Der Vollenküher gibt Schlechtwetter an

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Einst sassen die Tschingelfeld-Älpler nach Feierabend vor einer Hütte im Bödeli beim räukeln und dorfen. Es war ein klarer Sommerabend und mild, wie die Abende in dieser Höhe selten sind. In der Nähe rauschte der junge Giessbach, und ab und zu bimmelte von der Weide her ein Glockenton herüber, neben dem Schwatz der Mannen die einzigen Laute im Berge ringsum.

Heute rann dem ältesten Tschingelfelder, dem alten Bach, das Redebächlein wieder einmal munter aus dem chudersträhnigen Bart, gar flink sprangen seine Äuglein von einem zum andern, wenn er ein neues Zelli aufnahm, eine Behauptung wichtig mit der Einleitung begann: „Van das sägen-i …!“ und zur Bekräftigung die Hand mit gekrümmtem Zeigefinger hob. Oh, der Alte hatte weit über siebenzig Jahre auf dem Buckel und wusste Dinge zu erzählen…

Da - auf einmal ging ihm jäh der Faden aus, er warf den grauen Kopf behend herum, lauschte in die Nacht hinein. Vom Schweifisband her ertönten Rufe, wie wenn jemand Vieh triebe:

„Hoih, hoih, hoih!“

Und gleich darauf ein Chetten:

„Chom, chom, ssä, ssä, chom!“

Und dann wieder hörte man es tönen, wie die Glocken einer daherziehenden Herde, ganz deutlich.

„Ping-ping, tong-tong, päng-päng!“

Die Älpler spitzten die Ohren und horchten wie die Schärmäuse. Keiner sagte ein Wort mehr, und als die letzten Rufe verhallt waren, waren die Pfeifen erkaltet.

Der erste, der den Schnabel wieder brauchen konnte, war Bach. „Van das sägen-i, das bedeutet nichts Gutes! Der Vollenküher hat sich gekündet. So wahr ich dasitz, innert drei Tagen schlägt das Wetter um, wir müssen abzügeln, weil es dann schneit wie mitten im Winter!“

„Hoh“, meinte darauf das Hubel Chrigi, ein langer, junger Sprenzel, der das erste Mal hier alpete, „was du uns angibst! Jetzt haben wir schon etliche Tag schönstes Wetter, und diesen Abend macht’s einmal noch nicht Gattig, als wenn es ändern wollte. Und Schnee? Wär das ein Wunder! Ich glaub’ nicht daran!“

Der Alte liess sich nicht beirren. „Van das sägen-i, ich habe zu viele Sommer auf Tschingelfeld gealpet, um nicht zu wissen, was die Züglete im Schweifisband bedeuten soll. Ihr müsst’s halt erst noch erleben,“ stand auf und steckelte seiner Hütte zu.

Der morgige Tag war wieder glanzheiter auf gegangen wie seine Vorgänger. Die Sonne schien am Faulhorn und der Mittagswand an, als die Älpler das Vieh austrieben wie sonst. Jetzt, am lauteren Tag, kam ihnen die nächtige Erscheinung bloss noch wie ein Traum vor und die Behauptung des alten Bach als einfältiges Geschwätz. Und als der Alte gar allen Ernstes sein Weslein zur Alpabfahrt bereit machte, das Vieh zusammentrieb und kurz nach Mittag talwärts zog, begleitete ihn der Spott der Alpgenossen.

Sie bereuten ihr loses Maul ehe lang verging. Am zweiten Tag gegen Abend schlug plötzlich der Wind um, über das Faulhorn heraus jagten graue Nebelfetzen. In der Nacht heulte der Sturm über die Alp, trieb in kurzer Zeit eine Watete Schnee daher, dass am Morgen kein Hälmlein mehr herauslugte. Das gab dann eine Heidenarbeit, bei der schneidenden Kälte zum Abzug zu rüsten, und erst noch, bis der Zügel durch hohen Schnee und scharfen Wind talaus in Sicherheit gebracht war.

Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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