Die Rätsel

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter, die war so schön wie die Sonne. Der König liess bekannt machen, dass der sie zur Frau bekomme, welcher ein Rätsel aufgeben könne, das weder er noch seine Ratgeber lösen könnten. Aber wenn er oder seine Minister das Rätsel lösen könnten, so koste es dem, welcher es aufgegeben habe, den Kopf.

In einem Hüttlein lebte eine Mutter mit drei Kindern, zwei gescheiten Mädchen und einem Burschen. Dieser Bursche, den sie für einen Dummkopf hielten, hörte auch von dieser Bekanntmachung des Königs, und er sagte der Mutter, er müsse fort, um dem König etwas zum Raten aufzugeben. Die Mutter und die Schwestern baten ihn inständig, keine Dummheiten zu machen, schon viele gescheite Männer hätten Rätsel aufgegeben, aber alle hätten ihren Kopf lassen müssen, und was er, ein solcher Tölpel, dem König zum Raten aufgeben wolle?

Doch als sie sahen, dass er nicht locker liess, beschlossen sie, ihn zu vergiften, damit er nicht an den Galgen komme. Deshalb machten sie am Tag, wo er zum König gehen wollte, einen Pfannkuchen und mischten Gift hinein. Aber er hatte keinen Hunger und steckte den Pfannkuchen für das Mittagessen in die Tasche.

Nachdem er eine Weile gegangen war, bekam sein Hund Mansel Hunger, und er gab ihm ein Stück vom Pfannkuchen. Bald darauf verendete der Hund, und jetzt durchschaute der Tölpel die Sache. Zu Hause hatte er gefragt, wie dieses Essen heisse, welches sie ihm heute mitgeben würden, und die Frauen hatten geantwortet: «Werweiss». Dieses Werweiss muss schlecht sein, dachte er und ging weiter.

Sieben Raben, die vorher vom Fleisch Mansels gefressen hatten, flogen neben ihm vorbei. Doch einer nach dem andern fiel tot zu Boden. «Jetzt», so dachte der Tölpel, «habe ich ein Rätsel.»

Als er an einem Garten vorbeiging, sah er einen Baum mit schönen Äpfeln, und weil er Werweiss das nicht essen wollte, warf er seinen Stock hinauf, um Äpfel herunterzuholen. Er traf die Äpfel nicht, doch der Stock erschlug beim Herunterfallen eine Häsin die trächtig war. Der Tölpel nahm die Häsin aus und wickelte die vier Jungen in einen Brief und briet sie über dem Feuer. Diese Bratenstücke steckte er in den Sack und ging in die Stadt. Dort fragte er vor dem König, ob jemand dies raten könne:

Werweiss hat Mansel getötet.
Mansel hat nach seinem Tod sieben getötet. 

Niemand wusste dies, und der König fürchtete, die Prinzessin diesem Bauern überlassen zu müssen. Da sagte ein schlauer Ratgeber, sie sollten die Tochter des Königs eine Nacht lang mit ihm zusammen lassen, die könne ihm schon die Würmer aus der Nase ziehen. Gesagt - getan. Mit Schöntun und Schmeicheleien entlockte die Prinzessin ihm die Lösung des Rätsels und sagte alles dem König weiter. So konnte der am andern Tag das Rätsel lösen. «Erst jetzt sehe ich, dass Frauen den Mund nicht halten können», sagte der Tölpel, «aber ich habe noch ein Rätsel, ratet dieses: 

Hinaufgeworfen, nicht getroffen 
Heruntergefallen, erschlagen 
Lebendiges Fleisch gegessen 
Ungeheizt, mit Worten gekocht.»

Die Nacht darauf brachte die Prinzessin nichts ihm heraus, und weil der König das Rätsel nicht raten konnte, hatte der Tölpel seine Braut.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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