Die Schlossjungferin Wolfiswil

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

An der rechten Bachseite des Dorfes Wölflinswil im oberen Fricktal steht ein steinernes dreistöckiges Haus, schmal an die Berghöhe hingebaut, mit steiler Dach und gezürnten Giebeln einem alten Vogthause gleichend. Gegenüber auf der linken Bachseite auf der Jurahöhe stand vor Jahrhunderten das Adelsschloss Eptingen. Der Burgherr und seine Frau waren sehr mild gegen ihre Untertanen gewesen; die Tochter dagegen tat äusserst hochmütig und prunksüchtig, dazu presste sie den armen Leuten in diesen rauen Hochtälern auch noch ihr bisschen Geld mit aller Härte ab. Im Schwedenkriege wurde endlich das Schloss zerstört und die Tochter von den Soldaten erschlagen. Nachher sah man ihren Geist in der Ruine umher gehen und sich an denjenigen Plätzen niedersetzen, wo in eingestürzten Gewölben das zusammen gegeizte Geld in eiserner Kiste verwahrt lag. Alles fürchtete sich gar sehr vor dem Gespenste, nur ein Jüngling aus dem Dorfe nicht.

Der hatte sich aus seinem Hause nun schon mehrmals zur Nachtzeit weggeschlichen, und da er kein Kiltgänger und Nachtbube war, so konnte man sich gar nicht denken, wohin er wolle, wenn man sah, wie er gegen das Schloss am Berge in der Finsternis seine pfadlose Richtung nahm.

Es versteckte sich daher sein Vater nachts in der Ruine und lauerte ihm auf. Kaum war auch der Sohn hier oben angelangt, so trat diesem die Schlossjungfrau freundlich entgegen und bot ihm die Hand. Ebenso vertraut tat der Jüngling. Als wüsste er schon ganz genau, was es hier gelte, nahm er die Jungfrau frisch auf den Arm und begann sie dreimal um das Schloss herum zu tragen.

Jedes Mal wenn er an die Stelle kam, wo der Vater im Verstecke war, hielt er inne, setzte das Mädchen ab, küsste sie herzhaft, nahm sie rasch wieder auf und verschwand mit ihr hinter dem Gemäuer. Da er sie nun das dritte und letzte Mal hergebracht und geküsst hatte und sie eben wieder auf den Arm hob, hielt der Vater nicht länger an sich und schrie voll Angst: „nit, nit! die zwo Schlange biiset!" es waren aber nur die zwei mächtig langen Zöpfe der Jungfrau, die der Alte für zwei Schlangen angesehen hatte. Über diese wohlbekannte Stimme erschrak der Sohn, liess das Mädchen auf den Boden fallen und entsprang.

Die einstige Seligkeit dieser Jungfrau ist an einen Kirschbaum geknüpft, der im nahen Bergwald Lammetholz steht. Wenn er einmal so dick wie ein Sägbaum geworden und dann zur Wiege verzimmert sein wird, so kann das Knäblein, das man in dieselbe legen wird, der Jungfrau Erlöser werden.

 

Quelle: E. L. Rochholz, Naturmythen. Neue Schweizer Sagen, Leipzig  1862

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch  

 

 

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