Der Zwingherr

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In jenen trüben Zeiten, als sich auch in der Schweiz noch einzelne Leute die unbeschränkte Herrschaft über Leib und Seele ihrer Mitmenschen anmaßten, lebte in der Gegend bei Wald ein „Hagheer“, oder Zwingherr. Dieser trieb’s gar bunt. Er begnügte sich nicht damit, dass ihm das Volk Zehnten und Abgaben aller Art zutragen und in aller Rechtlosigkeit dahinleben musste, er bedrückte es auf jede ersinnbare Weise.

Um aber seine Untertanen so recht fest in seiner Eisenfaust zu haben, auf dass sie auch bei den unerhörtesten Härten nicht gegen sein selbstherrliches Regiment aufmucken dürften, beschloss er, auf dem „Farner“, einer Anhöhe, eine gar stolze uneinnehmbare Zwingburg zu erbauen. Und zwar sollte ihm sein leibeigenes Volk die Steine und das Holz zu dieser Burg ziehen, durch die er doch seine Befreiung für alle Zeiten verunmöglichen wollte.

Vorher aber sollten die mächtigen Eichenstämme und Buchen, die man für die Burg hatte fällen müssen, sorglich hergerichtet werden.

Hiefür hatte der Hagheer den geschicktesten Zimmermeister der ganzen Landschaft herbefohlen. Unter seiner Anweisung sollten die geplagten Bauern das Holz regelrecht behauen lernen.

Am Tage, an dem der Zimmermeister mit seiner Arbeit beginnen wollte, stellte sich auch der Tyrann der Talschaft auf dem Platz ein. Überall lag das Holz in gewaltigen Trämeln herum. Neugierig und mit grimmigem Angesicht trat der Hagheer zu dem auserlesenen Zimmermann, um ihm zuzusehen und sein Werk zu überwachen. Dieser schärfte eben seine Axt mit einem Wetzstein, also dass sie glänzte wie das Wetterleuchten.

Wie nun der Hagheer bei ihm stand, entfiel ihm der Wetzstein. Rasch wollte er sich darnach bücken, aber stöhnend fuhr er wieder auf, blieb kerzengrad stehen und sagte wehleidig, es sei ihm auf einmal so in den Rücken geschossen, er habe gewiss den Hexenschuss bekommen, weil er sich gar zu rasch hätte bücken wollen. Und dann bat er den Hagheern bescheidentlich und mit den hochachtungsvollsten Augen der Welt, er möchte doch so gut sein und ihm den Wetzstein aufheben, damit er mit seiner Arbeit gleich beginnen könnte; die Bauern lernten sonst die Langhölzer nie richtig abschwarten.

Also bückte sich der Zwingherr, der das sonst keineswegs gewohnt war, brummelnd nach dem Wetzstein.

Da ließ der handfeste Zimmermeister seine Axt gar gewaltig auf seinen Nacken niedersausen, also dass der Kopf einen Luftsprung tat und darnach zwischen die Baumstämme rollte.

Jetzt erhob sich aus dem etwas abseits stehenden Volke ein Berg und Tal ausfüllendes Aufjauchzen und Frohlocken, und hoch priesen alle den schlauen und schlagfertigen Zimmerer, der das Land für immer von der angedrohten Hagheernburg, aber auch von aller Zwingherrschaft erlöst hatte.

 

 

Meinrad Lienert, Zürcher Sagen. Der Jugend erzählt, Zürich 1918.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

 

 

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