Männlein in der Gülle zu Tegerfelden

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor langen Zeiten, ehe noch die alte Handelsstraße auf die Zurzacher Messe durch Tegerfelden gieng und wieder eingieng, lebte in diesem Dorfe ein wundersames Ehepaar. Es war seit Menschengedenken haushäblich hier angesessen, brave gute Leute von gottesfürchtigem Lebenswandel; aber beide waren so ausnehmend klein und winzig, dass man sie doch nicht wohl mit zur übrigen Bevölkerung zählen konnte. Nun geschah es, dass sich diese zwei kleinen Leutchen noch in ihren alten Tagen gemeinschaftlich in ein Vergehen einliessen. Zwar konnten sie es verheimlichen, und da auch die Nachbarschaft aus Schonung schwieg, so wurden die zwei weder damals bei Gericht gebüsst, noch weiss man heute ihre eigentliche That anzugeben; aber sie starben bald darüber hin und müssen dafür seitdem in ihrem eigenen Hause wandeln.

Da die Beiden weder Kinder hinterliessen, noch sonst weit und breit einen Verwandten gehabt hatten, so fiel ihr Haus an die Gemeinde Tegerfelden. Man brachte es zur Versteigerung und es stellte sich auch ein annehmbarer Käufer ein, der es unter bestimmten Bedingungen einstweilen bezog. Aber gar bald merkte der neue Besitzer, dass er hier nicht allein wohne, und so muss wohl damals schon der Kauf wieder rückgängig geworden sein. Denn regelmässig an jedem Abend stellten sich im Hause die beiden kleinen Leutchen ein. Immer kam das Männchen zuerst herein, alsdann das Weiblein, und zusammen traten sie dann an den Herd hin. Beim Weggehen aber entfernte sich allemal das Weiblein zuerst, und mit gemessener Pünktlichkeit verzog hierauf das Männlein noch einen Augenblick länger, bis es sich ebenfalls fort und seinem Weibchen nach machte. Beide thaten dabei gänzlich arglos und blieben, unbekümmert um alle übrigen Anwesenden, ganz allein mit sich beschäftigt; aber zusammen sprechen hat man sie nie gesehen, nicht einen einzigen Laut haben sie je gegeben.

Das alles war nun der Frau des neuen Besitzers ganz unerträglich und sie drang fortwährend in ihren Gemahl, diese kleinen Leutchen durch Kapuziner, die sich auf den Bann verstehen, aus dem Hause schaffen zu lassen. Bevor sich nun dieser zu einem solchen Gewaltsmittel entschliessen wollte, wendete er sich noch an einen alten, erfahrenen Mann in der Umgegend, an den Bauern Jetzer, der damals auf einem Hofe bei Lengnau sass, dem Erbgute seines sagenberühmten Geschlechtes. Dieser Mann war ein Fronfastenkind und konnte somit alle Geister erblicken und zum Sprechen bringen. Er kam in das verrufene Haus, unterhandelte allein und unbelauscht mit dem Männchen und erklärte hierauf dem Besitzer: das kleine Männlein bitte ihn, es nicht kirchlich aus dem Hause bannen zu lassen, weil dadurch eine endliche Erlösung am meisten verzögert werden würde; um aber doch den hartnäckigen Forderungen der Hausfrau nach Möglichkeit zu gehorsamen, wolle es sich von nun an in die Gülle (Jauche) der Miststätte vors Haus hinaus begeben und darinnen so lange wohnen, als man ihm ein eigenes Häuflein Mist unverrückt drinnen liegen lasse.

Dies Alles ist denn auch pünktlich so geschehen und vor sich gegangen, völlige Ruhe muss aber damit doch nicht geschafft gewesen sein. Denn bald war das Haus wieder herrenlos und kam zum zweitenmale an die Gemeinde. Seither gab man es miethweise armen Leuten zu bewohnen. Auch diese sind der Reihe nach immer wieder ausgezogen, sie fanden es ebenfalls unerträglich, stets in Gesellschaft eines fremden Männleins leben zu sollen. Und doch konnte sich Keins über irgend eine Ungebühr beklagen, die man dabei auszustehen gehabt hätte. Nach und nach ist das Weiblein sogar völlig ausgeblieben, es gilt nun für erlöst. Das Männlein hingegen kommt heute noch regelmässig ins Haus herein, nimmt seinen Platz wie sonst am Herd und schaut staunend und stumm ins Feuer hinein. Nur ist jetzt sein Besuch an ganz bestimmte Tage des Jahres gebunden, besonders an Weihnachten, Ostern und die vier Quatemberzeiten. Nie erscheint es des Nachts, sondern immer des Abends zwischen Feuer und Licht; wohl aber hört man Nachts zuweilen aus jenem Misthäufchen her in der Gülle eine dünne Stimme, wie die eines schreienden Kindes, und meint, da rühre sich das Männlein. Angst hat niemand vor ihm. Das Kindsmädchen, das früher in jenem Hause wohnte und jetzt bei fremden Leuten dient, betheuerte, das Männlein selber gesehen zu haben, es sei ganz jung und trage ein graues Hütchen auf dem Kopfe; als es beim Feuer gestanden, sei es nur so gross gewesen, dass es mit den Augen eben an die Herdplatte reichen und sie überblicken konnte.

So ist's heute noch in jenem Hause. Es steht neben der Tegerfeldner-Kirche, ein alterthümlicher Holzbau, die Zwischenbacken aus Lehm und Flcchtwerk gemacht, und gilt für die grösste Strohhütte ringsum. Die Hauptwand steht dem jetzigen Dorfwege entgegengesetzt nach hinten und trägt einen Wahrspruch. Unmittelbar davor sieht man die berufene Gülle und darinnen noch immer unangetastet jenes eigenthümliche Häuflein nie gebrauchten Mistes. Rings um dieses wächst ein Kranz von spanischem Gras, gelb und weiss gestreift. Der jetzige Miethsmann ist ein Schuster. Nicht um vieles würde er dieses Häuflein aus der Gülle nehmen lassen. Befragt man ihn etwas dringlicher um seine Gründe, so pflegt er ablehnend zu sagen: Nicht immer redet man gerne, und manchmal ist's ohnedies besser, man schweige.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 304

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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