Erdmännchen in der Stiftshalde

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Stiftshalde heisst jene Staatswaldung, welche sich ob den Weinbergen des Frickthaler-Dorfes Hornussen hinzieht. Dort wusste man noch vor etlichen zwanzig Jahren das Erdmändliloch, eine Höhle, worin die Zwerge übernachteten; denn ihren Tag brachten sie herkömmlich in Hornussen zu und waren in allen Häusern des Dorfes bekannt. Dem Feldarbeiter kam ihre Aushilfe gerade so zu statten, wie ihre Anstelligkeit in Küche und Wirtschaft der Hausfrau erwünscht war. Man hielt sie deshalb den Nächsten der Familie ganz gleich; und wenn sie ja schon mit den Kindern tüchtig zu Mittag gegessen hatten, so bekamen sie doch auch noch ein Bischen von den eingeschlagenen Eiern oder dem Pfannendotsch (Eierkuchen), den sich die Mutter hinterher kochte, wenn sie an gar zu schweren Arbeitstagen sich selber was Gutes thun wollte.

Da hatte sich nun in jener Zeit unser reiche Müller ein neues Mühlwerk näher zum Dorf her gebaut, und es war ihm sehr daran gelegen, diese Männchen als einen Haussegen mit in sein neues Quartier herüber zu ziehen. An dem Tage also, den er zu seiner Auffahrt in die Mühle bestimmt hatte, mussten alle Räder klappern, musste das frische Feuer am Herde prasseln und der schneeweisse Schlot sich in Dampf hüllen; und Kuchen hatte er backen lassen, deren Geruch so süss durch die Gasse hinaufzog, dass sogar die Männchen lüstern darnach wurden, die sich bekanntlich auf derlei am besten verstehen.

Sie nahmen also des Müllers Einladung an. Eine lange blaue Zipfelmütze am Kopfe und in langen Röcken, die ganz über die Füsse herabreichten, kamen sie zur Stubenthüre herein und blieben da zusammen sittsam stehen. Aber gerade um das Aussehen dieser verhüllten Füsse war's jetzt dem neugierigen Müller zu thun. Deswegen hatte er heute schon vor ihrem Erscheinen von der Thüre an bis zum grossen runden Schiefertische Mehl und Kleie über den Boden streuen lassen. Da waren Kraut- und Ramwähen, Speck- und Zipärtlikuchen (aus Cyperpflaumen) aufgetragen von einer Grösse, dass sich keine Platte dazu fand; lauter besondere Lieblingsspeisen des kleinen Volkes. Der Müller hiess sie also frisch herzusitzen; sie folgten, und nun hatte der Schlaukopf, was er gewollt hatte.

Aber während er so ihre Fussstapfen betrachtete und lauter Platsch- und Gänsefüsse sah, hielt er nicht länger an sich, sondern brach darüber in ein lautes rohes Gelächter aus. Sogleich verliessen die geschämigen Männlein Stube und Haus; seit jener Zeit haben sie auch das Dorf nicht wieder betreten. Bald wurde der Müller vergantet (fallit), und da sein grosses Gut kein Anderer mit Vortheil kaufen oder lange behalten konnte, kam es endlich gar an das Stift Seckingen am Rheine drüben im Schwarzwalde.

Nachmals gieng man noch oft in die Männleinshöhle hinauf, um nur wieder etwas von ihnen zu sehen. Der alte Schullehrer selbst war einmal weit hinein gekrochen, fand aber in dem finstern Gewölbe nichts anderes als zahllose Fledermäuse; weil man den Erbgrind bekommt, wenn diese einem ins Haar gerathen, so machte er sich schleunig wieder heraus. Später hat er nicht einmal mehr die Höhle auffinden können auf jener Seite, wo man am ehesten zukommt; und anderen, die sie auch genau gekannt haben, gieng's ebenso. Nur das weiss man noch, dass sie nach Innen immer weiter und grösser wird, bis sie tief hinten an einen unterirdischen See führt. Ueber diesen ist aber noch kein Lebender gefahren.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 276

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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