Der falsche Petrus

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Vor vielen Jahren lebte auf einem abgelegenen Schloss eine sehr reiche Witwe. Schon recht lange war ihr Mann tot, und sie hauste nur mit einem Dienstmädchen zusammen. Sie war eine fromme, bescheidene Frau und ging sehr oft ins Dorf, um in der Kirche zu beten.

Eines Tages fand sie in der Kirche auf ihrer Bank einen an sie adressierten Brief. Darin stand, dass Petrus an dem und dem Abend aufs Schloss hinauf zu ihr komme, um über ihren Mann zu reden. Die Frau war darüber hocherfreut, kehrte zurück und erzählte dem Dienstmädchen die Neuigkeit. Das Dienstmädchen hörte zu, traute allerdings der Sache nicht, schwieg aber still. Sie erzählte ihrem Verlobten - der war Landjäger -, dass Petrus an dem und dem Abend zur Herrin kommen wolle. Er solle schauen, dass er an dem Abend da sei. Diesen Abend musste das Dienstmädchen ein feines Nachtessen zubereiten, lauter köstliche Sachen. Der Verlobte war auch auf dem Posten. Die Herrin hatte ihr bestes Kleid angezogen und wartete im Saal auf Petrus. Der kam wirklich sogleich, ein gewaltiger Mann mit weissem Bart und um den Bauch eine Menge Schlüssel. Das Dienstmädchen musste die Speisen auftragen. Petrus ass wie ein Tier und erzählte der Herrin die verrücktesten Geschichten. Diese nahm alles für bare Münze. Bevor er sie den letzten Gang bringen liess, sagte der Landjäger zu seiner Braut: «Jetzt muss ich diesen Kerl auch sehen!» Er ging hinein, und Petrus war beim Anblick des Landjägers ein wenig überrascht. Aber der grüsste freundlich und sagte zu ihm: «Wie es scheint seid Ihr Petrus, aber Ihr müsst mir Eure Schriften zeigen.» Petrus antwortete: «Einer, der vom Himmel herabkommt, braucht keine Schriften.» Der Landjäger erwiderte: «Das geht mich nichts an, woher einer kommt, ich muss die Schriften sehen, sonst nehme ich Euch fest.» In dem Augenblick erschien das Dienstmädchen in der Tür und sagte: «Unten vor dem Tor steht jemand, der geklopft hat und herein will.» Nun zögerte der Landjäger nicht lange und fesselte Petrus. Dann nahm er eine Axt und ging zum Tor hinunter. Da hörte er draussen graben. Er blieb ruhig und harrte der Dinge, die da kommen. Sogleich merkte er, dass ein Loch durch die Mauer gebrochen wurde, und durch dieses erschien der Kopf eines Mannes. Der Landjäger ergriff schnell die Axt und hieb dem Mann den Kopf ab. Dann zog er den Rumpf herein in den Schlosshof. Sogleich kroch ein anderer durch die Öffnung, aber auch der war verloren, und so ein dritter und ein vierter. Die andern draussen merkten, dass es da drin nicht mit rechten Dingen zuging und machten sich aus dem Staub. Der Landjäger hielt Wache neben dem Loch, bis es Tag wurde. Dann ging er zu Petrus und führte ihn ins Dorf vor Gericht. Dort musste Petrus sagen, wer er war. - Er war der Hauptmann einer Räuberbande, welche die Herrin ermorden und das Schloss ausrauben wollte. - Die Herrin gab dem Landjäger und seiner Braut zum Dank viel Geld. Sie konnten dann heiraten und waren sehr glücklich.

(Schams)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.  

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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