Der Mann mit der Tasche

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein armer Bursche, der ging von zu Hause fort, um eine Arbeit zu suchen. Da begegnete er einem Herrn, der fragte ihn, wohin er gehe. Er habe kein Geld, deshalb müsse er eine Arbeit suchen, antwortete der Bursche. Der Herr meinte, da könne er ihm schon helfen, wenn er mache, was er sage. Er müsse sieben Jahre lang ständig unterwegs sein, aber er dürfe sich weder waschen, kämmen, die Haare und Nägel schneiden noch die Kleider wechseln. Er wolle ihm dann eine Tasche geben, daraus könne er soviel Geld nehmen, wie er wolle, die Tasche sei immer voll. Aber sobald er sich während dieser sieben Jahre nicht an seine Befehle halte, bleibe die Tasche für immer leer. Dem Burschen war dies recht. Er nahm die mit Geld gefüllte Tasche und zog in der Welt herum. Nach sieben Jahren Reise sah er aus wie ein Tier.

Einmal kam er in ein Wirtshaus und fragte ob er übernachten könne. Die Wirtsleute sagten, im Stall unten könne er schon bleiben, doch fürs Haus sei er zu dreckig. Dies war ihm recht, aber er liess sich das beste Nachtessen in den Stall hinunterbringen.

Am andern Morgen bat er den Wirt so lange, ihn ein wenig in die Stube zu den Herrschaften zu lassen, dass der Wirt der Magd sagte, sie solle ihn heraufholen. Er lasse nämlich gleich viel Geld springen wie der vornehmste Gast.

In der Stube oben hörte er von einer Ecke aus zu, was die anwesenden Herren einander erzählten. Unter anderem hörte er sie sagen, es sei schade um die Töchter jenes Herrn, welcher bankrott gehe. Der Reisende fragte sogleich den Wirt, um wen es sich handle. Der Wirt nannte den Namen, und der Bursche ging zum Schloss jenes Herrn. Dort wollten sie ihn zuerst nicht hereinlassen, aber er sagte, er habe etwas sehr Wichtiges mit dem Herrn zu besprechen.

Als er vor den Herrn geführt wurde, machte er das Angebot, alle seine Schulden zu bezahlen und sein Schloss von den Gläubigern zu befreien, wenn er ihm eine seiner Töchter zur Frau gebe. Der Herr weigerte sich zuerst, eine Tochter so einem schmutzigen und widerlichen Kerl zu geben. Doch dass er andern Tags mit seinen Töchtern, die nicht zu arbeiten gewohnt waren, auf der Strasse stehen sollte, machte die Sache auch nicht leichter. Also sagte er trotzdem, er sei einverstanden, ihm eine Tochter zu geben, wenn eine ihn nähme; sie würden nun fragen, ob eine wolle.

Der Herr liess seine drei Töchter kommen und fragte sie, welche den hässlichen Kerl zum Mann wolle, die eine oder andere müsse daran glauben, sonst ständen sie morgen auf der Strasse. Die beiden Älteren sagten, das könnten sie nicht, der da sei zu widerlich. Die Jüngste merkte, dass ihr Vater das Schloss gerne frei von Schulden hätte, darum sagte sie, sie wolle ihn also nehmen, sehr appetitlich sei er schon nicht, aber wenn sie ihn nicht anschauen könne, so drehe sie sich auf die andere Seite, betteln sei auch schwer.

Der Wanderer wechselte mit ihr die Ringe und sagte, nach einem Jahr und einem Tag kehre er zurück, dann wollten sie Hochzeit machen. Er bezahlte die Schulden des Herrn bis auf den letzten Rappen, dann ging er weiter.

Als das Jahr vorbei war und damit die sieben Jahre seines Vertrags, da wusch sich der Bursche, liess sich die Haare und den Bart schneiden und kaufte ein prächtiges Kleid. Jetzt war er einer der schönsten Burschen, die es gab.

Er kehrte in der gleichen Wirtschaft ein, wo er vor einem Jahr im Stall geschlafen hatte, bevor er zu seiner Braut ging. Diesmal begrüsste man ihn sehr höflich und führte ihn sogleich in den Saal. Als er hörte, dass die Magd sagte, so einen schönen Burschen wie den habe sie noch nie gesehen, fragte er sie, ob sie sich nicht erinnere, ihn hier vor einem Jahr gesehen zu haben. Die Magd antwortete, aber nein, er sei nie da gewesen. Als die Leute erfuhren, er sei der, welcher vor einem Jahr im Stall unten geschlafen habe, wunderten sie sich und konnten es nicht glauben.

Als die drei Jungfrauen vom Schloss den Burschen kommen sahen, fragte eine nach der andern: «Weiss jemand, wer dieser schöne Bursche ist?» - und die beiden Älteren lachten die Jüngste aus und sagten: «Der ist ein bisschen schöner als dein Dreckfink!» Der Bursche gab sich den Töchtern zu erkennen; aber weil seine Braut ihm nicht glauben wollte, zeigte er ihr den Ring. Jetzt waren die beiden Älteren derart neidisch, dass sie sich am Hochzeitstag auf dem Estrich erhängten. Der Herr, der die Tasche gegeben hatte, kam am Hochzeitstag und fragte den Bräutigam, wie es ihm gegangen sei. Der antwortete überglücklich, es sei ihm sehr gut gegangen, und er habe jetzt eine schöne Braut. Da sagte der Herr: «Du hast eine, ich aber habe zwei. Wenn du es nicht glaubst, schau oben nach!»

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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