Pfarrer Husli

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Am 16. November 1858 starb in St. Sylvester der Kaplan Peter Neuhaus. Sein Leib wurde in der Kirche von Giffers zur letzten Ruhe gebettet und harrt da der Auferstehung. Liebe und Güte, Frömmigkeit und Bescheidenheit waren die Tugenden, die den Mann in hohem Masse zierten. Alles was er besass, schenkte er den Armen und den Kranken, und oft litt er selber Mangel.

In ewigem Gedächtnis wird der Gerechte sein.

Diese Worte des Psalmisten erfüllten sich auch an Kaplan Neuhaus oder „Pfarrer Husli“, wie das Volk ihn nannte. Man redet und erzählt noch heute von ihm. Die Nachwelt hat sogar einen Sagenkranz um diese edle Priestergestalt gewunden. Dieser Kranz ist zwar nicht neu. Er hat vordem schon andere Häupter geziert. Doch tragen die Sagen ein heimatliches Kleid, und darum seien sie hier erzählt.

Der Grabenmüller hatte ein Kind, das vom bösen Geiste besessen war. Schon wenige Tage nach der Geburt sass es auf dem Bogen der Wiege, und der Böse redete aus ihm. Angst ergriff die Eltern. Sie eilten zu Pfarrer Husli und baten ihn um Hilfe. Aber kaum war er ins Zimmer getreten, die Beschwörung vorzunehmen, als ihm der Teufel durch den Mund des Neugeborenen zurief: „Du Schelm, was willst du hier? Gib erst zurück, was du gestohlen.“ Der Pfarrer konnte nichts ausrichten. Auf dem Heimwege dachte er nach, wann und wo er denn gestohlen habe. Endlich fiel ihm etwas ein. Ja, das musste es sein. Vor vielen Jahren war er einst in einen entlegenen Bergstafel zu einem Kranken gerufen worden. Auf dem Heimwege hatten ihn Hunger und Müdigkeit überfallen. Völlig entkräftet hatte er sich damals am Rande eines Ackers niedergesetzt, eine Rave ausgezogen und sie gegessen. Ja, das war das einzige Mal in seinem Leben, dass er etwas entwendet hatte. Pfarrer Husli ging sofort zu jenem Bauer, erzählte ihm alles und bat ihn, er möge ihm die Rave um Gotteslohn schenken. Dann kehrte er in die Grabemühle zurück und es gelang ihm diesmal, dem Kind den Teufel auszutreiben.

*

Im Tschabel lebte eine besessene Frau. Husli suchte ihr Hilfe zu bringen. Aber der böse Geist liess ihn nicht ins Haus hinein. Der Pfarrer verdoppelte jetzt sein Fasten und Beten und machte einen zweiten Versuch. Diesmal gelangte er in die Kammer. Doch der Böse rief ihm zu: „Mach dich fort du Heuchler. Das Volk glaubt, du lebest armselig und gebest alles den Armen und Kranken. Aber in deinem Hause ist Weissbrot und Butter versteckt.“ Husli eilte ins Pfarrhaus zurück und stellte seine Haushälterin zur Rede. Sie bekannte, es habe ihr heute eine Verwandte ein halbes Weissbrötchen und ein Mütschli Anken geschenkt. „Bringe das sofort der ärmsten Familie“, befahl er. Als dies geschehen war, begab er sich wieder nach dem Tschabel, und siehe, jetzt gelang es ihm, den Teufel auszutreiben.

*

An einem Sommernachmittag besuchte Kaplan Neuhaus den Pfarrer von Giffers. Die Stunden vergingen unter ernsten Gesprächen. Über die Berge war indessen ein Gewitter gegangen. Man hörte in der Ferne die Ärgera mit wilden Wassermassen heranrollen. Hinter dem Gumberg (Combert) aber türmten sich neuerdings schwarze und gelbgraue Wolkenballen auf, und der Donner brummte.

„Jetzt muss ich heim“, sagte Husli, „ich glaube, es gibt ein böses Wetter.“ - „Warte, bis es vorüber ist“, antwortete der Pfarrer, „es wandert sich nachher leichter.“

Doch der Kaplan liess sich nicht länger halten und verabschiedete sich. „Ich fürchte, es könnte Hagel geben, und da muss ich bei meinen Schäflein sein“, sprach er noch im Fortgegen. Dann eilte er zum Dorf hinaus und gegen die Färtschera hinunter, - im Gehen noch den Wettersegen betend. Das Ungewitter nahte mit der Schnelligkeit des Sturmwindes. Es rauschte und rollte und toste. Als Husli an die Ärgera kam, da traute er seinen Augen kaum. Der Wildbach war von den Wolkenbrüchen in den Bergen mächtig angeschwollen. Noch hielt der Steg, aber die schmutzig gelben Wasser überfluteten ihn kniehoch. Da konnte er unmöglich hinüber. Einen Augenblick stand er ratlos am donnernden, schäumenden und spritzendem Strome. Jetzt sah er, wie die eresten Hagelstreifen über dem Wald bei der Goma in seine Gemeinde hereinbrachen und ihr Vernichtungswerk begannen. Husli zog eilig seine Schuhe aus und schleuderte sie hoch im Bogen über den Bach, der hier die Grenze bildet. Ein Wunder geschah. Kaum hatten die Schuhe den Boden von St. Sylvester berührt, da hörte der Hagel auf; die Wasserfluten nahmen ab, und der Kaplan konnte trockenen Fusses über denSteg gehen.

*

Es war an einer Priesterkonferenz. Beim Mittagsmahl sass Kaplan Husli auf dem letzten Platz unten am Tische. Da hörte er, wie einige Mitbrüder über seine verwaschene und geflickte Sutane Bemerkungen machten und ihrem Unwillen Ausdruck gaben, dass ein Geistlicher sein Äusseres so vernachlässige. Husli schwieg und liess alles geduldig über sich ergehen. Als aber das Gespräch nicht enden wollte, stand er einer plötzlichen Eingebung folgend auf, nahm seinen Hut und hängte ihn ohne Nagel an die glatte Wand. Hierauf zog er sein Mäntelein ab und legte es auf die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen. Endlich ergriff er noch ein Körbchen, füllte es mit Wasser und stellte es auf den Tisch. Es floss kein Tropfen heraus. Dann sprach er diese Worte: „Brüder, Gott sieht nicht auf das Kleid.“ Lautlose Stille herrschte im Saale. Endlich sagte der Herr Dekan: „Petrus - te sede a dextris meis.“

Freudig, als wollten sie damit Abbitte leisten, rückten die Mitbrüder weiter hinab und überliessen dem „Pfarrer Husli“ den Ehrenplatz.

*

Eines Tages kam ein Bote ins Pfarrhaus und meldete, der alte Hansjaggi im Graben sei am Sterben und sollte verwahrt werden. Der Pfarrer dachte: „Das ist ein schwaches Lebenslichtlein, da heisst es pressieren.“ Schon eilte er in die Kirche und holte das Allerheiligste. Betend machte er sich auf den Weg. Bald nahm ihn der Schatten des Buchwaldes auf, und eiligen Schrittes stieg er ins Ärgerental hinab. Es jagte ihn die Angst, er könnte zu spät kommen. Der alte Hansjaggi hatte sich sein Leben lang nie durch besondere Frömmigkeit ausgezeichnet. Der durfte nicht ohne Sakramente sterben.

Husli verlängerte seine Schritte. Ein schmales Weglein führte ihn jetzt durch das dichte Erlen- und Weidengebüsch der Ey. Schon näherte er sich der Ärgera Da geschah etwas Sonderbares. Der Wildbach, der sonst um diese Zeit ganz zahm und ruhig fliesst, fing auf einmal mächtig an zu rauschen und zu rollen, als ob er Hochwasser führte. Und wirklich, als der Pfarrer ans Ufer kam, da sah er, wie schmutzge Wogen donnernd sich heranwälzten und schon den Steg überfluteten. Noch war dieser zu erkennen, noch hielt er, aber im nächsten Augenblick werden ihn die ungestümen Wellen wegreissen und forttragen. Da hinüber zu gehen war mit höchster Lebensgefahr verbunden. Doch der Pfarrer sagte: „Ich muss hinüber, - ich muss!“ Mutig betrat er die schwankenden Bretter, den Blick fest auf das Ziel, den Weg am andern Ufer, gerichtet. So ging er Schritt um Schritt vorwärts, unbekümmert um die Wellen, die ihn umbrausten und mit Gischt bespritzten. Das waren lange und bange Augenblicke. Endlich fühlte er wieder festen Boden unter den Füssen. Gott sei Dank, das Ufer war erreicht.

Eine kleine Minute blieb er aufatmend stehen, blickte auf den Fluss und konnte sich dessen plötzliches Anschwellen nicht erklären. Es hatte schon lange nicht mehr geregnet, und auch über die Berge waren keine Gewitter gezogen. Doch während er noch sann, verstummte das Rauschen und Tosen, die Wogen legten sich, die Wasser sanken, der Steg tauchte auf, und die Ärgera floss wieder ruhig und klar durch das Gestein, als ob nichts geschehen wäre. - Jetzt erkannte der Pfarrer, dass alles nur ein Trug des Teufels war, womit dieser die Spendung der Sterbesakramente verhindern wollte.

Husli nahm seine letzte Kraft zusammen und hastete des Weges weiter. Er musste die verlorene Minute wieder einholen. Bald darauf stand er am Bette des Sterbenden, versöhnte diesen mit Gott und reichte ihm den Leib des Herrn als Wegzehrung für die Reise in die Ewigkeit. Und dann schloss der alte Hansjaggi seine Augen für diese Welt, um sie drüben im Glanz der ewigen Seligkeit wieder zu öffnen. 

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

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