Die Klaridenalp

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

a) Um aus dem glarnischen Linthtal die Ufer der Reuss drüben im Urnerländchen zu beziehen, hat der Wanderer einen der schönsten Alpenpfade über die Marchalp, wo der Grenzstreit gewesen und den wilden Klausenpass mit dem malerischen Stäubibach zu begehen. Dort stehen ihm zur Linken stolz und jäh die Klariden mit ihren Schutthalden und Wüstungen nah vor Augen. Da war einst ein Alpenparadies, so schön wie nur eines. Da grünte ein Pflanzenteppich voll der würzigsten Kräuter, dass die Milch in Strömen floss, indem jede Kuh dreimal täglich konnte gemolken werden und jedes Mal zwei Eimer von zweieinhalb Massen füllte. Hier wohnte einst ein Senn voll jugendlichen Übermutes. Wir könnten ihn Otmar, zum einigen, Jörg, zum anderen nennen. Sein Hündchen hiess Paris, seine werteste Kuh Brändi. Sie hatten es gut um ihn. Aber seine Holde, die Kathri (auch Nidelgret genannt), überschüttete er vollends mit Liebesbeweisen. Von ihrer Sennhütte bis auf seinen Stafel und von da bis zur Kapelle in der Mitte des lieblichen Hochtales liess der Senn den Steig mit lauter der besten Käse besetzen und mit Butter bestreichen. Nicht also verschwenderisch war er gegen seine Mutter, nicht einmal in vernünftiger Weise freigebig, sondern karg bis zum Frevel. Als ihn die Arme einst besuchte, da wartete ihr der missratene Sohn zwar mit Speisen auf, aber nur mit geringer, abgängiger Milchkost und dieses Schlechte mischte er noch mit Pferdeh ... nein, ich mag's nicht sagen. Das bedauerliche Weib fühlte diese Misshandlung in der tiefsten Seele und sie rief, im Übermass des Schmerzens, ihren Mutterfluch. Der Himmel hörte ihn. Er hiess die Erde ihren Schoss auftun und den unnatürlichen Bösewicht samt seiner Buhle verschlingen. Die obern Firnen und Felsen stürzten zusammen, als wäre der jüngste Tag angebrochen und die herrliche Weide verwandelte sich in ein schauriges, ödes Steinfeld. Hat man nachher dem Geist des Sünders auf dieser wüsten Stätte gerufen so geriet die Erde in Erschütterung und von der Höhe warf er Steine herab. - Wie etliche sagen, hat der Übermütige auch den Sonntag entheiligt und hat ihn die Strafe wie seiner Mutter Tod am Tage seiner Hochzeit getroffen. Bisweilen höre man ihn jammern, dass er nun ewig in diesem wüsten Steinmeere mit Kathri, Paris und Brändi weilen müsse. Manchmal gibt auch letztere mit schaurigem Brüllen kund. Fände sich ein Mensch von gutem, reinen Herzen, der mutig die flüchtig schnelle Kuh erhaschen und trotz der Dornenzizzen ihres Euters sie schweigend melken würde, so müsste das Eis und aller Schrecken schwinden, der Zauberbann wäre gehoben, die Armen wären erlöst. Einst fing die Zauberkuh bei stiller Nacht ein junger Hirt. Er molk das volle Euter, da empfand er so schmerzlich die stechenden Dornen, dass er „oh wehe!“ seufzte und - Brändi war entflohen. Seitdem hat es niemand wieder gewagt.

 

b) Die Klaridensage wiederholt sich mit geringen Änderungen auf der urnerischen Blümlisalp, einem muldenförmigen mit Schnee und Firn erfüllten Tale auf dem Rotstock. Der gegen seine Mutter hartherzige, gegen die Liebste aber verschwenderische Senn habe sogar seine schönste, nämlich die Treichlenkuh christlich getauft und sie Bäbi genannt. Sogleich wurde die ganze schöne Alp in einen traurigen Firn verwandelt und die Kuh gab seither ganz „schwarz zäggeti" Milch. Noch soll sie wandeln auf der Firn, und von Geistern gemolken werden. Am Karfreitag, während in der nächsten Kirche Passion gelesen werde, lasse sie, ganz zahm aus dem Firn dahergehend, sich sehen. Würde sie um diese Zeit gemolken bis sie weisse Milch gäbe, so wäre sie erlöst, der Firn ginge weg und die Alp stünde wieder gras- und blumenreich da. Ein entschlossener Bauer habe das einst probiert und sei mit einem grossen Eimer, Melkstuhl und Melkschmutz an die Kuh hin, die sich friedlich dazu gestellt habe. Das Euter war warm, die Milch schwarz und „zäggät"; bald wurde das Euter wärmer, die Milch braunrot, dann jenes heiss, diese rot. Endlich erreichte das Euter die Glühhitze und schon spielte die Farbe, der Milch in Rosenrot hinüber, der Melkschmutz war ihm aller zerronnen. Nur noch ein wenig ausgeharrt, mein Senn! Doch leider, die Hitze war ihm zu gross, er sprang fort. Das arme Tier, der Erlösung so nah, fiel um und sprang wieder auf, brüllte und heulte verzweiflungsvoll.

 

c) In Unterwalden ist die Blümlisalpsage in dieser Erinnerung. Die Alp war herrlich und milchreich wie kaum eine andere und üppig an Gras und Kräutern. Mit Käse besetzte man die Wege, mit Butter pflasterte man. Aber die Leute dort ergaben sich widernatürlichen Lastern bis der Zorn Gottes hereinbrach und ewiger Schnee und Eis das Gelände bedeckte. Sogar das sogenannte „Milchkraut" oder „verfluchte Kraut", das einen weissen Saft hat, soll auf dieser Alp vorhin eine gesegnete Pflanze gewesen, aber wegen dem Sündenleben der Bewohner verflucht worden sein und daher den Namen erhalten haben. Häufig ruft der gebannte und bestrafte Alpknecht: „Ich und d'Kuoh Brändi und d'r Hund Ringgi und 's huore Kathri miend immer und ewig uf Blümlisalp si.“

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

 

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