Die Kapellen im Senseland

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

 

 

Unser Ländchen ist noch reich an alten, schönen Kapellen. Die einen grüssen von luftigen Höhen hernieder, die andern stehen wohlbehütet inmitten der Gehöfte, die dritten erheben sich an Strassen und laden den Wanderer zu kurzer Rast und Besinnung ein. Sie alle erzählen uns vom frommen Sinn der Väter, von Not und Leid, von Kummer und Sorge, aber auch von wunderbarer Hilfe, von Trost und reichbelohntem Gottvertrauen.

 

1. Buche

Krieg war ausgebrochen. Die Glocken riefen es ins Land hinaus, und von den Höhen verkündeten es am Abend die Feuer.

In der Frühe des folgenden Morgens ritt ein Krieger aus dem obern Senseland in Wehr und Waffen gegen das Oberholz hinauf. Auf der Höhe des Waldes machte er unter einer mächtigen Buche einen kurzen Halt. Eben ging die Sonne auf und goss ihren ganzen Zauberglanz auf das herrliche Land. Der Krieger war ergriffen von all der Pracht. So schön hatte er die Heimat noch nie gesehen. Rings um ihn sangen die Amseln und Drosseln. Aus den reifenden Kornfeldern stiegen die Lerchen jubelnd in die Luft. Zu seinen Füssen lagen grüne Matten und dunkle Wälder, dazwischen hingestreut die freundlichen Dörfer des Senselandes. Von nah und fern tönte der Klang der Morgenglocken herauf. Die Luft war so klar und rein, dass der Blick bis an die fernen, blauen Jurahöhen reichte. Über all der Pracht herrschte ein tiefer, seliger Friede.

Und doch, - dort irgendwo in weiter Ferne, zogen des Feindes wilde Horden heran gegen dieses wundervolle Land, um die freundlichen Dörfer in Schutt und Asche zu legen, die Kornfelder zu verwüsten, Tod und Elend zu bringen. Nein, das durfte nicht geschehen. Ein tiefer Kummer füllte die Brust des Kriegers, und in seinem Innern machte er das feierliche Gelöbnis: „Vater im Himmel, schütze unsere liebe Heimat und halte jeden Feind von ihr ab. Wenn ich heute als Sieger heimkehren darf, so will ich mich dankbar zeigen. Hier, auf diesem schönen Erdenfleck der Heimat will ich dir ein Heiligtum bauen.“

Der Krieger ritt weiter. Er trieb sein Pferd zu schnellem Laufe an. Ihm war, als könnte er zu spät kommen. Wie er weiter ins Flachland hinunter gelangte, holte er bald da, bald dort, Gruppen bewaffneter Landsleute ein. Von allen Weilern und Dörfern kamen immer neue Scharen mit Hellebarden und Spiessen und bunten Fähnlein. Und wie nach einem heftigen Regen die Wässerlein über Stock und Stein eilig zu Tal fliessen und erst einen Bach, dann einen Fluss bilden und endlich zu einem wilden Strom werden, der Brücken und Häuser fortreisst, so vereinigten sich alle die Trüpplein und Truppen zu einem grossen, mächtigen Kriegsheere, das, unaufhaltsam vordringend, die feindlichen Scharen im Sturme niederrang und vernichtete. „Sieg, Sieg!“ kündeten die Glocken im ganzen Lande. Die Heimat war gerettet.

Am späten Abend desselben Tages ritt jener Krieger voll seliger Siegesfreude eilig wieder ins Oberland zurück, um den Seinigen die frohe Botschaft zu bringen. Was er am Morgen gelobt, das hielt er getreulich. Als der Jahrestag des Sieges gefeiert wurde, da brannte an jenem Abend auf der Höhe bei der Buche ein mächtiges Freudenfeuer. Sein Flammenschein aber beleuchtete eine schlichte Kapelle, und eines Glöckleins silberheller Ton klang durch den Sommerabend, als wollte es den Leuten da drunten in den Dörfern zurufen:

Unser Vaterland ruht in Gottes Hand.

 

2. Neuhaus

Erzittre, Welt, ich bin die Pest!

Ich bin der grosse Völkertod,

Ich bin das grosse Sterben.

Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert ging zu verschiedenen Malen eine Pest durchs Schweizerland. Man nannte sie der „schwarze Tod“. Die Menschen wurden von einem heftigen Fieber befallen, der Schlund trocknete ihnen aus, die Zunge wurde schwarz und am Leibe bildeten sich eiterige Beulen. Die Krankheit führte rasch zur Bewusstlosigkeit und oft schon nach wenigen Stunden zum Tode. Das war eine schreckliche Zeit. Alle Bande der Familie und der Gesellschaft lösten sich. Ganze Dörfer, ja, ganze Gegenden wurden menschenleer. So sollen Mertenlach, Neuhaus und Alterswil damals Nachbarn gewesen sein. In Giffers, Rechthalten und St. Silvester gab es keine Einwohner mehr. Mit Ausnahme derjenigen, die sich in die Berge geflüchtet, hatte der schwarze Tod alle gefordert. In Plasselb lebte einzig noch eine Mutter mit ihrem Söhnchen. Auch sie wurde von der Pest befallen. Als die ersten Anzeichen der Krankheit sich einstellten, da sann die Mutterliebe nur noch auf die Rettung ihres Kindes. Sie bettete es sorgsam in einen Korb und trug es nach Neuhaus hinauf. Dort legte sie es in der Nähe eines Hauses nieder und rief den Leuten zu, sie möchten sich um Gotteslohn des Kindes erbarmen. Dann eilte sie ins Dorf zurück und legte sich zum Sterben hin. Die Neuhauser aber zogen den Knaben auf. Er wurde der Stammvater des Geschlechtes der Käpfer.

Beim Ausbruche der Pest machten die Bewohner von Neuhaus das feierliche Gelübde, der Gottesmutter eine Kapelle zu bauen, wenn sie von der Krankheit verschont blieben. Und siehe, während in allen Dörfern des Senselandes der Würgengel umging und Hunderte und Tausende von Menschen unbarmherzig ins Grab warf, blieb einzig Neuhaus von ihm verschont. Kein einziges Opfer hatte die Ortschaft zu beklagen. Dankerfüllten Herzens erbauten die Neuhauser inmitten der behäbigen Bauernhäuser eine schmucke Kapelle und weihten sie Maria, der Helferin der Christen, der Muttergottes mit dem Schutzmantel. Sie hielten ihr Heiligtum allzeit hoch in Ehren.

Als in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Blatern ausbrachen, da erinnerte sich das Senslervolk des Gnadenortes. Aus allen Dörfern zogen Wallfahrer nach Neuhaus, um hier die Helferin der Christen um Schutz anzuflehen. 

 

3. Weissenbach

Ich bin der schnelle, schwarze Tod.

Ich überhol das schnelle Boot

Und auch den schnellsten Reiter.

(H. Lingg)

Pest, - Schrecken der Völker, - Zuchtrute Gottes. Im 14. Jahrhundert raffte sie in Europa 25 Millionen Menschen weg. Im 15. und 16. Jahrhundert trat sie wieder zu verschiedenen Malen auf. Alte Chroniken erzählen uns, wie sie die Stadt Freiburg heimsuchte. 1540-41 starben da 3000 Menschen, 1548 abermals 600. 1565 forderte sie innert 2 Monaten neuerdings 3000 Todesopfer. Im gleichen Jahre starben in der Pfarrei Tafers 700 Menschen, - in Düdingen ebenso viele. Auch im 17. Jahrhundert gingen mehrere Pestwellen über unsere Heimat, so in den Jahren 1612, 1639, 1646-47, 1652-53 und zum letzten mal 1663-70.

1653 schrieb der Pfarrer von Tafers ins Sterbebuch: „Das Jahr beginnt gut. Die nicht 1652 gestorben, sterben dieses Jahr.“ Die Pfarrei Tafers umfasste damals das Gebiet der heutigen Gemeinden Tafers, St. Antoni, Alterswil und St. Ursen. In all diesen Dörfern ging der schwarze Tod um, riss hier den Vater, da die Mutter, dort die Kinder aus der Familie, leerte die Häuser und entvölkerte die ganze Gegend. Weinen und Wehklagen ging auf allen Wegen. Immer neue Gräberreihen vergrösserten den Friedhof von Tafers.

Wie die Sage meldet, trafen eines Tages bei der Strassenkreuzung in Weissenbach fünf Fuhrwerke zusammen. Sie alle wollten Tote zur Beerdigung nach Tafers bringen. Da wurde den Leuten, die in den Leichenzügen gingen, so recht bewusst, welch schreckliches Unglück das Land heimsuche. Erschüttert standen sie da, blickten auf die Menge der Toten und weinten. Dann erhoben sich ihre Herzen im Gebete zu Gott und flehten, er möge doch diese schwere Prüfung von Land und Volk abwenden. Zum Danke wollten sie hier auf diesem Platze eine Kapelle bauen.

Der Himmel hatte Erbarmen und erhörte das Gebet. Die Pest erlosch innert kurzer Zeit. An der denkwürdigen Stätte wurde eine Kapelle gebaut und dem heiligen Märtyrer Sebastian geweiht.

 

4. Winterlingen

Es war in jenen bangen Tagen, wo das Burgunderheer Murten belagerte. Durch Sturmgeläute und Höhenfeuer wurden im Freiburgerlande alle kriegstüchtigen Männer zu den Waffen gerufen. Vor dem behäbigen Bauernhause der Familie Zosso in Winterlingen nahmen drei stämmige Söhne von ihren betagten Eltern Abschied. Sie schulterten ihre Hellebarden und marschierten zum Sammelplatz des Heitenriederfähnleins. Von da ging es im Eilmarsch Murten zu.

Zwei Tage später kam es zur Schlacht. Um die Mittagsstunde ertönte Kanonendonner. Ganz deutlich hörte man ihn von Winterlingen aus. Die Eltern Zosso stiegen auf eine kleine Anhöhe, wo sie freien Ausblick genossen. Da sahen sie hinter den fernen, blauen Wäldern den weissen Rauch der Geschütze aufsteigen. Ihre Augen hingen an diesen Wolkenballen, ihre Ohren lauschten dem dumpfen Rollen. Ihre Gedanken aber waren bei den Söhnen, die jetzt in heisser Schlacht mit dem Feinde rangen. Ihre Herzen bangten und zitterten um das Leben der Teuren:

„Werden sie wiederkommen?“

Wenn sie nicht mehr heimkehrten, dann wäre der Sonnenschein aus dem Hause, die Freude, das Glück dahin, ihr Schaffen und Hausen umsonst gewesen, - einsam, freudlos und traurig ihre alten Tage. Und wie diese wackern Bauersleute in guten Tagen immer ein Herz und eine Seele gewesen, so waren sie es auch in dieser bittern, bangen Stunde. Sie falteten ihre zitternden Hände, hoben ihre Blicke empor und machten das Gelöbnis: „Vater im Himmel, wenn unsere Söhne heil zurückkehren, dann bauen wir zum Danke hier ein Heiligtum.“ - Jetzt ward es auf einmal ruhig in ihren Herzen. Der Kanonendonner in der Ferne verstummte.

Am andern Tage kehrten Zossos Buben alle drei singend und jauchzend als Sieger nach Winterlingen zurück. Die Eltern erfüllten dankbar und freudig ihr Versprechen, bauten eine Kapelle und weihten sie der heiligen Märtyrin Apollonia.

 

5. Elswil

Das Landgut Elswil gehörte vor langer Zeit der noblen Familie von Diesbach. Einer dieser Herren machte einst eine Wallfahrt nach Palästina und besuchte dort die heiligen Stätten von Bethlehem, Nazareth, Jerusalem und Kapharnaum. Auf der Heimreise wurde er von Türken überfallen. Sie schleppten ihn als Gefangenen von Ort zu Ort, durch Wüsten und Gebirge. Unsägliches musste der Pilger erdulden: Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Misshandlung und Verspottung. Aber das Schrecklichste drohte ihm erst noch. Diesbach sollte auf dem Sklavenmarkt verkauft werden. 0, welch ein trauriges Los! In seiner entsetzlichen Not wandte sich der Unglückliche an die Schmerzensmutter, bat sie inständig um Hilfe und machte ihr das Versprechen, eine Kapelle zu bauen. Sein Vertrauen wurde nicht zu Schanden. Diesbach erlangte die Freiheit und kehrte in die Heimat zurück. Er hielt sein Versprechen und baute zu Ehren der schmerzhaften Gottesmutter in Elswil eine Kapelle. 

 

6. Niedermuhren

Eine ähnliche Sage rankt sich um die Kapelle von Niedermuhren.

In früheren Zeiten pilgerten Freiburger öfters nach Compostella im fernen Spanien, um dort am Grabe des heiligen Apostels Jakobus zu beten. Das war eine lange und mühevolle Reise. Sie dauerte gewöhnlich 4 bis 5 Monate. Zudem drohte den Wallfahrern manche Gefahr: Erschöpfung, Überfall, Plünderung und Gefangenschaft. Nicht alle, welche die Reise unternahmen, kehrten wieder heim.

Einst wanderte auch eine Pilgergruppe aus Niedermuhren nach San Jago de Compostella. Sie bestand aus Angehörigen dreier Familien. Glücklich erreichten sie ihr Ziel. Aber auf der Rückreise wurden sie von einer Räuberbande überfallen, ausgeraubt und in Gefangenschaft geführt. Unbeschreibliche Leiden und Entbehrungen mussten sie erdulden. In ihrer Not riefen sie den Heiligen, zu dessen Grab sie gepilgert waren, vertrauensvoll um Hilfe an. Auf wunderbare Weise erhielten sie die Freiheit und gelangten glücklich wieder in die Heimat. Zum Danke für ihre Errettung bauten sie in Niedermuhren eine Kapelle und weihten sie demjenigen, der ihr mächtiger Fürbitter gewesen.

 

7. Menziswil

Menziswil gehörte in alter Zeit den Herren Velga. Schon damals hing über dem stattlichen Bauernhof ein düsteres Verhängnis. Es schien, als hätte das Unglück für alle Zeit hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Es schlich durch die Stuben und Schlafkammern und machte die Menschen bresthaft. Es ging wie ein Dieb durch die Ställe und raubte, was ihm gefiel, einmal eine Kuh, ein andermal ein Kalb, ein Pferd, ein Schaf, ein Schwein, ein Huhn, eine Gans. Keine Woche verging, ohne dass es ein Opfer forderte. Oft kam es vor, dass mitten in der Nacht die Tiere aufgeschreckt wurden und zu schreien begannen. Dann eilte der Bauer mit Licht hinaus. Er fand die Kühe an den Ketten reissend und zitternd vor Angst, da und dort zwei in die gleiche Hälsig gebunden. Die Pferde hatten die Schwänze und das Kammhaar getrütschelt und waren bachnass vom Schwitzen. Aber vom Unhold, der all das angerichtet, war keine Spur zu finden. Oft machte der Meister in später Nachtstunde noch einen Gang durch die Ställe und überzeugte sich dabei, dass alle Tiere gesund und ruhig waren. Aber am Morgen lag wieder ein Stück verendet am Boden. Erwürgt? - Vergiftet? - Von wem?

In der nahen Galternschlucht sind heute noch einige Felsenhöhlen zu sehen. Sie werden „Fantomenlöcher“ genannt. In diesen Verstecken sollen damals höllische Geister gehaust haben. Als räudige Kröten, giftige Schlangen und schuppengepanzerte Stollenwürmer schlichen sie zur Nachtzeit herum, zu suchen, wen sie verderben könnten. Man glaubte, dass diese Dämonen aus Bosheit und Neid in Menziswil all die Schäden anrichteten, dass sie das Vieh erwürgten und ihm das Blut aussaugten, oder es mit ihrem blossen Gifthauch töteten. Doch wie sollte man diesem Höllengezücht beikommen? Da nützten weder Speer noch Pfeil, weder List noch Kraft.

Ritter Velga erkannte, dass nur übernatürliche Hilfe von dieser Plage befreien konnte. Er liess darum in Menziswil eine kleine Kapelle bauen und sie der Muttergottes weihen. Auch verordnete er, dass der jeweilige Pächter an jedem Sonnabend im Heiligtum eine Kerze opfere und diese vor dem Bilde der Gottesmutter anzünde. Das half. Von dem Tage an floh das Unheil den Bauernhof. Nur einmal noch kehrte es zurück. Das war damals, als der Bauer eines Samstags spät aus der Stadt heimkehrte, die Kerze zu opfern vergass und dann am andern Morgen das schönste Rind tot auf dem Lager fand. Von da weg wurde das Opfer nie mehr unterlassen. Der fromme Brauch hat sich durch alle Zeiten bis auf den heutigen Tag erhalten. 

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

 

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