Die Geschichte vom Waldbruder

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten keine Kinder, doch mit der Zeit, nach langem Bitten, schenkte der Herrgott ihnen eines. Die Frau wurde schwanger. Und als es Zeit für die Geburt war, holte sie die Hebamme, und als das Kind auf der Welt war, war es ein Bär. Sie mussten sich damit abfinden und sie hielten dieses Tier, wie es sich gehört. Es wuchs und wurde älter, so um die 15 oder 16 Jahre.

Unterdessen hatte die Königstochter dieses Tier, das ihnen nachlief, gesehen. Da kam sie auf den Gedanken, es bei sich zu haben. Sie wollte dieses Tier auch nachts mit auf ihr Zimmer nehmen, und sie liessen es gehen. Und sie nahm das Tier und richtete ihm ein Lager unter ihrem Bett. Das Tier legte sich in der ersten Nacht hinein, und von 11 bis 12 Uhr verwandelte es sich in einen Mann. Und der kam vor das Bett, begann zu reden und sagte, er sei nur für eine Weile da, dann müsse er wieder ein Bär werden.

Jemand hatte ihn dann in der einen oder andern Nacht gehört, deswegen musste er wieder ein Bär werden. Er stiess einen Schrei aus und ging weg. Er kam in eine Stadt zu einer gewissen alten Frau. Die nahm ihn auf und brachte ihn in einem Keller unter.

Die Königstochter stand auf und war sehr betrübt, und als es Tag war, ging sie ihren Bären suchen. Sie gelangte mit der Zeit in einen Wald zu einem alten Mann, der musste an die hundert Jahre alt sein. Es war Abend, und sie bat darum, über Nacht bleiben zu dürfen, und der Mann liess sie übernachten. Sie kamen dann ins Gespräch, und die Frau erzählte, wie es stehe, und sie sei unterwegs auf der Suche nach diesem Bären. Da erklärte er, wo der Bär zu finden sei. Sie müsse über eine Brücke gehen, darauf sei ein Drache, und der lasse nicht alle durch. Nun denn, er wolle ein paar Worte für den Drachen auf ein Stück Rinde schreiben, und er sagte, wenn sie den Drachen sehe, solle sie ihm diese Rinde entgegenwerfen, und wenn er lächle, solle sie weitergehen, doch wenn dies nicht der Fall sei, so solle sie nicht weitergehen, sonst zerfleische er sie.

Und sie nahm, als es Tag war, jenen Weg, und als sie den Drachen sah, warf sie die Rinde. Der Drache hob sie auf, las die Worte darauf und lächelte. Als sie hinzutrat, sagte er, sie könne durchgehen, und sie werde zu einer alten Frau kommen. Sie solle die fragen, ob sie bei ihr im Dienst bleiben könne. Die Alte werde ihr auftragen, die Schafe zu hüten. Wenn sie mit den Schafen auf der Weide draussen sei, würden sich die Schafe in Hasen verwandeln. Dann gab ihr der Drache eine Pfeife, und sie solle bis zum Abend die Hasen laufen lassen, wohin sie wollten, dann solle sie mit dieser Pfeife pfeifen, dann kämen die Schafe zum Vorschein, so wie jeweils am Morgen. Der Bär sei im Keller unten, und wenn sie eine Anzahl Tage bei der Alten verbracht habe, so solle sie fragen, ob sie dem Bären das Wasser bringen könne. Dann solle sie versuchen, ihm heisses Wasser zu geben, und wenn er das heisse Wasser schlucke, werde er ein gewaltiges Gebrüll ausstossen und die Ketten zerreissen. Da die Alte vorher kommen und das Wasser prüfen werde, müsse sie ihr kaltes Wasser hinhalten und heimlich dem Bären heisses bringen.

Die Königstochter gelangte zur alten Frau, und die trug ihr jene Arbeit auf, wie es der Drache gesagt hatte. Die Königstochter wünschte nach ein paar Tagen, dem Bären das Wasser bringen zu dürfen. Die Alte erlaubte dies, denn sie war mit der Magd zufrieden. Etwa acht Tage lang richtete die Magd das Wasser und liess die Alte prüfen, ob es recht sei, und das war immer der Fall gewesen. Die Alte hatte sie auch damit beauftragt, den Kaffee für sie beide zu kochen. Eines Morgens hatte die Königstochter das Wasser heiss gemacht, dann aber nahm sie kaltes Wasser und rief der Alten, sie solle kommen, und die prüfte das Wasser und sagte, sie solle nur in den Keller gehen, wenn sie könne. Da liess sie das kalte Wasser stehen, rannte in den Keller hinunter und gab das heisse. Der Bär nahm ein Maul voll und schluckte es, darauf brüllte er, und sie dachte dann rasch auch an den Drachen, denn der hatte ihr aufgetragen, sie solle dann auch an ihn denken, dann werde auch er kommen. Alle beide wollten die Alte dann schon in den Senkel stellen. Und der Drache erschien, und beide nahmen sich die Alte vor und straften sie gehörig, und sie straften sie, bis sie die Erlösung aller zuliess, die sie verzaubert hatte. Sie nahm dann drei Flaschen Wasser, und daraus musste sie einen Tropfen vor den andern fallen lassen, in allen Gassen der Stadt herum, und sie zog los mit diesen Flaschen, und dann verwandelten sich die vielen Schafe in dieser Stadt in Leute, und alles war zufrieden mit der Königstochter. Auch der Bär wurde wieder ein Mann, und der Drache auch, und die Königstochter ging dann mit ihrem Mann nach Hause und hielt Hochzeit.

(Schams)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.  

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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