Die dankbaren Toten zu Ingenbohl

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die dankbaren Toten haben in der Sagenforschung eine eigene Aufmerksamkeit erregt. Wiederholt kommt es vor, dass einem, der ihnen mit Gebet und sonstwie Gutes erwies, die armen Seelen es vergelten und in der Not mit einer dem Feind überlegenen Anzahl sichtbar zu Hilfe eilen. Es sind diese Überlieferungen von den dankbaren Toten nicht immer frei von entschieden mythischen Beimischungen geblieben. Die folgende Erzählung, für welche es auch in den Niederlanden Geschwister gibt, sei hier als kleiner Beitrag für diese teilweise noch der Untersuchung angehörenden Frage eingereiht.

Einen Kiltgänger in Ingenbohl führte sein Weg jeden Abend, da er seine Besuche machte, über den Gottesacker. Er hatte ein fröhliches Gemüt, wie überhaupt eine edle, teilnahmsvolle Seele, und er brachte es nicht übers Herz unter den Gräbern zu wandeln, ohne ein paar Vater unser gutmütig für die „lieben Seelen" verrichtet zu haben. Besonders gedachte er aber der „schamroten Seelen", will sagen der armen Hingerichteten. Wenn er so gebetet hatte, stand er auf und ging laut jauchzend seines Weges. Der dortige Pfarrer hörte mit Unwillen das ruhestörende Jauchzen dieses Jünglings so nahe an heiliger Stätte und bestellte den Küster, der nächsten Abend Wache halten und diesem „Nachtbuben", wenn er komme, das Lärmen verleiden sollte. Er kam zur gewohnten Stunde wieder unter der gewöhnlichen Kundgebung daher. Als ihm der Aufpasser beikommen wollte, sah er zwei Männer von riesenhafter Grösse neben demselben gehen, so dass er nichts zu unternehmen wagte. Zum zweiten Male hielt der Küster mit vier andern Wache. Der junge Mann näherte sich abermals jauchzend, diesmal von sechs grossen starken Gestalten behütet, indem drei vorausgingen und drei folgten. Alle hatten rote Streifen um den Hals. Ein drittes Mal versucht es der Sigrist und geht auf die Lauer. Diesmal nahm er acht Männer mit sich und hoffte nun unfehlbar des jungen Schreiers Meister zu werden. Aber, welch' ein Schrecken ergriff alle. Dieser fröhliche Jauchzer kam nun um neun Uhr, welches die gewohnte Stunde war, umgeben von einer grossen Schar Männer, die abgeschlagene Häupter in den Händen trugen. Der Küster eilte zum Pfarrer und erzählte ihm, was sich zugetragen. Dieser liess am nächsten Morgen den Burschen rufen und fragte ihn, wer ihm denn alle Abende das Geleit gebe. Verwundert erwiderte der Gefragte, dass er niemals einen Menschen bei sich gehabt habe, dass er aber, wenn er am Abend nach Hause gehe, jedesmal ein kurzes Gebet spreche, und dann wohlgemut vorwärts schreite. Mit dieser Erzählung war der Pfarrer zufrieden; segnend legte derselbe dem Jauchzer die Hand auf das Haupt und sprach: „Stets wachse in dir des Herrn Schutz gegen alle Feinde; fahre fort auf deiner heitern Lebensbahn zu wandeln, dann wirst du zeitlich und ewig glücklich sein."

 

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

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