Der starke Hans

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal eine grosse Frau, die grosse Beth, die hatte einen Buben, der, obschon er erst sieben Jahre alt war, schon der starke Hans hiess. »Wir sind arme Leute«, sagte die Mutter einst zu ihm, »drum musst du beizeiten arbeiten und fremdes Brot essen lernen. Die Bauern nehmen ohnedies nur starke Leute in den Dienst. Geh also in den Wald und bringe mir eine tüchtige Tracht Holz heim, dann will ich dir sagen, ob du in die Fremde taugst.«

Hansli tat es, traurigen Herzens über den ihm so nahe stehenden Abschied; und wie er seine Bürde Holz heimbrachte, war sie gar klein. Darüber wurde er und die Mutter froh, denn er war noch zu schwach und durfte noch weitere sieben Jahre daheim bleiben. Als diese um waren, wurde er zum zweiten Male ins Holz geschickt. Jetzt aber war es anders mit ihm. Die Tannen riss er aus, als ob es Stauden wären, und heimgetragen brachte er sie wie einen Federwisch.

Jetzt hatte die Mutter auf ein ganzes Jahr Brennholz genug, und Hans konnte nun sein Ränzel schnüren und dem nächsten Bauernhof zuwandern. Hier waren schon zwei Knechte im Dienst und man brauchte keinen dritten. Der Hans aber wurde dennoch angenommen, denn er verlangte vom geizigen Bauer keinen Lohn, sondern statt dessen nur das Recht, alljährlich eine Ohrfeige austeilen zu dürfen.

Die erste Arbeit, bei der er mithalf, war im Walde; es wurde Holz gefällt und heimgefahren. Aber der Wagen war bereits überladen und die Rosse brachten ihn nicht vom Fleck. Da warf Hans die Rosse zu den Baumstämmen auf den Wagen hinauf und brachte ihn wie im Sturmwind vors Haus gerollt. Der Bauer sah es, kratzte sich in den Haaren und dachte mit Schauder an die Jahresohrfeige. Aber er liess sich nichts merken, sondern setzte sich mit Hans zu Tische. Hier tat Hans abermals das Seine, der Bauer kratzte sich abermals in den Haaren, denn dieser Knecht würde ihn binnen Jahresfrist von Haus und Hof essen.

Nun fiel ihm ein, wie er sich seiner entledigen könnte. »Meine Frau«, sagte er zu ihm, »hat vor etlichen Tagen ihren Ehering draussen in den Ziehbrunnen fallen lassen, steig hinunter und hol ihn wieder herauf.« Hans tat es. Kaum war er drunten, so schüttete der Bauer mit seinen Knechten eine ganze Ladung Steine hinab.

»Weg mit den Hühnern da droben«, rief eine Stimme herauf, »sie scharren Sand in den Brunnen!« Der Bauer musste zu einem gewichtigeren Mittel greifen; er liess die Glocke aus der Kapelle herabnehmen und in den Brunnen werfen, die musste den ganzen Hans zudecken. »Ei, was für ein artiges Käppchen für mich!« lautete es zum zweiten Mal aus der Tiefe herauf. Jetzt gab's keinen andern Rat, als den Mühlstein hinabzulassen. – »Halt!« schrie der drunten, »da hab' ich ja den Ehering; geht mir aus dem Licht droben, ich komme!« Die Glocke auf dem Kopfe und den Mühlstein am Ringfinger kam Hans heraufgestiegen.

Der Bauer dachte abermals an die einbedungene Ohrfeige und schenkte dem Hans nun so viel Geld und Gut, als dieser brauchte, um weiter in die Welt zu ziehen.

Seines Weges gehend fand er zwei Kameraden, einen Jäger und einen Fischer, die ohne Dienst waren wie er. Er wanderte einen Tag mit ihnen, doch statt Dörfer und Herbergen trafen sie nichts als ein kleines wunderliches Haus. Es war unbewohnt und sie übernachteten hier. In aller Frühe weckte sie der Hunger. Nichts als ein Kochkessel und ein geringes Stück Fleisch war hier vorrätig, dies genügte nicht für alle drei. Der Fischer sollte es ans Feuer tun und kochen, indessen gingen der Jäger und Hans in den Wald, um besseren Vorrat herbeizuschaffen. Unser Koch hing den Kessel übers Feuer – da schlich ein kleines, hässliches Weib herzu. Sie hatte ein rotes Jüpplein an und auf dem Kopf eine Beginenhaube und bat flehentlich um ein winziges Stücklein Fleisch. Der gute Fischer bückte sich schon, ihr ein Stück im Kessel abzuschneiden, da, husch, sass sie ihm auf dem Rücken, drückte und ritt ihn, und zerkratzte ihm jämmerlich das Gesicht. Er kroch zuletzt unter den Herd hinunter. Die Alte verschwand, das Feuer ging aus.

Gegen Abend kamen die beiden Kameraden heim. Glücklicherweise hatten sie einen Bären erlegt, und hatten nun, nachdem er ausgeweidet, zerlegt und gekocht war, doch etwas zu essen.

Der Morgen kam, und nun ging der Fischer mit dem Hans auf die Jagd, der Jäger hütete das Haus und besorgte das Essen. Darüber geschah ihm, was man schon weiss. Die Alte in der roten Jüppe kam herbeigeschlichen, und während er ihr ein Stück Fleisch abschnitt, sprang sie ihm auf den Rücken, zerkratzte ihn und warf ihn zum Schlusse unter den Herd.

Da lag er noch drunten, als die zwei andern abends heimkamen und nach dem Essen fragten. – So kam der dritte Tag. Keiner der Geprügelten hatte indessen den andern ein Wörtchen verraten, jeder verbiss seine Schmerzen und freute sich im stillen darauf, dass auch an den nächsten die Reihe kommen werde. Heute blieb nun Hans daheim, Jäger und Fischer gingen in den Wald. Sobald er am Kochen war, klopfte die Jammergestalt des hungrigen Weibes an der Tür und bettelte um ein Stücklein Fleisch. Sie erhielt's. Allein, so bald sie ihm auf den Rücken springen wollte, hatte sich Hans schon vorgesehn. Er packte sie mit einer Hand und schwang sie so lange in der Luft herum, bis ihr der Atem ausging. Dann band er sie und warf sie hinab, wo die andern gelegen. Da lag denn nun das schief geschnürte Bündel unter dem Herd. Sehr frühzeitig kamen heut die beiden Kameraden heim; sie lachten schon im voraus über die Prügel, die Hans aufgelesen haben musste. Da sahen sie denn das Gegenteil.

Aber Hans wollte von seinem Abenteuer auch einen Nutzen haben. Er liess die Hexe unterm Herd nicht eher los, als bis sie ihm ein Geheimnis entdeckt hatte. Hier im Berge, auf dem das Häuschen stand, war ein tiefes Felsenloch, das hinunter führte zu einem wunderbaren Schlosse.

Eine Prinzessin wohnte drinnen, von Drachen bewacht, und wer diese besiegte, gewann samt den Schätzen die Hand der Königstochter. Die drei gingen zur Höhle und bestimmten durch das Los, wer von ihnen zuerst am Seile hinunter gelassen werden sollte. Hans machte den Anfang. Drunten fand er das Schloss, ganz aus Gold und Edelstein gebaut, alsdann die Prinzessin selbst. Diese stellte ihm Wein und Brot vor, dadurch wurde er noch dreimal stärker als zuvor. Dann gab sie ihm das stärkste Schwert, mit dem er den Drachen schlagen sollte. Dieser fuhr auch bald mit furchtbarem Getöse herab und spie einen Feuerstrom aus dem Rachen. Mit einem Hiebe schlug ihm Hans den Kopf ab, aber von dem Feuerstrom ergriffen, sank auch er zu Boden. Die Prinzessin eilte herbei und labte ihn wiederum mit Wein und Brot; er erwachte aus seiner Betäubung und fühlte sich nun noch dreimal stärker als vorher. Dies war aber auch dringend notwendig; denn alsbald erhob sich neues Getöse, und der zweite Drache kam herabgefahren, noch feuriger und grösser als der erste. Der Kampf begann, das Schloss bebte und dröhnte, Qualm verfinsterte die ganze Luft, doch Hans mit seinem Machtschwert hieb in das Untier, dass das Blut in Strömen floss. Sausend fuhr sein Schwert durch die Luft, und der Schädel des Ungeheuers war vom Rumpfe getrennt.

Doch auch dem Tapferen schwanden die Sinne, ohnmächtig lag er neben dem Erlegten. Und wiederum war die Prinzessin da, abermals stärkte sie ihn mit Wein und Brot und brachte ihn dadurch ins Leben zurück; dann liess sie ihn durch ihre Dienerinnen in ein gutes, schönes Bett bringen, und da ruhte und schlief er sich aus bis zum hellen Morgen. Jetzt übergab ihm die Prinzessin das dritte Machtschwert, das alle andern an Güte und Grösse übertraf, nachdem er durch Speise und Trank abermals an Stärke dreifach gewachsen war, und kündete ihm an, dass nun der dritte und grösste Drache zu bestehen sei. Noch einmal rief sie ihm Mut zu, zeigte ihm, wie sie beide nur die Wahl hätten zwischen namenlosem Glück und Unglück, und ging dann schluchzend hinweg. Nun kam der dritte Drache herunter gefahren, brausend und sausend, Glut und Dampf aus dem Rachen speiend. Volle drei Stunden dauerte der Kampf, das Untier verblutete, Hans lag unbeweglich hingesunken. Als es stille geworden, kam die Prinzessin herbeigeeilt; unter ihren Worten und Küssen schlug er wieder die Augen auf, wurde verpflegt und erholte sich. Dann erhoben die Dienerinnen einen wunderbaren Gesang, eine liebliche Musik rauschte durch das Schloss, dass Hans bei seiner Prinzessin in Glück und Freude sich kaum fassen konnte. So machten sie sich alle bereit, mit dem nächsten Morgen die Hochzeit zu halten.

 

Quelle: Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau:1869 Solothurn. (Nach handschriftlicher  Mittheilung von E. L. Nochholz.)

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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