Der Bräutigam, der mit dem Herrgott wegging

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Einmal war eine Hochzeit in Vrin. Am Abend nach dem Aveläuten ging der Bräutigam zu seinem Paten, um ihn zum Nachtessen einzuladen. Er wollte den kürzesten Weg nehmen und ging quer durch den Friedhof. Mittendrin begegnete er einem gut gekleideten Mann. Der fragte den Bräutigam, wohin er gehe. «Ich bin Bräutigam und möchte meinen Paten zum Nachtessen einladen», entgegnete er und fragte den Fremden: «Wollt Ihr nicht auch mit mir kommen?» - «Gern», antwortete der fremde Mann, «aber dann müsst Ihr mich zurückbegleiten.» Der Bräutigam versprach dies. Nun vergass er seinen Paten und ging mit dem Fremden zur Hochzeitsgesellschaft zurück. Und der Fremde war guter Laune. Nach dem Nachtessen wollte der Mann aufbrechen, und der Bräutigam begleitete ihn hinaus.

Sie kamen zurück zum Friedhof, und dort war ein grosses Tor. Der Fremde öffnete es und fragte den Bräutigam, ob er mitkommen wolle. Der sagte, dies sei ihm schon recht, und die beiden gingen durch einen langen Gang bis sie in einer schönen Kirche waren. Die war voll brennender Kerzen. Ständig erloschen welche, während andere angezündet wurden. Der Bräutigam fragte, was das zu bedeuten habe. Der Fremde antwortete, jede Kerze sei ein Menschenleben. Jedesmal, wenn eine Kerze angezündet werde, werde ein Mensch geboren, und wenn eine erlösche, so sterbe jemand. Der Bräutigam wollte seine Kerze sehen, und der Fremde zeigte sie ihm. Sie war am Erlöschen. Erschrocken bat der Bräutigam, heimkehren zu dürfen, und der Fremde erlaubte ihm das ohne weiteres. Sie gingen zusammen durch den Gang zurück, der Fremde öffnete das grosse Eisentor, und der Bräutigam gelangte auf den Friedhof. Es war helllichter Tag, doch der Friedhof war anders als zuvor.

Der Bräutigam wollte zu seinem Haus, doch es war abgebrochen, und niemand wusste etwas über die Leute, die dort gewohnt hatten. Da ging der Bräutigam zum Pfarrer, der schaute in den Kirchenbüchern nach und fand darin einen Bräutigam, der vor hundert Jahren am Hochzeitstag verschwunden war. Am andern Morgen starb der Bräutigam als uralter Mann im Pfarrhaus.

 

 

Thompson Motiv E 765.1.3 (Lebenslichter in der Unterwelt)

 

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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