Der Sohn der Bärin

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Ein Vater und eine Mutter arbeiteten einmal am Rand eines grossen Waldes. Ihr Kleiner schlief unter einer Esche. Aber in diesem Wald war eine Bärin, die kam und schleppte den Kleinen in ihre Höhle. Als sie mit ihrer Arbeit fertig waren, suchten die Eltern das Kind, aber vergebens. «Die Bärin hat unsern Kleinen genommen», sagte der Vater zur Mutter. «Den sehen wir nie mehr.»

Die Bärin sorgte für den Kleinen; sie gab ihm täglich die Brust. Nach fünf Jahren ging sie eines Tages mit ihm in den Wald, zeigte ihm eine Tanne und sagte: Reiss dieses Tännlein aus!» Aber der Bub konnte dies nicht. «Du Kleiner, du hast noch nicht genug an der Brust gesogen», meinte die Bärin dazu, «Ich kann dich noch nicht entwöhnen!» Nach fünf Jahren liess die Bärin es den Burschen wieder versuchen, ob er die Tanne ausreissen könne, aber er konnte es nicht. «Ich muss dich noch ein wenig säugen», meinte die Bärin und gab ihm weitere fünf Jahre die Brust. Jetzt riss der Bursche die Tanne samt der Wurzel und allem dran aus. Das gefiel der Bärin, und sie befahl ihm, nach Hause zu gehen.

Das macht der Bursche, er nimmt seine Tanne in die Hand und geht zu seinen Leuten. Seine Mutter erkennt ihn nicht und hält ihren Sohn für einen Fremden. Er verlangt trotzdem etwas zu essen, und als die Mutter einen Brotlaib vom Gestell herunterholen will, fegt er mit seiner Tanne alles Brot herunter und isst es auf. Dann steigt er in den Keller und trinkt ein Fass Wein in einem Schluck aus. Da fängt die Mutter an, mit diesem Fresser zu schimpfen.

Fuchsteufelswild rennt der Sohn der Bärin aus seinem Vaterhaus und in die Berge hinauf, um ein Rudel Gemsen zu jagen, und mit dieser Last ist er nach Hause zurück. Er schmeisst die Gemsen in die Küche und schreit seine Mutter an: «Hier ist Fleisch für das bisschen Brot und den Tropfen Wein, den ich getrunken habe!» und geht fort.

In einem fremden Land verdingte er sich als Knecht; als Lohn verlangte er nichts anderes, als seinem Meister eine auf den Rücken hauen zu dürfen. Aber als der Herr merkte, was für eine schreckliche Kraft sein Knecht hatte, bekam er Angst, und er bereute es, ihn für diesen Lohn angestellt zu haben. Und der Meister überlegte sich Tag und Nacht, wie er ihn um die Ecke bringen könne.

Eines Tages schickte der Meister den Knecht in die Hölle Er solle das Mehl holen, welches die Teufel für ihn gemahlen hätten. Um das Mehl heraufzutragen, machte der Meister viele Säcke bereit, doch der Starke war damit nicht zufrieden. «Was sollen diese Säcklein!» sagte er und erschlug zwei Ochsen, zog ihnen die Häute ab und nähte diese zu einem Sack zusammen. Damit stieg er in die Hölle und verlangte Mehl. Die Teufel mussten lachen und sagten, er sei ein Depp. Der Starke aber liess sich nicht an der Nase herumfuhren, und er verhaute die Teufel derart, dass sie seinen Sack voll Mehl herbeischleppen mussten.

Am Abend kam er mit seinem Sack heim und sagte zum Meister, das seien doch ungehobelte und grobe Müller. Er solle doch ein andermal irgendwo in der Nähe das Korn zum Mahlen geben. Der Meister dachte: «Schick’ ihn das nächste Mal in die Hölle, um Geld zu holen. Das geht ans Lebendige, da werden die Teufel aber andere Sprünge machen!» Also schickte er seinen Knecht zum zweiten Mal in die Hölle, diesmal um Geld zu holen. Die Teufel, die noch vom letzten Mal braunblaue Flecken hatten und wussten, was für Muskeln der Starke hatte, gaben ihm so viel Geld, wie er wollte.

Als er den Knecht mit so viel Geld von der Hölle heraufkommen sah, bekam der Meister furchtbar Angst. Da aber an diesem Tag das Dienstjahr zu Ende ging, haute der Knecht dem hinterlistigen Meister eine runter, dass er sieben Tage weit spickte.

Das ist eine Geschichte von früher gewesen.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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