein im Stall."

Christus wieder: „Schweine sollen Schweine bleiben." Und da sprang die Frau, die plötzlich verwandelt worden war, in den Wald, und aus dem Stall folgte ihr ein Rudel schreiender und aufgeschreckter Schweinchen.

Nun irrt die Haldensau im Wald umher, wild und scheu, ohne Ruhe, ohne Rast, ohne Wohnung. So jagt sie bis ans Ende der Tage. Kein Jäger wird sie jemals sehen und erlegen können.

Nur in stillen Winternächten hört man sie rumoren und lamentieren, und am Morgen sieht man, wie sie gejagt und alles niedergestampft hat.

 

Quelle: Georg Küffer, Lenker Sagen. Frauenfeld 1916. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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