Das schöne Miggeli

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Da lebte einst in einem unserer Dörfer ein wunderhübsches Mädchen. Man nannte es nur das schöne Miggeli. Es wusste aber selber auch, dass es ein hübsch Gesichtchen und ein fein Postürchen besass und alle Burschen die Hälse streckten, wenn es zierlich die Dorfstrasse hinabtrippelte, als ob es über Eier ginge. Doch in dem lieblichen Kinde schlug ein ganz wankelmütiges, flatterndes, gaukelndes Schmetterlingsherz, das von einer Liebe in die andere taumelte. Es liess sich einige Wochen oder Monde von einem Jüngling den Hof machen, und wenn dieser glaubte, es erobert zu haben, so flog es mit Hui wieder einem andern zu, und das Spiel begann von neuem. So vergingen Jahre. Das „Blinde-Maus-machen“ verlor aber nach und nach den Reiz und zog nicht mehr. Miggeli dachte jetzt ernstlich daran, mit dem Spiel aufzuhören und sein Lebensschifflein in den sichern Hafen der Ehe zu lenken. Die Gelegenheit war noch einmal günstig. Ein flotter Jungmann, der Haus und Hof besass, warb eben um seine Gunst.

An einem Sonntagnachmittag wanderte das junge Paar durch die blühenden Matten. Auf einer Anhöhe über dem Dorfe setzten sie sich am Rande eines Kornfeldes ins Gras und blickten versonnen in die weite, schöne Welt. Da fasste er sich ein Herz und fragte: „Miggeli, willst du die Meine werden?“ Ohne langes Zögern antwortete sie: „Ja, Hans, - wenn du mich magst.“ Aber Hans war von dieser Antwort noch nicht befriedigt. Er dachte an jene Vielen, mit deren Herzen das Mädchen einst gespielt, denen es auch sein Jawort gegeben und hernach gebrochen hatte. Darum schaute er ihr jetzt tief in die Augen und fragte nochmals: „Wirst du’s mir nicht auch machen - wie den andern?“ Sie senkte beschämt ihr Haupt und flüsterte: „Nein, - niemals.“ Als sie wieder aufblickte und noch immer einen Zweifel in seinen Augen las, da ergriff sie seine Hand und sprach: „Hans, ich schwöre, nur dir will ich angehören. Und sollte ich aus eigener Schuld mein Wort nicht halten, so soll mich der Satan am Hochzeitstage holen.“ Voll seliger Freude drückte der Bursch die Maid an sein Herz. Er traute ihrem Schwur und glaubte an sein Glück.

Das schöne Miggeli wurde aber noch einmal wankelmütig. Drei Jahre später schritt es mit einem andern zum Traualtar. An seinen Schwur dachte es längst nicht mehr, und dass der arme Hans darüber den Verstand verlor, rührte es nicht sonders. Es glaubte, nun endlich denjenigen gefunden zu haben, den es sich immer gewünscht. Die Hochzeit sollte mit Glanz und Pracht gefeiert werden. Im Saale des Gasthauses versammelten sich Verwandte, Freunde und Nachbarn zum üppigen Mahle. Das Fest begann. Die Wogen der Fröhlichkeit stiegen immer höher und höher.

Gegen Nachmittag ging ein fremder, städtisch gekleideter Wandersmann durch das Dorf. Er hörte die Klänge der Musik, die frohen Lieder und das übermütige Tanzen. Er blieb stehen und lauschte eine Weile. Endlich fragte er eine Frau, die des Weges kam, was heute hier im Dorfe los sei. Sie antwortete: „Eh-eh-eh, - wüssetersch narisch no niit? Ds schöen Miggeli het doch hüt Hochzit.“ Da eilte der Mann der Wirtschaft zu und liess den Hochzeiter herausrufen. Er erzählte ihm: „Ich bin Professor in einer fernen Stadt und habe noch nie einer ländlichen Hochzeit beigewohnt. Ich möchte gern die Sitten und Bräuche in hiesiger Gegend studieren und wäre sehr dankbar, wenn ich in einer Ecke des Saales zuschauen und zuhören dürfte. Ich werde gewiss nicht stören.“ Der Bräutigam hatte nichts dagegen. Er wies ihm unten am Tische einen Platz an. Da setzte sich der Professor hin, lauschte gespannt den Liedern und Reden, verschlang mit den Augen die Bewegungen der tanzenden Paare und kritzelte zwischenhinein eifrig seine Beobachtungen in ein Notizbüchlein.

Bald liess er sich mit den Bauern in ein Gespräch ein, fing an, Witze zu erzählen und Flausenlieder zu summen. Helles Gelächter antwortete. Immer neue Geschichten und Spässe tischte er auf. Das Lachen tönte lauter und lauter und wollte nimmer aufhören. Einige Zuhörer hielten sich schon die Bäuche, andere wischten sich Tränen ab, noch andere bekamen Lachkrämpfe und wieherten wie Pferde. Die Gäste an den übrigen Tischen reckten die Hälse und spitzten die Ohren, um ein Zipfelchen dieser Fröhlichkeit zu erhaschen. Da trat der Hochzeiter zum Fremden und sprach: „Herr Professor, kommt zu uns herüber, wir möchten auch gerne einmal herzlich lachen.“ Der liess sich nicht zweimal bitten und setzte sich an den Ehrentisch. Von dort her schallte bald ein helles Lachen, das nach und nach zu einer fast ohrenbetäubenden Fröhlichkeit anschwoll. Von Zeit zu Zeit unterbrach sich der Erzähler und forderte zu einem Tanze auf. „Euere Tänze sind so reizend, so anmutig, viel schöner als bei uns in der Stadt“, so rühmte er. Doch kaum war der Tanz vorbei, erzählte und sang er von neuem und zog alle in seinen Bann.

Endlich fragte er fast schüchtern den Bräutigam, ob er einmal mit der Braut ein Tänzchen machen dürfe, wenn diese es erlaube. Der Hochzeiter hatte nichts dagegen, und das schöne Miggeli erst recht nicht. 

Also begannen die Musikanten zu spielen. Ruhig und vornehm zog das Paar seine Kreise, verfolgt von hundert neugierigen Augen. Das leichte Schreiten ging nach und nach in ein sanftes Wiegen und Drehen über, das immer lebhafter und feuriger wurde. Jedesmal, wenn die Tanzenden an den Musikanten vorbeiglitten, gab der Fremde diesen heimlich ein Zeichen, sie sollen schneller spielen. So ging es denn immer wilder und stürmischer, bis endlich das Paar in rasendem Wirbel durch den Saal flog. Da stiess die Hochzeiterin plötzlich gellende Hilfeschreie aus. Die Musik verstummte. Aber der Fremde hielt das schreiende Mädchen fest in den Armen und tanzte in atemberaubendem Tempo weiter. Die Gäste glaubten, er sei wahnsinnig geworden und wollten ihn aufhalten. Doch jeder, der ihm in die Nähe kam, flog wie ein Sack Lumpen an die Wand.

Da geschah etwas Seltsames. Das Gesicht des Professors verwandelte sich in eine scheussliche, grinsende Fratze, aus der zwei Hörner emporwuchsen. Am Steiss kam ein langer, zottiger Schwanz zum Vorschein, der peitschend um sich schlug. Ein Bockfuss hämmerte auf den Boden. Funken sprühten und stinkender Schwefelrauch hüllte das Paar, das noch immer im tollen Wirbel sich drehte, in einen Nebel. Ein Schrei des Entsetzens hallte durch den Saal, und mit dem Rufe: „Flieht - flieht - es ist der Teufel“, drängte sich alles zur Türe hinaus. Die Letzten sahen noch, wie der Satan mit der Hochzeiterin zum offenen Fenster hinaustanzte. Lange noch hörte man diese in den Lüften jämmerlich schreien, erst laut, - dann immer leiser und leiser - bis sie ganz verstummte. Das schöne Miggeli hat man nimmermehr gesehen. 

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

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