Der Struppige

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal vor vielen Jahren ein mächtiger Herr, der hatte einen einzigen Sohn. Als der Herr einmal in den Krieg ging, liess er den Kleinen in der Obhut der Mutter zurück. Eines Tages aber musste sie den Burschen ziehen lassen, denn er wollte in die Welt hinaus.

Unterwegs begegnete dem Burschen ein Herr in grünem Frack, und der fragte ihn, wohin er gehe. «Etwas lernen», antwortete der Bursche. «Oh, dann will ich dich unterrichten», erwiderte der Grüne, «steig mir auf den Rücken!»

Ohne viel zu überlegen, stieg der Bursche auf den Rücken des Fremden, und der flog mit ihm durch die Luft, bis zu einem Haus, schwarz und hässlich, nicht weit weg von einer Stadt. Dort setzte der Herr ihn ab und führte ihn in das alte Haus. «Dafür, dass ich dich unterrichte», sagte der Herr in Grün, «musst du das Pferd und den Bären, die ich habe, füttern!» Das wolle er schon machen, versprach der Bursche, und an diesem Abend war er gut gelaunt.

Am andern Morgen weckte der Grüne ihn sehr früh und sagte, er solle ein Stück Fleisch in der Küche und ein Mass Hafer in der Scheune holen und dann den Hafer dem Bären und das Fleisch dem Pferd geben. Aber das wollte dem Burschen nicht in den Kopf. Deshalb gab er dem Pferd den Hafer und dem Bären das Fleisch. Darauf begann das Pferd zu sprechen und sagte: «Weil du mir den Hafer gegeben hast, kann ich wieder sprechen. Du musst wissen, wir sind Seelen, die hat der Böse in Tiere verwandelt, meinen Gefährten, den Bären, und mich. Du kannst dich und uns befreien, wenn du tust, was ich sage. Steck das Gläschen mit Salbe - es befindet sich oberhalb der Stalltür - in die Tasche, nimm den Besen, die Bürste und den Striegel unter den Arm, und dann schwinge dich auf mich!»

Das machte der Bursche, und das Pferd ritt mit ihm im vollen Galopp über eine Ebene, und der Bär sprang hinterher. Sie waren noch nicht lange unterwegs, da hörten sie die Pfiffe des Herrn in Grün, der ihnen nachrannte. «Wirf die Bürste auf den Boden!» sagte das Pferd zum Burschen, und der schmiss die Bürste hinunter. In dem Augenblick wuchs hinter ihnen so ein grosser und dichter Wald, dass der Böse lange brauchte, bis er sich hindurchzwängen konnte.

Aber nach einigen Stunden hörten sie, dass er ganz nah bei ihnen war. Jetzt befahl das Pferd, den Striegel zu Boden zu werfen. Diesmal wuchs ein noch dichterer Wald, so dass der Böse Stunden brauchte, bis er hindurchkam. Aber plötzlich war er ihnen wieder auf den Fersen. «Schmeiss den Besen hinunter!» schrie das Pferd, als es die Schritte des Teufels hörte. Diesmal tat sich vor dem Grünen ein so steiniges und wüstes Tal auf, dass der Böse von alleine umkehrte.

Darauf befahl das Pferd dem Burschen, er solle mit ihnen beiden in den Wald, dort müsse er den Bären töten, ihm das Fell abziehen und den Rest vergraben. Der Bursche machte alles auf Befehl des Pferdes und ritt weiter. Bevor sie in die nächste Stadt kamen, befahl das Pferd dem Burschen, die Haare mit der Salbe, die er in der Tasche hatte, einzureiben. Da verwandelte sich die Mähne des Burschen sogleich in das schönste Goldhaar, das man sich vorstellen kann. «Jetzt zieh dir das Bärenfell über», sagte das Pferd, als es die schönen Haare sah «und nimm es nicht ohne meinen Befehl weg, dann wird es dir gut gehen!»

In der Stadt stellte der Bursche sein Pferd in einen Stall und ging auf seinen Befehl zum König und fragte, ob sie ihn nicht als Hühnerhirten brauchen könnten. Da der Hühnerhirt davongelaufen war und sie keinen andern fanden, nahmen sie den Burschen. Da er aber immer mit seinem Fell bedeckt war, nannten sie ihn den Struppigen. Bald merkten sie im Schloss des Königs, was für einen ausgezeichneten Hühnerhirten sie angestellt hatten. Die Hennen legten hundertmal mehr Eier als vorher. «Nun musst du fragen, ob du königlicher Gärtner werden könnest», befahl ihm das Pferd nach einer Weile. Gesagt - getan, der Hühnerhirt bewarb sich als Gärtner, und dank seines Erfolges mit den Hühnern erhielt er diese Arbeit. Auch die Gärten des Königs gediehen prächtig, als der Struppige anfing, darin zu arbeiten.

Als der Bursche wieder zum Pferd ging, befahl es ihm, an einem Tag eine Schar Schweine in den königlichen Garten zu jagen und dann, während er sie wieder hinausjage, solche Verrenkungen zu machen, dass das Bärenfell herunterrutsche. Er solle es aber schnell aufheben und sich wieder darin verhüllen. Das bekämen die drei Töchter des Königs zu sehen, und eine von ihnen werde ihn zum Mann nehmen. Das machte der Bursche so. Als er hinter den Schweinen her rennt, wirft er das Bärenfell ab, und aus dem Struppigen wird der schönste Jüngling mit goldenem Haar. An diesem Tag erhält jede Königstochter von ihrem Vater einen goldenen Apfel, und den sollen sie dem Edelmann geben, welchen sie sich als Bräutigam wünschen. Als sie aus dem Zimmer des Königs gehen, hören sie den Lärm im Garten, und die Jüngste, die am schnellsten zum Fenster rennt, kann gerade noch den Struppigen in seiner ganzen Schönheit sehen. Bis die andern kommen, hat er sich schon wieder sein Bärenfell übergeworfen.

Am andern Tag gingen alle Prinzen, Barone, Grafen und Ritter in die Stube des Königs hinauf; sie wollten sehen, wem die Prinzessinnen die Äpfel gäben. Auch der Struppige drängte sich auf Befehl des Pferdes hinein. Die jüngste Prinzessin war so verliebt seit dem Tag, als sie den jungen Mann ohne das Bärenfell gesehen hatte, dass sie ihren Apfel dem Struppigen gab. Aber der König und die beiden älteren Schwestern wurden darüber fuchsteufelswild, und sie jagten die Prinzessin in die Stube des Gärtners hinunter, sie solle dort mit ihrem Bräutigam bleiben.

Nach einigen Tagen lud der König seine Schwiegersöhne ein, in seinem Wald zu jagen. Auch der Struppige ging auf Befehl des Pferdes mit den andern beiden auf die Jagd. Aber der König gab ihm das schlechteste Pferd, das er im Stall hatte, und die andern wollten überhaupt nicht mit ihm gehen. Der Struppige tat dann so, als sei ihm alles gleichgültig, und anstatt den andern zu folgen, ging er in den Stall zu seinem Pferd. Das befahl ihm, sein Bärenfell abzuwerfen und gab ihm die schönsten Prinzenkleider. Dann sagte das Pferd dem Burschen, er müsse aufsitzen, und sie galoppierten in den Wald. Mit geringer Mühe erlegte der Struppige mehrere Wildtiere und ging sogleich zu seinen Schwägern. Die hatten noch kein einziges Stück erlegt und schämten sich deshalb furchtbar, nach Hause zu gehen. Da baten sie den Struppigen, den sie nicht erkannt hatten, ihnen einen Teil seines Wildes abzutreten. «Ich will euch alles geben, was ich geschossen habe», sagte der junge Mann, «wenn ihr mir die Äpfel gebt, die ihr von euren Frauen bekommen habt!» Lange sträubten sich die Prinzen dagegen. Aber endlich, als sie merkten, dass sie sonst mit leeren Händen nach Hause gehen müssten, gaben sie ihre goldenen Äpfel her.

Erst spät am Abend, im Dunkeln, ging der Struppige in die Stadt zurück, nahm den hinkenden Gaul aus dem Stall und stellte sein Pferd hinein. Die Prinzenkleider zog er aus und hüllte sich wieder in das Bärenfell, und so ging er nach Hause. Seine Frau hatte grossen Kummer, als sie sah, dass ihre Schwäger mit grosser Beute heimkamen, während ihr Mann mit nichts dastand.

Auf die zweite Jagd, wozu der König seine Schwiegersöhne einlud, ging der Struppige ebenfalls, trotz der Bitte seiner Frau, die sich nicht wieder vor der ganzen Stadt schämen wollte. Auch diesmal gab das Pferd ihm die Prinzenkleider. Und als er in den Wald ritt, hätte niemand gedacht, dass er der Struppige sei. Mit Hilfe des Pferdes erlegte er bald eine schöne Menge Wild. Gegen Abend kamen seine beiden Schwäger wieder bei ihm vorbei. Sie hielten ihn für einen fremden Ritter und baten ihn, ihnen einige Stücke Wild zu geben, da sie nichts geschossen hätten. «Nur unter einer Bedingung gebe ich euch diesmal mein Wild, sonst nicht!» erwiderte der Struppige, «wenn ihr die Hosen herunterlässt und mein Pferd jedem einen Tritt in den Arsch geben kann!» Da sie nicht mit leeren Händen nach Hause zurück wollten, machten die Ritter, was der Struppige forderte. Und das Pferd, welches dem Struppigen befohlen hatte, er solle dies von seinen Schwägern verlangen, trat jedem eins in den Arsch, so dass der Abdruck des Hufeisens für immer zu sehen war.

In der Stadt wechselte der Struppige wieder Pferd und Kleidung und kam spät am Abend mit seinem hinkenden Gaul nach Hause.

Bald darauf brach ein Krieg aus, und der König ging mit seinen Prinzen-Schwiegersöhnen zu den Soldaten. Den Gärtner rief er nicht zu den Waffen. Als der Struppige eines Tages zu seinem Pferd kam, befahl es ihm wieder, die Prinzenkleider anzuziehen und sagte: «Heute gibt es eine Schlacht zwischen dem König und seinen Feinden, und die Unsrigen werden verlieren. Setz dich jetzt auf mich, und mit meiner Hilfe wirst du die Feinde schlagen, aber sobald sie die Flucht ergriffen haben, reiten wir wieder nach Hause.» Der Struppige setzte sich auf sein Pferd, nahm sein Schwert, welches für ihn parat war, und im Hui war er mitten in der Schlacht.

Der König wurde mit seinen Truppen vom Feind geschlagen und schien die Schlacht zu verlieren. Mit der Ankunft des Struppigen gab es eine Wende. Der ritt mitten in die Feinde hinein und machte mit seinem schrecklichen Schwert eine Masse feindlicher Soldaten nieder. Als er aber den König siegen sah, gab er seinem Pferd die Sporen, und mit einem Satz setzte es sich über die Soldaten hinweg. Und Pferd und Reiter verschwanden.

Nach der Schlacht liess der König den tapferen Ritter in allen Zelten suchen, aber der war nirgends zu finden.

Aber bald darauf kehrte der Feind in grösserer Zahl zurück, und es gab eine zweite Schlacht. Wieder trug das Pferd den Struppigen aus der Stadt in die Schlacht, und auch diesmal entschied er den Sieg für den König, der König konnte sich ihm nähern und versetzte ihm, weil er ihn zurückhalten wollte, mit dem Schwert einen Hieb auf seinen Arm. Aber sobald der König noch näher heranrückte, machte das Pferd eine Drehung. Und Pferd und Reiter verschwanden.

Nach der Rückkehr gab der König ein prächtiges Festessen und lud alle Prinzen und Edelleute dazu ein. Auch der Struppige ging auf Befehl des Pferdes hin, und dann befahl der König jedem, sein Leben zu erzählen. Als der Struppige an der Reihe war, erzählte er alle seine Taten, und er zeigte auch den Gästen die Äpfel, die er von den beiden Prinzen erhalten hatte. Auf Befehl des Königs mussten diese ihren Hufeisenabdruck zeigen. Als der Struppige von seiner Hilfe während den letzten Schlachten erzählte, da warf er endlich das Bärenfell ab, und vor den Prinzen stand er da, wie ein König. Darauf ernannte ihn sein Schwiegervater zum König, und die beiden älteren Schwestern bereuten es, nicht den Struppigen geheiratet zu haben.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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